In Kiew wird nun auch gezielt der Strom abgedreht, um das Netz zu schützen.

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Kiew – Russland kommt nun täglich deutlicher unter Druck der ukrainischen Gegenoffensive. Übers Wochenende haben die von Moskau eingesetzten Behörden alle Zivilisten in der südukrainischen Stadt Cherson aufgefordert, "sofort" zu fliehen. Am Sonntag wurde bekannt, dass nun offenbar auch die russischen Offiziere aus der Stadt abgezogen werden – weitere Indizien dafür, dass die einzige russisch besetzte Regionalhauptstadt zurück an die Ukraine fallen könnte.

Aus Kiew hieß es, dass die russischen Streitkräfte sämtliche Kommunikationskanäle aus der Stadt kappen. Damit soll verhindert werden, dass die Menschen vor Ort den Truppen der Ukraine Informationen weiterleiten. "In Zukunft planen die Russen, dass die Stadt vollkommen ohne Kommunikation, Fernsehen und Radio zurückbleibt", heißt es von den ukrainischen Behörden.

Die Sorge um das Wasserkraftwerk Kachowka ist seit vergangener Woche nicht abgeebbt. Nun gehen auch US-Geheimdienstquellen davon aus, dass die russischen Streitkräfte den Staudamm nahe Cherson in die Luft sprengen und eine Katastrophe auslösen könnten. Denn der Damm fasst rund 18 Millionen Kubikmeter Wasser. Laut ukrainischer Rechnung würden mehr als 80 Städte überflutet, die Wasserversorgung zur besetzten Halbinsel Krim unterbrochen und das Kühlsystem für das AKW Saporischschja beeinträchtigt werden.

Die Sprengung des Staudamms ist nur eine Möglichkeit, wie eine verzweifelte russische Armee versuchen könnte, die ukrainischen Truppen aufzuhalten. Laut Medienberichten und Informationen des britischen Verteidigungsministeriums sichert Moskau seine besetzten Gebiete mit Söldnern ab.

"Wagner-Linie"

Bereits Mitte Oktober hatte der Chef der berüchtigten Söldnereinheit Wagner, Jewgeni Prigoschin, ein solches Vorgehen angekündigt. Mit Panzerabwehrsystemen und Gräben würde die südöstliche Stadt Kreminna in der Region Luhansk abgesichert. Auch bei der Stadt Hirske soll eine vierreihige Anti-Panzer-Linie aus Betonpyramiden entstanden sein, die von russischen Medien als "Wagner-Linie" bezeichnet wird. Zurzeit ist die Befestigung rund 1,6 Kilometer lang, soll aber noch weiter ausgebaut werden.

Über das Wochenende gingen auch die russischen Angriffe auf die Energieversorgung der Ukraine weiter. Alleine am Samstag wurden laut Präsident Wolodymyr Selenskyj mehr als ein Dutzend Einrichtungen durch russische Geschosse getroffen. Das habe zu weitreichenden Stromausfällen geführt, sagte der ukrainische Präsident in seiner täglichen Videoansprache. Zum Teil – etwa in der südlichen Region Odessa oder im Westen in den Regionen Chmelnyzkyj und Riwne – konnte die Stromversorgung mittlerweile wiederhergestellt werden.

Doch vor allem in der Hauptstadt Kiew stellt sich die Bevölkerung nun auf geplante Unterbrechungen in der Versorgung ein.

Der nationale Stromversorger Ukrenegro hatte ebensolche angekündigt, um "Unfälle zu vermeiden". Dazu wurden die Haushalte Kiews in drei Gruppen unterteilt, die ab 11.13 Uhr lokaler Zeit nacheinander für gewisse Zeit vom Netz genommen wurden. (bbl, 23.10.2022)