Welcher Wind in Rom wehen wird, das lässt sich jetzt schon ansatzweise erkennen: Wenn Giorgia Meloni von Italien spricht, dann sagt sie konsequent: "questa nazione" – diese Nation. Das ist völlig ungebräuchlich: Normalerweise sagen die Italienerinnen und Italiener: "questo paese" – dieses Land. Worte und Bezeichnungen sind immer auch Symbole; sie transportieren Wertvorstellungen, grenzen aber auch ab. Spricht Meloni von "nazione", schwingt Patriotismus mit – aber auch Nationalismus. Sie will dem Land, oder vielmehr der "nazione", nichts anderes signalisieren als: Ab nun gilt "Italy first".

Die Neue und der Alte: Giorgia Meloni übernahm die Regierungsgeschäfte von Mario Draghi.
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Vielsagend ist auch die Umbenennung einzelner Ministerien durch die am Wochenende vereidigte neue Regierung. So heißt das frühere Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung nun "Ministerium für Unternehmen und Made in Italy". Das lässt eine protektionistische Wirtschaftspolitik erahnen.

In dieselbe Richtung geht die neue Bezeichnung für das "Ministerium für Landwirtschaft und Lebensmittelsouveränität". Das klingt nach Selbstversorgung und Autarkie, ein Lieblingsthema der Rechten Italiens, und der "Corriere della Sera" fragt sich bereits voller Sorge (und Ironie), ob denn nun in Italien bald keine Ananas, Bananen, Papayas und Mangos mehr zu kaufen sein werden, weil diese ja hier nicht wachsen.

Neue Namen und Klischees

Unfreiwillig komisch ist der neue Name des bisherigen Ministeriums für den Mezzogiorno, den mäßig entwickelten Süden Italiens: Es heißt nun "Ministerium für den Süden und das Meer". Es fehlen bloß noch Strand, Sonne, Mandolinen, und man wäre beim plattesten aller Italien-Klischees angelangt.

Ein ernstes Problem – der Bevölkerungsrückgang infolge der niedrigen Geburtenrate – wird mit der Namensänderung des Ministeriums für Familie und Gleichstellung angesprochen: Es wird um den Zusatz "natalità" – Geburtenrate – erweitert. Geführt wird das Ressort von Eugenia Roccelli, einer ehemaligen Feministin, die sich zur militanten Gegnerin von Abtreibung, eingetragenen Partnerschaften und Sterbehilfe gewandelt hat. Roccelli ist Melonis wohl umstrittenste Personalentscheidung.

Generell kann man sagen, dass Meloni ihr Versprechen, eine "kompetente und nicht angreifbare" Regierungsmannschaft zusammenzustellen, nicht eingelöst hat: Das überwiegend männliche Kabinett mit nur sechs Frauen und zahlreichen älteren Herren erscheint von eher mäßiger Qualität. Nicht weniger als elf der 24 Minister und Ministerinnen haben schon in der vierten und letzten Regierung von Silvio Berlusconi gedient, die 2011 mit dem finanziellen Beinahekollaps Italiens ein unrühmliches Ende nahm.

Je fünf Ministerien hat Meloni ihren Koalitionspartnern – Berlusconis Forza Italia und der Lega von Matteo Salvini – zugestanden; neun hat sie mit eigenen Leuten besetzt. Die restlichen Ressorts werden "technisch" von Experten geführt. Und auch ein bisschen Vetternwirtschaft fehlt nicht: Landwirtschaftsminister ist Melonis Schwager Francesco Lollobrigida, Großneffe von Filmstar Gina Lollobrigida.

Schlüsselressorts bleiben ...

Immerhin: Das Außen- und das Finanzministerium hat Meloni mit Persönlichkeiten besetzt, die in Brüssel Vertrauen genießen und in ihren Bereichen für eine Weiterführung der "Agenda Draghi" stehen.

Neuer Außenminister ist Antonio Tajani (Forza Italia), ehemaliger Präsident des Europaparlaments. Tajani hat zwar durch die kürzlich wieder einmal bekundete problematische Nähe Berlusconis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht gerade an Glaubwürdigkeit gewonnen. Aber kaum im Amt, hat er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj angerufen und ihm versichert, dass Italien auch unter der neuen Regierung an der Seite Kiews stehen werde. Auch Meloni hat gleich nach ihrer Vereidigung durch Staatspräsident Sergio Mattarella versichert, dass Italien ein verlässlicher Bündnispartner der Nato und der EU bleiben und die Ukraine weiterhin unterstützen werde.

... in bewährten Händen

Verlässlichkeit soll auch Finanzminister Giancarlo Giorgetti garantieren – das ist bei Italien, das mit annähernd 3.000 Milliarden Euro verschuldet ist und damit das Potenzial hat, die ganze Eurozone in den Abgrund zu reißen, nicht unerheblich. Lega-Mann Giorgetti war schon unter Mario Draghi von diesem sehr geschätzter Minister für wirtschaftliche Entwicklung. Der Betriebsökonom ist, wie Draghi, ein Absolvent der Mailänder Eliteuniversität Bocconi und gilt innerhalb der Lega als Widersacher von Rechts-außen-Parteichef Matteo Salvini (Infrastruktur- und Verkehrsminister).

Giorgetti schaffte als Einziger den Sprung aus der alten in die neue Regierung. Ob er und Tajani ihre bisherige Unabhängigkeit von ihren unberechenbaren Parteichefs werden bewahren können – das ist derzeit die große Frage in Rom. Für Italien und für Europa wird viel davon abhängen. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) gratulierte jedenfalls Italiens neuer Premierministerin Meloni und freute sich in einer Aussendung auf eine "gemeinsame Zusammenarbeit" als Nachbarn. (Dominik Straub aus Rom, 23.10.2022)