Nach dem Rücktritt der britischen Premierministerin Liz Truss am Donnerstag begannen mehr oder weniger sofort die Spekulationen rund um ihre Nachfolge. Die oder der Neue übernimmt den Parteivorsitz der konservativen Tories sowie automatisch ihre Nachfolge an der Regierungsspitze.

Bis Montagmittag kann eine Bewerbung eingebracht werden, für die allerdings die Unterstützung von 100 Abgeordneten benötigt wird (die Tories stellen 357 im Unterhaus). Noch am selben Tag finden mehrere Abstimmungen statt, bei denen schlussendlich zwei Personen übrigbleiben sollen, zwischen denen sich die Tory-Mitglieder entscheiden. Am Freitag um 22 Uhr MESZ soll das Ergebnis verkündet werden. Das gilt alles allerdings nur für den Fall, wenn mehr als eine Person die nötigen Unterstützungserklärungen erreicht – wenn nur eine diese Hürde schafft, wird diese Premierministerin, und dann wissen wir es bereits am Montag.

An einer Kandidatur interessiert sind dem Vernehmen nach Ex-Finanzminister Rishi Sunak, Unterhausvorsitzende Penny Mordaunt, die am Mittwoch als Innenministerin zurückgetretene Suella Braverman – und ausgerechnet auch Ex-Premier Boris Johnson. Ein Überblick über die möglichen Nachfolgerinnen und Nachfolger von Liz Truss.

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Suella Braverman (42): Die Hardlinerin bei den Konservativen

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Suella Braverman, die als Innenministerin erst am Mittwoch zurückgetreten ist, gilt als rechte Hardlinerin. Sie verfolgte unter anderem eine restriktive Migrationspolitik, inklusive Plänen für ein härteres Vorgehen bei Abschiebungen. Auch das Wettern gegen "Tofu essende" Linke gehörte zu ihrem rhetorischen Repertoire. Am Mittwochabend läutete der Rücktritt von Suella Braverman die letzte Etappe der Regierungskrise ein, die Truss dann zum Aufgeben zwang. Als Grund nannte sie "einen technischen Bruch" von Geheimhaltungsregeln, weil sie ein offizielles Dokument von ihrer persönlichen E-Mail-Adresse weitergeleitet habe. Sie sparte aber auch nicht mit inhaltlicher Kritik an Truss. Mit der harten Parteirechten könnten die Tories das vom Brexit ausgelöste Chaos weitertreiben, fürchten Beobachterinnen und Beobachter.

Rishi Sunak (42): Der Liebling des Tory-Establishments

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Der Sohn indischer Einwanderer hatte durch seinen Rücktritt als Finanzminister Anfang Juli den Weg zur aktuellen Krise ein wenig mitgezeichnet. Damals richtete sich Rishi Sunak – bis dahin enger Vertrauter Boris Johnsons – plötzlich gegen den Premier. Sein Abschied galt auch für andere hochrangige Tories als Signal, sich von Johnson abzusetzen – der zwei Tage später tatsächlich seinen Rücktritt verkündete. Doch Sunaks Plan, selbst zum Premier aufzusteigen, scheiterte: Zwar war die Zustimmung von 42,6 Prozent der Parteimitglieder höher als erwartet, gegen Truss hatte Sunak jedoch letztlich keine Chance. Die verlorene Abstimmung des einst brennenden Brexit-Befürworters hatte Zweifel an seiner Attraktivität bei kommenden Unterhauswahlen geweckt – oft trat er hölzern auf, meist wirkten seine Statements einstudiert. Vielen gilt er nun dennoch als Favorit, mit dem sich die Tories – in Zusammenarbeit mit dem amtierenden Finanzminister Jeremy Hunt – der finanzpolitischen Realität stellen könnten. Hunt selbst, der sich bereits zweimal für den Topjob beworben hatte, schloss bereits am Donnerstag eine Kandidatur aus. Da Hunt seit Juli bereits der vierte Mann im Amt des auf der Insel mit großen Kompetenzen ausgestatteten Schatzkanzlers ist, dürfte er seinen Platz im künftigen Kabinett fest gebucht haben.

Penny Mordaunt (49): Die leutselige Loyalistin und ewige Favoritin

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Gerne tritt Penny Mordaunt leutselig auf und legt Wert auf ihre Zeit als Fabrikarbeiterin während des Studiums. Dabei war sie bereits Verteidigungsministerin, Frauenministerin und Ministerin für internationale Entwicklung. Vor ihrer Zeit als Verteidigungsministerin diente sie zehn Jahre neben ihrem politischen Job als Reservistin in der britischen Marine. Schon bei der Kandidatensuche im Sommer galt sie als eine der Favoritinnen. Dass sie gegen Truss verlor, lag auch daran, dass deren Team einige Zitate Mordaunts fand, in denen sie sich gesellschaftspolitisch eher liberal gab. Mordaunt ist Brexit- Befürworterin der ersten Stunde. Ihre Loyalität muss ihr nicht unbedingt nützen: Zuletzt legte sie sich für Truss ins Zeug.

Boris Johnson (58): Der schadenfrohe Vorgänger

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Einer, der das jüngste Chaos in der britischen Regierung wahrscheinlich mit Genugtuung verfolgt hat, ist Truss' Vorgänger Boris Johnson. Der Ex-Premier empfindet seinen Abschied im vergangenen Sommer wohl immer noch als unfair und wartet auf die Stunde, in der er als Retter in der Not wieder Partei und Land übernehmen kann. Ob er das wirklich will, ist noch offen. Die "Times" berichtete am Donnerstag unter anderem über eine bevorstehende Kandidatur Johnsons, mehrere Tory-Mitglieder sagten dem Ex-Premier ihre Unterstützung zu. Zuletzt war aber lediglich klar, dass er bereits am Wochenende aus seinem Karibikurlaub nach London zurückkehren will. Johnson würde die Partei in jedem Fall in einem noch schlechteren Zustand übernehmen, als in dem er sie abgegeben hat. (mesc, schub, maa, 21.10.2022)

Ein Videoporträt von Boris Johnson anlässlich seines Amtsantritts im Jahr 2019.
DER STANDARD