Prominente Jochbeine, starke Unterkieferkontur, volle Lippen: Die Gesichtszüge von Sängerin Adele liegen voll im Trend. Viele wollen das mit Hyaluronsäure-Unterspritzungen nachahmen.

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Es geht um Ecken und Kanten. Schauspielerin Megan Fox hat sie. Supermodel Bella Hadid auch. Seit neuestem zeigt sie auch Sängerin Adele. Im Gesicht nämlich. Markante Gesichtszüge mit prominentem Jochbein und starker Unterkieferkontur liegen im Trend. Dazu kombiniert man etwas zu große Lippen, und fertig ist der Look des Jahres 2022. "Frauen wollen heute stark sein, für sich selbst stehen, sie lassen sich nicht mehr unterdrücken. Markante Gesichtszüge unterstreichen diesen Trend", sagt Rolf Bartsch, plastischer Chirurg und Experte für Social-Media-Trends.

Sind die Züge nicht von selbst so markant, lassen immer mehr mit Hyaluron-Filler nachhelfen – Tendenz der Anwender stark steigend. Warum dieser Trend zum Filler aber nicht nur unter Celebritys so ausgeprägt ist, sondern auch bei "Normalos", vor allem in der jüngeren Generation, hat noch einen weiteren Grund: das Selfie. Bartsch erklärt: "Die Frontkamera des Handys hat einen schlechten Winkel bei der Aufnahme, das verzerrt das Gesicht. Die Nase erscheint größer, Jochbein und Unterkieferkontur wirken schmäler."

Da viele Menschen immer mehr Zeit auf Social-Media-Kanälen verbringen und dort unzählige Bilder sehen, die mit einfachen Programmen nachbearbeitet sind, verändert sich tatsächlich die Wahrnehmung. Bartsch betont: "Diese Optik ist die Realität, in der sich unsere Kinder und auch viele Erwachsene bewegen. Die Wahrnehmung ist zum Teil schon so verändert, dass wir sie als Realität anerkennen." Das führt dazu, dass derzeit besonders drei Behandlungen nachgefragt werden: Nasenkorrektur mit Hyaluron-Filler sowie die Verstärkung von Jochbein und Kinnpartie mit Filler. Diese Eingriffe sind alle nichtinvasiv, das heißt, es wird dafür nicht operiert.

Je nachdem, mit welchem Abstand und mit welcher Brennweite ein Foto aufgenommen wird, verändert das die Optik. Beim typischen Selfies mit Brennweite 18 und einem Abstand von 30 cm wirkt die Nase deutlich größer, Jochbein und Unterkieferlinie erscheinen verschmälert. Je weiter der Brennpunkt und je größer die Aufnahmedistanz, desto realer ist die Abbildung.
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Boomendes Beauty-Geschäft

Der Wunsch nach Optimierung ist dabei nicht neu, die Beauty-Medizin ist seit Jahrzehnten ein boomendes Geschäft. In den USA werden jährlich etwa 500 Milliarden Dollar dafür ausgegeben, das ist mehr, als in den Bildungssektor investiert wird. Die Zahl der klassischen plastischen Eingriffe, die operativ durchgeführt werden, ist dabei seit Jahren relativ konstant. Laut Zahlen der International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS) wurden im Jahr 2020 weltweit gut zehn Millionen plastische chirurgische Eingriffe durchgeführt und um 0,6 Prozent weniger als im Jahr 2016. Den ersten Platz belegt mit rund 16 Prozent aller Schönheitsoperationen die Brustvergrößerung, gefolgt von Fettabsaugung, Lid- und Nasenkorrektur.

Anders sieht es bei nicht- oder minimal invasiven Behandlungen mit Botox, verschiedenen Hyaluron-Fillern, chemischen Peelings und mehr aus. Diese Behandlungen steigen seit Jahren kontinuierlich und teilweise im zweistelligen Prozentbereich. 2020 wurden gut 24,5 Millionen solcher Eingriffe weltweit vorgenommen, zeigen die Zahlen der ISAPS, im Vergleich zum Jahr 2016 ergibt das eine Steigerung von 11,9 Prozent. Mit Abstand die meisten Eingriffe werden mit Botox durchgeführt (mehr als 6,2 Millionen), gefolgt von Unterspritzungen mit Hyaluronsäure zur Modellierung des Gesichts (gut vier Millionen).

Das Spezielle an Schönheitseingriffen: "Diese sind in den meisten Fällen nicht medizinisch notwendig. Der Arzt wird zum Dienstleister an Patienten, die wie Kunden agieren und ihre körperlich-ästhetischen Ansprüche realisiert sehen möchten", sagt Christine Radtke, interimistische Leiterin der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie an der Med-Uni Wien, im Rahmen der 60. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC).

Sehnsucht nach Attraktivität

Diese Entwicklung wirft natürlich medizin-ethischen Fragen auf. "Oft werden Operationen durch bloße Wunschvorstellungen oder Eitelkeit motiviert, nicht um körperliche Beschwerden zu vermindern. Und damit sind wir mittendrin im Spannungsfeld des wunschmedizinischen Handels." Der Grund für ärztliches Handeln ist ja, betont Ratke, Heilung herbeizuführen und Leiden zu mindern. Der Arzt behandle also Kranke. In der Wunschmedizin fehlt dieser Aspekt jedoch. "Im Mittelpunkt aller Schönheitsdebatten steht die Sehnsucht nach Attraktivität." Und die Modellierung des eigenen Körpers habe mittlerweile Ausmaße angenommen, die manche kritischen Beobachter mit Besorgnis erfüllt.

Dazu kommt die spezielle Rolle der Social-Media-Kanäle. "Die einfache Veränderbarkeit des virtuellen Auftritts durch Bildbearbeitungen hilft, das eigene Foto an die eigene, "perfekte" Vorstellung anzupassen", betont die plastische Chirurgin Greta Nehrer. Das kann eine andere Augenfarbe sein, makellosere Haut oder die "richtige" Körperform. "Die Omnipräsenz makelloser Bilder von Models sowie Influencerinnen und Influencern löst aber einen psychischen Druck aus, Fotos und Videos in Kombination mit Filter-Applikationen und Bearbeitungsprogramme führen zu einem steigenden Realitätsverlust Jugendlicher."

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Laut einer Studie der Royal Society for Public Health aus dem Jahr 2017 führt der Einfluss von Social Media dazu, dass sich neun von zehn der befragten Buben und Mädchen zwischen 14 und 24 mit ihrem Körper unglücklich fühlen. 70 Prozent der Befragten sollen sich sogar einen chirurgischen Eingriff zu kosmetischen Zwecken wünschen – ob es sich dabei um operative Eingriffe handelt oder auch nichtinvasive Methoden gemeint sind, ist nicht definiert.

Verzerrendes Selfie

Auch der plastische Chirurg Rolf Bartsch geht davon aus, dass zumindest "ein sehr hoher Prozentsatz der Jungen beim Blick in das eigene Spiegelbild ein vermeintliches Verbesserungspotenzial sieht". Das liege vor allem an dem verzerrten Bild, das durch Selfies entsteht. Vor zehn Jahren habe sich noch niemand mit der Selfiekamera fotografiert. Die optische Verzerrung, die dabei passiert, mache aber niemanden schöner, das animiere dazu, die Bilder nachzubearbeiten. "Und wenn man sieht, dass diese Veränderung, die man auf dem Foto mit einem Tastenklick erreicht, auch im echten Leben mit Unterspritzungen für ein paar Hundert Euro möglich ist, wollen viele junge Menschen das dann auch", sagt Bartsch.

Entsprechend ist der Boom von starken Hyaluronsäure-Unterspritzungen vor allem bei der jüngeren Klientel ausgeprägter. Der Plastiker sieht das durchaus kritisch: "In geringen Dosen sind sowohl Botox als auch Filler auch Ende 20 oder Anfang 30 sicher kein Problem. Neue Studien zeigen zum Beispiel, dass man mit Babybotox die Poren verkleinern und die Talgproduktion verbessern kann. Mit Fillern kann man kleine Unebenheiten ausbessern. Da reicht aber ein Milliliter für das ganze Gesicht."

Für große Unterspritzungen wie eben die derzeit angesagten, ausgeprägten Jochbein- und Unterkieferkonturen sind aber oft vier bis fünf Milliliter Filler notwendig. Und Bartsch warnt: "Wenn man in jungen Jahren regelmäßig vier oder fünf Milliliter Filler verwendet, weiß man einfach nicht, wie sich das langfristig auf das Gesicht auswirkt. Ich finde das ethisch und moralisch sehr schwierig."

Wie man dieses Problem der Selbstwahrnehmung lösen will, dafür gibt es derzeit keine befriedigenden Ansätze. Zu omnipräsent sind die sozialen Medien im Alltag. Die beste Möglichkeit, diesem Trend entgegenzusteuern, sieht Bartsch darin, sich zu seinen Imperfektionen zu bekennen: "Wir haben alle Augenringe oder Hautunebenheiten. Jetzt geht es darum, vor allem der jungen Generation klarzumachen, dass das normal ist. Aber im Moment sehe ich diesen Trend leider noch gar nicht." (Pia Kruckenhauser, 26.10.2022)