Als Susanna Lloworikio in den Fluss steigt, wird sie nicht nass. Ihre Füße werden nur noch staubiger. Mit jedem Schritt durch das trockene Flussbett wirbelt die rund 40-jährige Frau mehr Sand auf. Zum Wasserloch muss sie noch weiter gehen, denn seit Jahren hat es in ihrem Dorf Suiyian nicht mehr wirklich geregnet – und die ganze Region Nordkenias ist von extremer Dürre bedroht.

Die Frauen wandern durch das ausgetrocknete Flussbett.
Foto: STANDARD / Bianca Blei

Zwanzig Minuten sind es vom Dorf in der Grenzregion zwischen den verfeindeten Samburus und den Turkana-Stämmen zur nächsten Wasserstelle. In dem mit Händen und einfachem Werkzeug gegrabenen Loch wartet ein Dorfbewohner bis zur Hüfte im schlammigen Wasser. Er übernimmt die gelben Kanister der Frauen und füllt sie bis obenhin. 20 Liter schleppen die Bewohnerinnen Suiyians anschließend wieder zurück. Dreimal am Tag.

Dreimal am Tag holen die Frauen Wasser aus dem Loch.
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Lloworikio erzählt, dass solch ein Wasserloch gerade einmal wenige Tage reicht, um die Grundbedürfnisse des Dorfes, bestehend aus wenigen Dutzend Hütten, zu erfüllen. Wenn der Wasserspiegel bereits tief gesunken ist, wird die lebenswichtige Flüssigkeit für Mensch und Tier strikt portioniert. Dann dürfen an einem Tag nur die Esel, Ziegen, Kühe und Kamele an die Tränken und am darauffolgenden Tag die Menschen. 50:50 also.

Die Tiere sind der Lebensunterhalt der Menschen im Norden Kenias. Der Wohlstand einer Familie wird an der Anzahl der Nutztiere und Kinder gemessen. Geld spielt (noch) keine Rolle. In Parkati, im Gebiet der Turkana, haben sich die Dorfältesten unter einem Baum versammelt. Sie versuchen im Moment zwischen den verfeindeten Stämmen zu vermitteln. Die Suche nach Wasser treibt die Herden immer öfter in fremde Gebiete – bewaffnete Auseinandersetzungen inklusive.

Jacob Lokinei Eremon erinnert sich an die großen Herden seines Dorfes: 200 Kühe, 600 Ziegen waren keine Seltenheit. Nun hätte die Trockenheit die Tiere verhungern und verdursten lassen. Einige Dorfbewohner haben noch 50 Kühe oder vielleicht 200 Ziegen, die meisten jedoch nicht einmal zwei Dutzend.

Das Vieh hungert und verendet teilweise.
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Verschwundenes Paradies

Die Vorfahren hätten sich in Parkati niedergelassen, weil das Gebiet "ideal zur Ziegenhaltung war", erzählt Eremon: überall Gras und genügend Wasser. In seiner Erinnerung waren die nächsten Grasbüschel nur sechs Kilometer vom Dorf entfernt.

Nun müssen die Hirtenkinder und Männer mit ihren Herden bis in die Hügel ziehen, sagt er und deutet auf den Horizont. Einen Tag, manchmal mehr, seien sie unterwegs. Ohne Nahrungsmittel und mit zwei bis vier Liter Wasser, wenn es denn so viel gibt. Die Hirtenjungen und -mädchen betteln entlang der unbefestigten Piste jedes Fahrzeug um etwas zu trinken an. Für die Tiere schneiden sie die Äste der Büsche und Bäume ab, weil es zu wenig Gras gibt.

Teilweise sind seit Jahren keine Regenfälle mehr niedergegangen.
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Beispiellose Situation

Auch die Vereinten Nationen versuchen seit Monaten verstärkt auf die Not im Norden Kenias aufmerksam zu machen. Laut dem UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) findet im Moment die längste Dürre der vergangenen 40 Jahre in der Region statt. Mindestens 4,2 Millionen Menschen seien auf humanitäre Hilfe angewiesen. In etwa jedes fünfte Kind ist laut Unicef akut mangelernährt.

Nachdem in der jetzigen Regenzeit – die von Oktober bis Dezember dauert – wieder wenig bis kein Niederschlag erwartet wird, stünde man vor einer "wahrhaft nie dagewesenen Situation, die es in der jüngsten Geschichte noch nicht gegeben hat", schreibt OCHA in seinem Bericht von Juni.

Die Frauen in Barsaloi singen für Regen.
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Gesang für Regen

Gegen die Katastrophe und für Regen beten auch die Frauen in dem Dorf Barsaloi im Gebiet von Samburu. In traditionelle Kuhhäute gewickelt und mit den traditionellen Milchgefäßen Mala Kalabash ausgestattet, ziehen die rund ein Dutzend Dorfbewohnerinnen zum ausgetrockneten Flussbett und wieder zurück ins Dorf. Einen ganzen Tag lang, die ganze Woche – außer sonntags – singen sie für den rettenden Niederschlag und besprenkeln auf dem Weg die Wasserlöcher mit einem Gemisch aus Milch und Wasser.

Denn auch Barsaloi benötigt das Regenwasser dringend, obwohl seine Bewohnerinnen und Bewohner in Besitz von etwas sind, worum sie von allen Dorfgemeinschaften beneidet werden: Wasser aus der Leitung. Priester Guillermo Alvarez hat – unter anderem mit der Unterstützung der Dreikönigsaktion, des Hilfswerks der Katholischen Jungschar – ein Leitungssystem vom Wasserloch mit Pumpe bis zu fast jedem Haushalt in Barsaloi verlegt.

Fast jeder Haushalt hat einen Wasseranschluss.
Foto: STANDARD / Bianca Blei

Wasser aus der Leitung

An den Hähnen neben den Hütten sind Wasserzähler montiert, etwa zwischen 600 und 1.000 kenianische Shilling (fünf bis acht Euro) zahlen die Menschen monatlich. Wer sich die Rechnung nicht leisten kann, dem wird das Wasser dennoch nicht abgedreht, sagt John vom lokalen Wasserkomitee. Immerhin sei das Nass überlebenswichtig, und solange Teile der Dorfgemeinschaft ihre Schulden begleichen, würde es sich schon ausgehen.

Doch mit der andauernden Dürre wächst die Angst, dass das Wasserloch versiegt. Ein neues zu finden und zu bohren würde 90.000 Euro kosten, rechnet der Priester vor. Die Maschinen müssten aus Nairobi angeschafft werden, allein die Suche nach dem kostbaren Nass verbrauche viel Geld. Und der Druck auf die Bewohnerinnen und Bewohner wächst. Denn angelockt durch die besseren Lebensbedingungen, zogen dutzende Menschen in den vergangenen Monaten nach Barsaloi. Etwa 100, 150 Personen, schätzt John – und man erwarte mit den ausbleibenden Regenfällen noch mehr.

Mit Gärten soll die Nahrungsmittelkrise abgefedert werden.
Foto: STANDARD / Bianca Blei

Menschenrechte in Gefahr

Um nicht nur von Kühen, Ziegen und Schafen abhängig zu sein, setzen einige Familien auf die wüstenerprobten Kamele. "Laufende Bank" werden sie von der lokalen Bevölkerung genannt, weil sie teuer, aber auch eine Investition in die Zukunft sind. Durch Obst- und Gemüsegärten will Priester Alvarez den Menschen zudem eine weitere Nahrungsmittelquelle neben tierischen Produkten bieten. Tomaten, Zucchini und Spinat wachsen bereits zum Teil hinter den einfachen Hütten in Barsaloi.

Und die Dürre hat nicht nur offensichtliche Auswirkungen auf die Tierherden und die körperliche Gesundheit der Menschen. Laut Vereinten Nationen kommt es durch die anhaltende Trockenheit auch zu vermehrten Kinderehen, da die Familien ihre Töchter immer jünger heiraten lassen, um an die oft lebensnotwendige Mitgift zu kommen. Regnet es in Nordkenia nicht bald, werden auch die Menschenrechte der Klimakrise zum Opfer fallen. (Bianca Blei aus Samburu, 26.10.2022)