Sexarbeit ist in Österreich legal und lukrativ, und das gilt auch für Livestreams auf Webcam-Plattformen wie Onlyfans. Hier sind in einem guten Monat bis zu 50.000 Euro Einkommen möglich. Zur besseren Einordnung: Das durchschnittliche Jahresgehalt in Österreich liegt im Vergleich bei 52.200 Euro. Eine der Darstellerinnen ist die Österreicherin mit dem Kunstnamen Mary Wet, die gelernte Einzelhandelskauffrau ist seit neun Jahren hauptberuflich Video- und Webcam-Darstellerin für erotische Inhalte und hat sich in der Branche inzwischen einen Namen gemacht. Sie ist nicht nur Darstellerin, sondern auch Unternehmerin: Sie schneidet ihre Videos selbst, bearbeitet die Inhalte in der Post-Production und kümmert sich um Marketing und Kundenanfragen.

Das "Bewerbungsvideo" von Mary Wet

Eine Stellenausschreibung gab es für den Job nicht, mit einem Augenzwinkern spricht sie gegenüber dem STANDARD aber von einem "Bewerbungsvideo": "Ich habe mir im Ägyptenurlaub die Digitalkamera eines befreundeten Pärchens ausgeborgt, um ein Picknick am Strand zu fotografieren, habe dann aber in die falsche Richtung gescrollt und bin auf ein paar Sachen gestoßen, die ich wahrscheinlich nicht hätte sehen sollen", sagt sie. Die Möglichkeit, mit Videos Geld zu machen, war Mary bis dahin fremd, man schrieb immerhin das Jahr 2013. Youtube wurde gerade erst Mainstream, "Harlem Shake" und "Gangnam Style" dominierten die popkulturellen Trends.

Mittlerweile verdient Mary pro maßgeschneidertem Video zwischen 80 und 600 Euro. Der Preispunkt hängt von der Komplexität der persönlichen Vorliebe der Kunden ab: "Bestimmte Fetische benötigen mehr Equipment oder eine längere Vorlaufzeit bei der Vorbereitung", sagt sie. Auch Wünsche bezüglich der Dauer können ein Mehrkostenfaktor sein. Die Videos kann man auf Anfrage über die Website von Mary bestellen, der separate Verdienst mit der Live-Webcam-Arbeit ist jedoch die primäre Einnahmequelle der jungen Frau.

Bezahlen pro Sekunde

Denn herkömmliche Pornovideos gibt es zuhauf gratis im Netz, beim Webcam-Modell zahlen die Zusehenden hingegen pro Sekunde an konsumierten Inhalten. Auf Basis dieses Modells kann Mary mit fünfzehn Stunden Webcam-Arbeit pro Woche und ihren zusätzlichen Videoinhalten bereits sehr gut über die Runden kommen.

Auf ihrer Website veröffentlicht Mary jeden Montag ihren Webcam-"Stundenplan" für die Woche. Der Webcam-Stream ist live und praktisch für jeden, der über 18 Jahre alt ist, zugänglich. Während die Konsumierenden nicht wissen, wie viele andere Personen noch im Stream sind, hat die Performerin Zugriff auf die einzelnen Chats. Die Kundschaft fühlt sich durch diese vermeintliche Zweisamkeit persönlich umsorgt. Es gibt aber auch die Möglichkeit, eine tatsächlich private Webcam-Session zu buchen.

Die Welt von Onlyfans

Auch die in Österreich lebende und arbeitende Miss Monique könnte ihre Teilzeitstelle im Bereich Social Media theoretisch kündigen. Die zweifache alleinerziehende Mutter findet sich auf Onlyfans weltweit in den top vier Prozent der Kategorie Milf (englisches Akronym für "Mom I’d Like to Fuck"). Der Begriff Milf beschreibt in der Erotikindustrie sexuell begehrenswerte reifere Frauen, die aufgrund ihres Alters Kinder haben könnten oder tatsächlich Mütter sind. In dieser Kategorie produziert Miss Monique unterschiedlichste Stand- und Bewegtbildinhalte, um die breitgefächerten Wünsche und Vorlieben ihrer Abonnenten abzudecken.

Auch für Webcam-Videos gibt es eine Primetime – und zwar in der Mittagspause.
Foto: Getty Images/iStockphoto/M-Production

Im Gegensatz zu anderem Webcam-Plattformen ist das Modell von Onlyfans nicht von Liveinhalten abhängig. Für vierzehn Dollar im Monat kann auf alle Sprach-, Video- und Bildinhalte, die die Österreicherin bis dahin auf ihrem Onlyfans-Account gepostet hat, zugegriffen werden. Wobei die Plattform zwanzig Prozent aller Erträge für sich behält.

Neben den Abonnements wird der Großteil der Einnahmen jedoch über personalisierte Pay-per-View-Videos und -Fotos generiert, welche Monique auf Kundenanfragen verschickt. Diese maßgeschneiderten Videos gibt es nicht über den Abo-Account zu sehen, sie sind nur für die bestellende Person zugänglich. Die Käufer können das Video in einem sogenannten Tresor aufbewahren und so oft ansehen, wie sie wollen, auch wenn sie Monique zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr abonniert haben.

Gerade diese persönliche Note macht diese Videos auch so reizvoll, da sind sich beide Frauen einig. Monique erklärt, dass trotz der Vielzahl an pornografischen Inhalten im Internet der Bedarf an Onlyfans-Inhalten groß ist: "Die Kunden mögen den persönlichen Kontakt zu einer Frau, die sie anziehend finden, mit der sie schreiben können und die nahbar und sympathisch ist." Die Kontaktaufnahme sei bei herkömmlichen Pornodarstellerinnen viel schwieriger. "Wir sind die Mädchen von nebenan, wir sind greifbar", fasst Mary zusammen.

Primetime im Webcam-Business

Wie in fast jedem Geschäftszweig regelt sich der Markt über Angebot und Nachfrage. Es gibt zum Beispiel "Hauptsendezeiten", zu denen der Webcam-Stream bei Mary besonders gut funktioniert: "Mittagspause ist tatsächlich Primetime, dann nachmittags zwischen 16 und 18 Uhr und später wieder ab 22 Uhr", sagt sie. Beim Geschäft mit dem Fetisch will Onlyfans mitreden und stellt Regeln auf, was gezeigt werden darf und wie – Hauptsendezeit oder nicht.

Die Plattform versteht diesen Eingriff als Schutzstandard. "Es hört sich kurios an, aber man darf sich zum Beispiel nicht alles (vaginal) vor der Kamera einführen", erklärt Monique und spricht damit Verletzungsgefahr bei Nachahmerinnen und Nachahmern an. Auch potenzielle Schleichwerbung wird von Onlyfans abgemahnt: "Es gibt beispielsweise Männer, die einen Rauchfetisch haben und Frauen gerne dabei zusehen, während sie genüsslich eine Zigarette rauchen. Da darf zum Beispiel die Marke nicht erkenntlich sein." Gleichfalls verbietet Onlyfans gewisse Dominierungspraktiken im BDSM-Bereich.

Die Kunden haben unterschiedliche Vorlieben – Füße sind zum Beispiel ein wiederkehrendes Thema.
Foto: Getty Images/iStockphoto/Oleg Elkov

Der Balanceakt zwischen "Was wollen Nutzer sehen?" und "Was lässt die Plattform zu?" ist aber nicht immer eine Gratwanderung. Großer Beliebtheit erfreuen sich zum Beispiel die für unproblematisch erachteten Füße. Diese machten für Monique auch den ersten Schritt zur Onlyfans-Darstellerin: "Ich wollte für ein bisschen extra Taschengeld gebrauchte Schuhe von mir verkaufen", sagt sie: Auf einschlägigen Fetischseiten wurde sie dann für ihre schönen Füße mit Komplimenten bedacht, schließlich landete sie bei Onlyfans.

Ein Job mit Kundenkontakt

Der Arbeitsalltag der Darstellerinnen macht bewusst, dass bei allen Statistiken und Regulierungen sowohl auf der produzierenden als auch auf der konsumierenden Seite Menschen mit Gefühlen und Bedürfnissen sitzen. Das Stigma, dass sich lediglich Personen ohne sexuelle Kontakte in der Außenwelt an Onlyfans wenden, trifft nicht zu. Es menschelt: vom Studenten bis zum Manager – ab achtzehn plus ist alles dabei, erzählt Mary.

Monique berichtet von einer Erfahrung, die verdeutlicht, dass Onlyfans bei der Exploration der eigenen Sexualität eine Rolle spielen kann: Es sei nicht nur ein Disneyland für Erwachsene, sondern auch ein Ort mit niedriger Hemmschwelle, an dem man offen reden kann. Zur Pornografie mische sich hier eine gute Portion Psychologie. "Unter meinen Kunden ist ein Pärchen, bei denen es im Bett momentan nicht so gut funktioniert", sagt Monique: Mit einer Videoanleitung und ein paar Tipps habe sie etwas bewirken können. Das Erteilen der Ratschläge habe ihr Freude bereitet, die Partner haben sich anschließend per Nachricht bedankt.

Gesellschaftliche Stigmatisierung

Webcam- beziehungsweise Onlyfans-Arbeit fällt nicht unter das Prostitutionsgesetz. Gesellschaftlich wird es jedoch teilweise damit assoziiert und ist stark mit Vorurteilen behaftet. Mary erzählt, dass sie am Beginn ihrer Karriere mit erotischen Videos auch viele Freunde verloren hat: "Viele bekommen das in den falschen Hals und glauben gleich, du gehst auf den Strich, oder sehen sich ein Video an und glauben, dann du bist leicht zu haben."

Gesellschaftliche Stigmatisierung erfahren beide, wie auch Julia Köhl, Einrichtungsleitung bei Sophie Beratungszentrum für Sexarbeiterinnen, berichtet: "Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter erfahren leider nach wie vor in vielen Bereichen Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Immer wieder erreichen uns Berichte über Schwierigkeiten, ein einfaches Bankkonto zu eröffnen. Auch in öffentlichen Institutionen und Behörden erfahren viele Personen immer wieder Stigmatisierung aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit. Auch wissen nicht alle, dass Sexarbeit eine legale Erwerbstätigkeit in Österreich ist – mit all ihren Rechten und Pflichten."

Ebenjene Rechte und Pflichten manifestieren sich zum Beispiel in der verpflichtenden Anmeldung zur Selbstständigkeit und dem Versteuern des über Webcam- oder Onlyfans-Dienstleistungen erwirtschafteten Einkommens.

Karriere und Familie

Mary und Monique gehen mit ihrem Job professionell um. Das fehlende Großraumbüroflair hat dabei nichts mit der Legitimität der Einnahmequelle zu tun. Und trotzdem ist es teils schwieriger, Freunden und Familie vom Arbeitsalltag zu berichten. Mary Wet beschreibt ihre Erfahrungen mit einem Gedankenexperiment: "Stell dir vor, deine Tochter kommt irgendwann nach Hause und sagt, sie ist jetzt Pornodarstellerin." Beide Frauen gehen offen mit ihrem Beruf und den dadurch gemachten Erfahrungen um. Inwiefern sich Monique als Feministin sieht: "Ich fühle mich frei durch das, was ich mache, und ich zeige mich, wie ich will." Mit einer Webcam im Wohnzimmer eben. (Sophie M. Werner, 23.10.2022)