Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern sind schlecht für das Kindeswohl.

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Gemeinsame Obsorge funktioniert nur dann, wenn sich die Eltern in den wichtigen Entscheidungen einig sind. Das gilt insbesondere für medizinische Fragen wie Impfungen. Denn ständige Streitigkeiten würden das betroffene Kind "gänzlich verunsichern", entschied der Oberste Gerichtshof (OGH) in einem aktuellen Verfahren und lehnte den Antrag eines Vaters auf gemeinsame Obsorge ab (OGH 27.9.2022, 2 Ob 125/22d).

Die Eltern des Achtjährigen hatten sich kurz nach dessen Geburt im Jahr 2014 getrennt. Die Obsorge für das Kind kam seither der Mutter alleine zu, der Vater stellte allerdings 2016 einen Antrag auf ein regelmäßiges Kontaktrecht, das ihm zunächst im Ausmaß von einem Treffen pro Woche genehmigt wurde. Im Lauf der Zeit bauten Vater und Sohn eine "stabile Beziehung" auf, wie es in dem OGH-Entscheid heißt.

Auf Totimpfstoff warten?

Das Verhältnis zwischen Mutter und Vater blieb allerdings von gegenseitigem Misstrauen und Vorwürfen geprägt, die mit Ausbruch der Corona-Krise eine neue Dynamik bekamen. So wollte der Vater seinen Sohn gegen Covid-19 impfen lassen, die Mutter jedoch auf den sogenannten Totimpstoff warten. Um das Kind künftig vertreten zu können und mitentscheiden zu dürfen, stellte der Mann zusätzlich zu seinem Kontaktrecht einen Antrag auf gemeinsame Obsorge mit der Mutter.

Das Bezirksgericht Josefstadt und das Landesgericht Wien gaben dem Vater recht und sprachen ihm die Obsorge zu. Da sich in medizinischen Fragen bei der Mutter eine "sehr eingeengte Haltung" zeige, sei eine zweite Perspektive durch Einbindung des Vaters geboten. Zudem sei eine ausreichende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden, um über medizinische Belange zu reden.

Einigkeit wichtig

Der OGH sah das in seiner Entscheidung nun anders. Bei der Frage, ob ein Elternteil alleine obsorgeberechtigt ist oder die Obsorge beiden gemeinsam zukommt, sei stets das Wohl des Kindes entscheidend. Im aktuellen Fall sei dieses Kindewohl aber gefährdet, weil die Eltern insbesondere in medizinischen Belangen grundverschiedene Meinungen haben und nicht in der Lage sind, eine gemeinsame Entscheidung zu treffen.

Käme den Eltern die Obsorge gemeinsam zu, dürften beide das Kind vertreten. Würden sie regelmäßig sich widersprechende Entscheidungen treffen, wäre das Wohl des Kinders jedoch gefährdet. Denn ständige Streitigkeiten könnten dazu führen, dass der Bub "gänzlich verunsichert" ist. Aus diesem Grund muss die Obsorge laut OGH allein bei der Mutter bleiben. Der Vater behält sein Kontaktrecht. (japf, 26.10.2022)