Der neue "lebende Sarg" in dem neu geschaffenen Bereich auf dem Wiener Zentralfriedhof.

Foto: Christian Fischer

Stein findet sich auf dem neuen Areal nur in Form von Orientierungshilfen, Grabsteine gibt es hier keine.

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Zwischen Tor zwei und Tor drei des Friedhofes weist ein Schild zu dem neuen Bereich.

Foto: Christian Fischer

Die "ultimative Naturbestattung" präsentierten Renate Niklas, Geschäftsführerin der städtischen Friedhöfe, und Jürgen Sild, Geschäftsführer der Bestattung Wien, am Freitag. Nunmehr kommen auf dem Zentralfriedhof der Hauptstadt zwei Neuerungen hinzu: ein weiteres Areal für Naturbestattungen, die bisher in drei verschiedenen Bereichen möglich waren, und verrottbare Särge, die für eine solche naturnahe Variante benützt werden können – denn diese war bisher nur in einer Urne möglich.

Wer keine Kremierung wünscht, kann fortan in einem "lebenden Sarg" aus Pilzgeflecht, eingebettet in Moos oder Leinen, begraben werden. Erlaubt sind in dem neuen Naturbestattungsbereich ausschließlich Bio-Särge ohne jegliche Metalle oder Synthetikeinsätze – oder eben Bio-Urnen, die bisher zum Einsatz gekommen sind.

Neues Areal

Die neue Fläche umfasst insgesamt 4.000 Quadratmeter Parkfläche, die bisher nicht als Grabstätte genützt worden sind. Vorerst entstehen hier 45 Gräber, wobei der Bereich gegebenenfalls im Laufe der Zeit ausgeweitet werden könnte, sagte Friedhof-Wien-Geschäftsführerin Niklas. Pro Grab können zwei Bio-Särge oder jeweils statt eines Sarges vier Bio-Urnen beigesetzt werden. Verabschiedungen wie jene bei traditionellen Beisetzungen bleiben bestehen, die Zeremonie findet unter freiem Himmel statt.

Am Eingang der neuen Friedhofsgruppe können Tafeln mit den Namen der Verstorbenen hinterlassen werden, an der Wand aus Totholz Blumen angebracht und in einer sogenannten Erinnerungsbox schriftlich festgehaltene Abschiedsgedanken deponiert werden. Auf den neuen Grabstätten wird Rindenmulch verteilt und Dauergrün gepflanzt. Beton findet sich hier nur mehr in Form von Orientierungssteinen.

Kein Stein

Mit dem Wiener Naturgrab komme man nun dem Wunsch vieler Menschen nach, vollkommen nachhaltig beigesetzt zu werden, sagte Niklas. Pro Jahr würden 5.000 Verstorbene auf den insgesamt 46 Friedhöfen der Stadt naturbestattet werden. Naturbestattungen machen 4,5 Prozent aller Beisetzungen aus – Tendenz steigend. Niklas geht davon aus, dass diese Zahl nun steigen werde, da eine naturnahe Variante nunmehr nicht mehr nur für jene möglich ist, die sich eine Feuerbestattung wünschen.

Nun ist zwar bekanntlich nichts so sicher wie der Tod, doch die Art der Grabgestaltung verändert sich allmählich. Immer mehr Menschen entscheiden sich für eine naturnahe Variante, weg von dicken Granitplatten, hin zu Pflanzenbewuchs.

Der neue "lebende Sarg" hat eine herkömmliche Form, enthält standardmäßig etwa ein Kopfkissen und wahlweise eine Decke aus Moos, und er sieht aus wie Styropor. Er besteht allerdings aus organischem Material, genau genommen aus Myzel, also Pilzgeflecht. Die Myzelien werden in einer geeigneten Passform ohne Einsatz von Wärme, Strom oder Licht herangezüchtet. Ist die Grundform des Sarges erreicht, wird das Geflecht getrocknet. Das Wachstum des Pilzes wird dabei unterbrochen und das Material in eine Art Ruhestand versetzt. Wird es in die Erde gelassen, belebt das Grundwasser das Myzelgeflecht wieder, der Pilz wächst und umschließt den toten Körper. "Die Verstorbenen kommen wieder in den Kreislauf der Natur zurück", beschreibt es Bestattung-Wien-Geschäftsführer Sild. Der Pilz baut die Schadstoffe im menschlichen Körper ab, der Sarg baut sich gänzlich ab und bereichert die Erde.

Niederländisches Start-up

Dieser Prozess wird wissenschaftlich von der Universität Wien sowie von der Boku Wien begleitet. Bekannt ist diese Methode auch aus Tschernobyl, wo Pilze zum Abbau von radioaktivem Material eingesetzt worden sind, um den Boden wieder fruchtbar zu machen.

Europaweit sei das neue Konzept der Naturbestattung mit dem neuen Sarg einzigartig, sagt Sild. Entwickelt hat den Pilzsarg das niederländische Start-up Loop Biotech, das eigenen Angaben zufolge bereits an die 300 Stück verkauft hat. Die Kooperation mit der Stadt Wien ist die erste große dieser Art. Bei der Produktion des Sarges wird kein CO2 produziert. In Zukunft soll der Sarg im jeweiligen Verwendungsland wachsen.

Die Kosten für den neuen Sarg liegen bei 990 Euro, die Grabpflege beläuft sich auf 192 Euro im Jahr, womit der Preis im Mittelbereich liegt. Der günstigste Holzsarg ist ab 300 Euro zu haben, der Preis für ein Urnengrab beginnt bei 29 Euro. (giu, 21.10.2022)