Das Flüchtlingsthema und damit verbundene Protestnoten haben in St. Georgen im Attergau lange Tradition.
Foto: Werner Dedl

Ein Blick in die Ortschronik offenbart: Das Flüchtlingsthema und damit verbundene Protestnoten haben in St. Georgen im Attergau eine durchaus lange Tradition. Im Jänner 1955 etwa war das internationale Medieninteresse an der Marktgemeinde nahe dem Attersee weltweit groß. So titelte die Bunte Illustrierte damals: "Österreichs Don Camillo läutet Sturm", und der Stern verkündete auf der Titelseite: "Der Pfarrer von St. Georgen hängt das Flüchtlingselend an die große Glocke". Geschuldet war die mediale Aufregung einer Aktion des damaligen Ortspfarrers Felix Baumgartner.

Schweigende Glocken

Als dieser im Herbst 1954 eine Wohnung für eine Flüchtlingsfamilie suchte und bis zum Winter keine fand, kam es zum Eklat. Beim Sonntagsgottesdienst am 23. Jänner 1955 verkündete Hochwürden von der Kanzel, dass er zu Mittag eine Viertelstunde die Glocken läuten lassen würde und dann die Glocken so lange stumm blieben, bis für die Familie eine Wohnung gefunden würde. Die Aktion zeigte Wirkung, nach zwei Tagen konnte die Flüchtlingsfamilie aus einer Baracke in zwei leerstehende Gästezimmer eines Gasthofes ziehen.

Bier, Spritzer und viel Emotion

68 Jahre später ist die Flüchtlingssituation im Ort immer noch eine schwierige. Doch längst reicht kein Verstummen der Kirchenglocken mehr aus, um die Stimmung unter den 4476 Einwohnern zu befrieden. Der Freiluftstammtisch im Gasthaus Platzl im Ortszentrum ist an diesem warmen Oktobertag bereits am späten Vormittag gut gefüllt. Bier, Spritzer und viel Emotion geben den Takt in der Runde vor. Wie die Stimmung im Ort aktuell sei? "Scheiße natürlich", antwortet ein älterer Herr mit Sonnenbrille knapp. "Schauen Sie sich doch bei uns im Ort um. Überall sitzen die herum, da wird gefladert, geschnorrt. Es sind zu viele – und immer wieder kriegen wir mehr", setzt eine rüstige Dame nach.

Die eigenen Namen wolle man jedenfalls nicht in der Zeitung lesen. "Da wird sowieso alles verdreht. Und unterm Strich sind wir Rassisten und ausländerfeindlich." Was aber überhaupt nicht stimme. "Natürlich muss man jenen helfen, die aus einem Kriegsgebiet flüchten. Aber wer kommt denn jetzt zu uns – Inder, Pakistani, Marokkaner. Herrscht dort Krieg, hab ich da was überlesen? Wir können doch nicht die ganze Welt retten. Über St. Georgen fährt die Politik einfach drüber."

Zeltplatzprobleme

Dass die Wogen in St. Georgen aktuell wieder so hochgehen, hat einen Grund: die überraschende Entscheidung, in der Erstaufnahmestelle Thalham Zelte für Flüchtlinge aufzustellen. Das Areal liegt ein wenig abseits des Ortszentrums. Umgeben von schmucken Einfamilienhäusern. Eine junge Frau ist an diesem Morgen damit beschäftigt, Müll von ihrem Garagenplatz zu räumen. "Heftig" sei es im Moment, erzählt die Anrainerin, die ebenfalls anonym bleiben will. Und wieder kommt gleich zu Gesprächsbeginn diese reflexartige Entschuldigung: "Ich bin absolut nicht ausländerfeindlich. Ich bin neben dem Flüchtlingslager aufgewachsen. Wir alle haben hier damit leben gelernt."

Aber die Lage habe sich gerade in den vergangenen Wochen extrem zugespitzt. "Wenn der Müll ständig über den Zaun in meinen Garten geworfen wird, die Musikboxen in der Nacht so laut aufgedreht werden, dass meine Kinder nicht schlafen können, die jungen Männer in der Dunkelheit über den Zaun springen, sich außerhalb der Erstaufnahmestelle betrinken und dann vor unserer Garage schlafen. Da verzweifelst du einfach." Es sei sicherlich eine Minderheit, mit der das Zusammenleben schwierig sei. Aber es reiche, damit das Sicherheitsgefühl dahin sei. "Als Frau gehst du in der Dunkelheit heute einfach nicht mehr alleine vor die Tür."

"Warum immer St. Georgen?"

Im Ort ist mittlerweile die tägliche Siesta der Gewerbetreibenden vorbei. Vor der Trafik von Martin Köppl, gleich direkt neben dem Gemeindeamt, hat sich schon eine Traube gebildet. Menschen, die augenscheinlich keine gebürtigen St. Georgener sind. Für Trafikant Köppl heißt das an diesem Nachmittag wieder einmal Blockabfertigung: "Bei Gruppen von zehn Personen lasse ich immer nur zwei Asylwerber gemeinsam ins Geschäft, dann sperr ich die Türe zu. So habe ich den Überblick, ob wer was einsteckt."

Die Lage im Ort würde sich deutlich entspannen, wenn Familien kämen, glaubt der Trafikant. Aber: "Es sind ja fast nur junge Männer. Ich habe ein ungutes Gefühl, wenn ich am Abend aus dem Geschäft gehe. Man hat mir schon aufgelauert und wollte Zigaretten." Angesprochen auf die Zelte ist für Köppl klar: "Katastrophe. Eine einzige Verarschung. Warum immer St. Georgen? Mir is das letztlich wurscht, wenn andere Bundesländer die Quote nicht einhalten."

Bürgermeister Ferdinand Aigner (ÖVP) hält das Aufstellen der Zelte in der Erstaufnahmestelle Thalham für die "dümmste Lösung" und plant scharfe Protestmaßnahmen bis hin zu einer möglichen Sperre der Westautobahn. Denn eines sei jetzt klar: "Der Kelomat wird pfeifen."
Foto: Werner Dedl

Die Hauswand des benachbarten Gemeindeamtes ziert der Spruch "Dieses Haus und unser Land – Schirm es Gott mit starker Hand". Doch auf Gott alleine will Ferdinand Aigner im Moment nicht vertrauen. Seit 2015 ist er ÖVP-Bürgermeister von St. Georgen – und der Mann mit der stattlichen Figur hat damit leben gelernt, der Puffer zwischen Bund, Land und Gemeinde zu sein.

Kinder sind willkommen

Vom Bund wurde Aigner in der Zelt-Angelegenheit einfach überrollt, vom Land und "seiner" ÖVP ist Aigner aktuell schwer enttäuscht, und den Bürgern von St. Georgen fühlt er sich verpflichtet. "Man kommt schon absolut an seine persönlichen Grenzen. Aber ich bin bereit zu kämpfen, dafür wurde ich gewählt. Wir lassen uns das sicher nicht gefallen." Natürlich habe es in den letzten Tagen vonseiten der ÖVP "Versuche" gegeben, ihn "unter Druck zu setzen" und etwa die geplanten Protestmaßnahmen an der Westautobahn abzusagen. "Aber ich geh da nicht in die Knie."

Obwohl auf den ersten Blick die Probleme rund um die Erstaufnahmestelle das Ortsbild zu prägen scheinen, lohnt ein zweiter Blick. Denn St. Georgen ist auch ein Tourismus- und Kulturort. 1973 bezogen etwa Alice und Nikolaus Harnoncourt samt Familie den alten Pfarrhof. Aktuell spiegelt die Marktgemeinde im Attergau eine Diskussion wider, die insbesondere mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine wieder so richtig in Fahrt gekommen ist.

Gelungene Integration

Gute Flüchtlinge, böse Flüchtlinge. Jene, die man mit offenen Armen empfängt, und jene, die man schnell auf ein Problem reduziert. Auch St. Georgen hat diesbezüglich zwei Seiten. Denn es gibt hier auch Beispiele gelungener Integration.

Das ehemalige Sanatorium "Am Kogl" liegt wenige Autominuten entfernt vom Gemeindezentrum auf einer Anhöhe. Die Bewohner sind seit März dieses Jahres deutlich jünger geworden. 62 Kinder aus einem Waisenhaus aus der ostukrainischen Stadt Donezk leben derzeit in dem großen Gebäude.

Sozialarbeiter Feras Al Gadahi beim Ballspiel mit ukrainischen Waisenkindern.
Foto: Werner Dedl

Viel Unterstützung

Herr der Lage ist Feras Al Gadahi. Der Sozialarbeiter ist stellvertretender Leiter der Einrichtung. Die Unterstützung aus der Bevölkerung sei "unglaublich", erzählt Al Gadahi. "Die Menschen aus St. Georgen kommen regelmäßig zu uns und fragen, ob alles gut läuft. Auch, ob wir was brauchen und wo sie uns helfen können. Dafür sind wir dankbar."

Lenkt man aber das Gespräch auf die Erstaufnahmestelle Thalham, wird der Sozialarbeiter plötzlich wortkarg: "Dazu will ich nichts sagen. Uns geht es gut hier."

Integrationsunwillen bei den St. Georgenern

Auf der Fahrt zurück in der Ort erscheint der Zwiebelturm der Kirche im Blickfeld. Fünf Glocken läuten darin regelmäßig. Als Druckmittel für eine bessere Flüchtlingsbetreuung hat das Geläut im Haus Gottes längst ausgedient.

Die Bewohner der Erstaufnahmestelle prägen das Ortsbild. Unter den St. Georgenern macht sich langsam Integrationsunwillen breit. Deutlich offener geht man mit 62 ukrainischen Waisenkindern (links oben) um. Sozialarbeiter Feras Al Gadahi (oben) hält in der aktuellen Asyldebatte den Ball flach: "Uns geht es gut hier." (Markus Rohrhofer, 22.10.2022)

Der Aufschrei war groß, als in St. Georgen im Attergau das Innenministerium Zelte zur Unterbringung von Flüchtlingen aufstellen ließ. DER STANDARD hat sich die Situation vor Ort angesehen.
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