Johannes Wareka verpackt und etikettiert jährlich rund 50 Milliarden Lebensmittel, Getränke und Weine. Heuer zog der Krieg in sein Traiskirchner Familienunternehmen Marzek ein. Bereut hat er Investitionen in der Ukraine nie.

Johannes Wareka: "Ich fühle mich für meine Leute in Dnipro verantwortlich."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Wie geht es Ihren 130 Mitarbeitern in der Ukraine?

Wareka: Sie sind tapfer, halten zusammen, sind Meister des Improvisierens und arbeiten an sieben Tagen die Woche, wenn es darauf ankommt. Es gibt regelmäßig Fliegeralarm, wir haben unter der Produktion einen Bunker mit Internetzugang. Der Schrecken wurde zur Normalität. Zwei unserer Leute wurden einberufen. Ein Mitarbeiter ist gefallen. Er war 41, ein lieber Mensch, der half, wenn er gebraucht wurde. Er hinterlässt eine Familie, ein Kind.

STANDARD: Sie produzieren in Dnipro Etiketten für die ukrainische Lebensmittelindustrie. Die Stadt wurde zuletzt von Raketen getroffen.

Wareka: Ich bin mit den Mitarbeitern über Social Media vernetzt und erhalte einmal täglich einen Bericht, ob es Fliegeralarme, Bomben, Raketen gab, und darüber, was wir produziert haben. Heute wurden vier russische Missiles abgeschossen, zwei trafen die größte elektrische Infrastruktur der Stadt. Es gab daher Stromausfälle. Unsere Maschinen wurden für eineinhalb Stunden abgedreht. Danach wurde wie geplant weitergearbeitet.

STANDARD: Ihr Betrieb ist systemerhaltend. Wie halten Sie ihn am Leben?

Wareka: Es gibt in der Ukraine enge Beziehungen zu Geschäftspartnern. Wir hatten etwa noch Kundenforderungen beim Einmarsch der Russen und haben vorsichtshalber die Hälfte abgeschrieben. Mittlerweile haben wir mehr als 90 Prozent des Geldes erhalten – obwohl manche Betriebe gar nicht mehr produzieren. Sie fühlten sich dennoch verpflichtet, einzuhalten, was sie zusagten.

STANDARD: Funktionieren der Zahlungsverkehr, die Transporte?

Wareka: Wir liefern auf Vorauskasse, haben größere Lager aufgebaut. Wir brauchen keine Gewinne. Dennoch ist der Betrieb liquide genug, um sich auf eigenen Beinen zu halten. Einige unserer Kunden produzieren nicht mehr. Wir übernahmen jedoch Aufträge von Branchenkollegen, die in Gegenden sind, wo sie nicht mehr fertigen können. Unser Umsatz ist trotz allem auf Vorjahresniveau, wobei Materialkosten stiegen. Und wir bezahlen unseren Leuten heuer höhere Fixbeträge.

Johannes Wareka: "Helfen wollen viele – solange es nicht um das eigene Geldbörsel geht und man im eigenen Ort keine Flüchtlinge hat."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Wie stark hat der Krieg den Konsum im Land verändert?

Wareka: Ich glaube, dass die finanzielle Kluft innerhalb der Bevölkerung gewachsen ist. Es gibt in Dnipro viele Binnenflüchtlinge, in der Folge wurden die Unterkünfte teurer. Unsere Aufträge wurden andere. Es braucht etwa mehr Trinkwasser, Lebensmittel wurden einfacher.

STANDARD: Was, wenn Sie Ihre Produktion in Dnipro verlieren?

Wareka: Passiert etwas, blutet mein Herz. Aber wir haben keine Kredite. Alles ist 100 Prozent Eigenkapital. Unsere Liquidität würde es nicht beeinflussen. Was wir investiert haben, floss zurück. Das Werk ist der Gewinn der vergangenen 13 Jahre.

STANDARD: Sie erlebten in der Ukraine schon vor dem Überfall der Russen Krieg auf kleiner Flamme. Haben Sie die Risiken unterschätzt?

Wareka: Es ist spannender, sich in Wachstumsmärkten zu bewegen als in stagnierenden. Ich sehe die strategischen Aussichten: Wir sind kein Konzern, der Quartalsbilanzen abliefern muss, sondern ein Familienbetrieb, der in Generationen denkt.

STANDARD: Ein Rückzug aus der Ukraine kommt für Sie nicht infrage?

Wareka: Jetzt wäre nicht gerade der ideale Zeitpunkt für einen Verkauf. Und ich fühle mich für meine Leute dort verantwortlich. Wir überlegen gemeinsam, wie wir in den Wiederaufbau investieren können. Wenn das alles vorbei ist, wird ein Wirtschaftsaufschwung kommen.

STANDARD: Was, wenn Sie in Russland produzieren würden?

Wareka: Ich bin froh, darüber nicht entscheiden zu müssen. Ich verstehe, dass man zu seinen Mitarbeitern steht, sie nicht aus einer Staatsräson heraus auf die Straße setzen will.

Helga Marzek machte den Familienbetrieb mit Weinetiketten groß. Ihr Neffe Johannes Marzek baute neue Standbeine in Ungarn und der Ukraine auf.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sie haben selbst ukrainische Flüchtlinge bei sich aufgenommen. Was wurde aus ihnen?

Wareka: Es waren zwei Damen mit ihren Haustieren. Eine lernte sehr schnell Deutsch. Die andere hatte ein Geschäft in der Ukraine, war nie zuvor im Ausland und musste als Bittstellerin nach Österreich kommen. Sie tat sich schwer, hier Wurzeln zu schlagen, und kehrte nach drei Monaten zurück nach Kiew.

STANDARD: Österreich fehlen ausreichend feste Unterkünfte, der Bund will Zelte aufstellen. Was läuft hier falsch?

Wareka: Helfen wollen viele – solange es halt nicht um das eigene Geldbörsel geht und man im eigenen Ort keine Flüchtlinge hat. Es ist schade, dass wir in Österreich keine Solidarität, keine einheitliche Linie zwischen Bund und Ländern erreichen, dass es immer wieder ein budgetäres Hickhack gibt. Es ist wie eine heiße Kartoffel, die jeder gerne dem anderen zuschiebt.

STANDARD: Fühlten Sie sich als Unterkunftgeber vom Staat unterstützt?

Wareka: Unsere Flüchtlinge wurden gut unterstützt. Wir nicht, aber ich habe keinen aufgenommen, um damit Geld zu verdienen.

STANDARD: Wie erleben Sie die Stimmung in Traiskirchen mit seinem Erstaufnahmezentrum für Asylwerber?

Wareka: Die Bevölkerung hat sich daran gewöhnt. Es ist ein Nebeneinander, ein Miteinander, vielleicht vereinzelt ein lokales Geschäft. Um Leuten, die hier ankommen, helfen zu können, muss man sich aber der Interkulturalität bewusst sein. Ich bin froh, diese zu haben. Meine Frau kommt aus Peru, unsere vier Kinder wuchsen zweisprachig auf, wir sind immer viel gereist.

STANDARD: Ihre Branche gilt als krisensicher. Lebensmittel braucht es immer, diese müssen etikettiert werden. Kam Ihr Betrieb gesund durch Corona?

Wareka: Es war eine Hochschaubahn. Anfangs wurden wir mit Aufträgen überhäuft, wir arbeiteten an Wochenenden durch. Dann gab es Durchhänger, bis die Materialkosten explodierten. Wir selbst sind oft in einer Sandwich-Position zwischen großen Lieferanten und Kunden.

STANDARD: Papier wurde knapp und exorbitant teuer. Ist man als Produzent dazu gezwungen zu hamstern?

Wareka: Absolut. Lieferzeit war auf einmal vier Monate, die Preise dafür wurden nicht mehr garantiert. Zuletzt hieß es: alle Lieferungen nach dem 21. Oktober plus zehn Prozent.

STANDARD: Wie viel an Spekulation steckt in der Preishausse?

Wareka: Papier ist energieintensiv. Wer Energie von außen bezieht, bezahlt ein Vermögen. Wer seine eigenen Kraftwerke hat, gehört zu den Gewinnern. Solange Knappheit vorherrscht, orientiert sich der Marktpreis an den höchsten Kosten. Das darf man niemandem übelnehmen.

Johannes Wareka über die Kunst der Verpackung: "Es ist wie bei Menschen. Manche richten sich fein her und reden schön. Klopft man ein bisserl dran, denkt man sich: "Jössas na."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Die Teuerung bremst den Konsum. Wie schlägt das auf Verpackung und Etikettierung durch?

Wareka: Es werden in Supermärkten vermehrt Eigenmarken gekauft, die teils günstiger erzeugt werden.

STANDARD: An die 70 Verpackungen gehen im Schnitt jeden Tag durch die Hände eines Österreichers. Diese werden zu Bergen an Abfall.

Wareka: Viele sehen sie als Müll, sie erfüllen aber viele Funktionen. Eine Gurke etwa hält in Folie sieben Mal länger. Ist es klüger, sie unverpackt nach drei Tagen im Geschäft wegzuwerfen? Plastik ist schlecht – das zergeht auf der Zunge. Um dieses Feindbild zu verstehen, muss ich nicht studieren. Dadurch kam es jedoch zu Auswüchsen wie ein auf Teufel-komm‘-raus-Recyceln. Klar braucht es Kreislaufwirtschaft, vieles aber ist ein Politikum. Fernreisen sind im Vergleich zu Plastik ganz andere Sünden.

STANDARD: Sie sehen Verpackung vielmehr als ein Instrument der Kommunikation?

Wareka: Sie gibt sofort ein Gefühl über die Wertigkeit eines Produkts, über seine Qualität. Rational einkaufen zu gehen wäre viel zu komplex.

STANDARD: Warum schlägt Schönheit viel zu oft den Inhalt?

Wareka: So sind wir programmiert. So ist es auch bei Menschen. Manche richten sich fein her und reden schön. Klopft man ein bisserl dran, denkt man sich: "Jössas na." Es gibt aber auch Gespür für Authentizität.

STANDARD: Sie arbeiten in vierter Generation. Wie schützt man Unternehmen vor familiären Konflikten?

Wareka: Es ist wie beim Autofahren. Es kann nicht sein, dass einer das Lenkrad, der Zweite die Bremse, der Dritte das Gaspedal hat – und man nicht miteinander spricht. Ich sehe auch große Vorteile durch Stiftungen. Sie sind wie ein Puffer, die ein weiteres Zersplittern verhindern.

STANDARD: Werden Ihnen Ihre Kinder als Geschäftsführer nachfolgen?

Wareka: Wir sind keine Monarchie. In Zeiten wie diesen darf man nicht in Positionen, die man nicht gut ausführen kann. Drei meiner Kinder sind im Unternehmen. Auch mein Neffe hat Kinder. Wichtig ist gute Zusammenarbeit. Und man sollte nicht immer alles zu ernst sehen. (Verena Kainrath, 23.10.2022)