Im Gastblog schildert Mediator Ulrich Wanderer, wie bei Gesprächsverweigerung vermittelt werden kann.

"Mit dieser Person setze ich mich sicher nicht an einen Tisch!" Oft fällt dieser Satz im Erstgespräch. Insbesondere im Rahmen von Nachbarschaftsmediationen sind die Fronten durch manchmal jahrelange Konflikte verhärtet, sodass sich beide Seiten zwar im Recht sehen, doch keine Kommunikation mit dem Gegenpart suchen. Wenngleich dies eine suboptimale Voraussetzung für eine Mediation darstellt, bedeutet es noch nicht, dass nicht doch ein Versuch gewagt werden kann. Kreativität ist gefragt, von den Mediandinnen und Medianden ebenso wie auch seitens der Mediatorinnen und Mediatoren.

Gibt es dennoch Wege?

Grundsätzlich ist neben der Freiwilligkeit auch die Anwesenheit aller beteiligten Personen ein wichtiges Wesensmerkmal der Mediation. Das klassische Setting von zwei Parteien mit einer Mediatorin oder einem Mediator beziehungsweise einem Doppel in Co-Mediation bildet sicherlich einen absoluten Großteil der Fälle ab. Und doch gibt es immer wieder jene Fälle, die mit dem eingangs beschriebenen Satz beginnen. Die Wut auf das Gegenüber ist zu groß, der Frust zu lange aufgestaut, sodass man sich ein offenes Gespräch nicht vorstellen kann. Soll deswegen die Mediation gleich abgesagt werden, oder gibt es die Möglichkeit, dem Bedürfnis der Parteien nach einem Ausweg in ihrem Konflikt nicht dennoch nachzukommen?

Wie umgehen mit einer Konfliktsituation, wenn die Parteien sich nicht auf ein Gespräch einlassen?
Foto: Imago/Ute Grabowsky/photothek

Die Shuttlemediation

Die sogenannte Shuttlemediation geht von der zwingenden Notwendigkeit der Gegenwart aller Beteiligten zu jedem Zeitpunkt der Mediation ab und setzt auf den Weg der Einzelgespräche. Die Mediatorin oder der Mediator führt dabei Vieraugengespräche mit den Parteien und übermittelt in weiterer Folge dann die Anliegen an die jeweils andere Seite. So ist es einerseits möglich, einem konfrontativen Streit aus dem Weg zu gehen, andererseits ermöglicht es dem Mediator oder der Mediatorin, die Aussagen der Parteien durch Reframing auch für die Gegenseite annehmbar zu machen.

Praxisbeispiel

Familie A hatte sich schon öfter über die über ihnen lebenden Bs beschwert. Regelmäßig würden Erde und Pflanzenreste vom Balkon auf die Terrasse der As fallen, wobei sie sich insbesondere über den kleinen Sohn sorgen würden, der altersbedingt alle bisher unbekannten Gegenstände auf ihren Geschmack hin testen wollte. B hatte für die Bedenken der As nur bedingtes Verständnis, vielmehr bestand sie im Erstgespräch darauf, dass sie und ihre Balkonpflanzen schon viel länger in der Anlage wären als die Beschwerdeführer. "Die haben doch genau gewusst, dass über ihrer G'stettn ein Balkon mit schönen Blumen ist, jetzt brauchen sie sich nicht aufregen, wenn ich die Pflanzen gieße oder wenn der Sturm da einmal was runterhaut! Ich setz mich mit denen sicher nicht zusammen, das können's gern ausrichten!" Um Bewegung in diese angespannte Situation zu bringen, besprach der Mediator die Situation erst in einem Einzelgespräch mit der beschwerdeführenden A. Einerseits konnte er sich so ein Bild hinsichtlich der Gegebenheiten vor Ort machen, andererseits bekam Frau A so auch das Gefühl vermittelt, in ihren Bedenken und Anliegen gehört zu werden.

Das Gespräch mit Frau B gestaltete sich in weiterer Folge etwas anders. B rechtfertigte sich und gab insbesondere auch der Bauweise der Wohnhausanlage Mitschuld an der Misere. Sie sprach von einem Windkanal, welcher dafür sorgen würde, dass ihre langstieligen Blumen das eine oder andere Mal aus den Blumentöpfen gerissen würden, was sie massiv nerven würde. Hier konnte der Mediator einhaken und machte den Vorschlag, die langstieligen Pflanzen gegen kürzere zu ersetzen, die dem Wind auch weniger Angriffsfläche bieten würden. "Aber ich mach das sicher nicht wegen 'dera' da unten!"

Nachdem so eine Verbesserung im Sinne beider Parteien herbeigeführt werden konnte, zeigte sich auch A beruhigt. Zwar konnte die Nachbarschaft der beiden Parteien nicht nachhaltig verbessert werden, doch zumindest war die bis dahin bestehende Kindeswohlgefährdung durch die herabfallenden Pflanzenteile gebannt. Es kam zwar auch in weiterer Folge nicht zu einer Aussprache zwischen den Parteien, doch gaben sich beide Seiten mit der Deeskalation der Situation vorerst zufrieden und nahmen das Angebot des Mediators an, sich bei neuen Problemen direkt an ihn zu wenden und nicht den Umweg über die Hausverwaltung, die Polizei oder das Gericht zu bemühen.

Der Tatausgleich als Beispiel für Shuttlemediation

Ein wesentlicher Schauplatz der Shuttlemediation ist auch der Tatausgleich im Rahmen der Diversion. Hier finden Gespräche mit Täter oder Täterin und Opfer erst getrennt statt, um möglicherweise in weiterer Folge auch ein gemeinsames Treffen vorzubereiten. Dieses ist jedoch nicht wesentlicher Bestandteil, sondern nur einer von mehreren Ausgängen dieses Settings.

Chance und Verantwortung der Shuttlemediation

Wenden sich Konfliktparteien an einen Mediator oder eine Mediatorin, so wurden in der Regel bereits andere Versuche zur Durchsetzung der höchstpersönlichen Interessen unternommen, die offenkundig zum Scheitern verurteilt waren. Die Verantwortung der Mediation, welche im Vertrauen der Parteien begründet liegt, darf hier nicht geringgeachtet werden. Selbst wenn sich die Medianden und Mediandinnen nicht einmal darauf einigen können, im gleichen Raum zu sitzen, gibt es im Rahmen der Shuttlemediation Chancen, die jeweiligen Standpunkte zu hören und bisher nicht entdeckte gemeinsame Ziele ausfindig zu machen.

Verantwortung der Mediatorinnen und Mediatoren

Ein wesentlicher Benefit des klassischen Mediationssettings ist die Möglichkeit, die Kommunikation zwischen den Streitparteien wieder in Gang zu bringen und Verständnis für die jeweils andere Situation zu erzeugen. Bei einer völligen Gesprächsverweigerung seitens einer (oder auch beider Parteien) besteht dennoch die Möglichkeit, im Rahmen der Shuttle- oder auch Pendelmediation die Standpunkte, Motive und Bedürfnisse der Parteien wechselseitig zu übermitteln. Es ist dabei die Aufgabe der Mediatorinnen und Mediatoren, den richten Mittelweg zwischen authentischer Weitergabe des Inhalts und jenem Wording zu finden, das eine Fortführung des Kontakts ermöglicht und vielleicht in weiterer Folge sogar einen direkten Gesprächsdraht entstehen lassen kann. (Ulrich Wanderer, 24.10.2022)