Wer das Erbe antreten wird, ist nach dem Tod von Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz offen. Eines scheint aber klar: So viel Freiheit und Machtfülle wie der verstorbene Gründer wird kein Nachfolger mehr vereinen. Die Mehrheitseigentümer – die thailändische Industriellenfamilie Yoovidhya, die mit dem Klan-Oberhaupt Chalerm Yoovidhya (72) gemeinsam 51 Prozent hält – werden wohl bei der Nachfolge und künftigen Ausrichtung des Konzerns einige Wörtchen mitreden. Chalerm Yoodvidhya hält zwei Prozent an der Firma, 49 Prozent der Anteile gehören der Familienholding TC Agro Trading mit Sitz in Hongkong. Damit galt Chalerm Yoodvidhya lange als Puffer zwischen seinem 2012 verstorbenen Vater Chaleo und Mateschitz, die jeweils 49 Prozent kontrollierten.

Damals hat man Chalerm Ambitionen nachgesagt, mehr Macht anzustreben. Vorerst ist zumindest ein Manager aus dem ostasiatischen Reich der Yoovidhyas nicht auszuschließen. Kaum vorstellbar scheint, dass Mateschitz’ Sohn Mark so rasch eine tragende Rolle spielen wird – auch wenn der 30-Jährige Managementerfahrungen im Reich der Bullen gesammelt hat.

Cooler als andere – wer wäre das nicht gern. Der Werbespruch "Red Bull verleiht Flügel" hat es in die Köpfe vieler Konsumenten und Konsumentinnen geschafft und dort eine lange Verweildauer.

Doch inwieweit spielt all das für die Marke und den künftigen wirtschaftlichen Erfolg eine Rolle? Zuletzt schüttete Red Bull immerhin jährlich mehrere Hundert Millionen Euro an die Mehrheitseigentümer aus – im Jahr 2020 war es über eine halbe Milliarde Euro. Wichtig sei jetzt, dass nach dem Tod des Gründers eine gewisse Kante bleibe, sagt Colin Fernando, Markenexperte von Brandtrust.

Gut aufgestellt

Die Marke an sich sei gut aufgestellt, urteilt Fernando. Die weltweite Expansion von Red Bull aus dem beschaulichen Fuschl am See ist tatsächlich beeindruckend. Das hat einerseits mit dem gigantischen Marketingbudget von 1,8 Milliarden Euro etwa im Jahr 2019 zu tun. Aber nicht nur. Mateschitz war eine Art Projektionsfläche, sagt Fernando. Einer, der die stets zur Schau getragene Nonkonformität auf die Marke übertragen hat. Einer, der zwar nicht die gleiche Strahlkraft wie Apple-Gründer Steve Jobs hatte, das dafür aber durch eine jahrelang verfolgte und extrem ausgeklügelte Strategie wettmachte. Eine Strategie, die gerade in einer Leistungsgesellschaft auf fruchtbaren Boden fallen konnte. Mateschitz’ Verdienst war es, die Marke zu überhöhen. "Red Bull verleiht Flügel", jedem, der sich gerne leistungsstark und crazy fühlen will, als Grenzgänger, als cooler Typ.

Aura des Verbotenen

Fühlen wie Felix Baumgartner, der mit seinem Sprung vom Rand der Welt in die Tiefe für Furore sorgte. Geschadet hat wohl auch eine gewisse Aura der Anrüchigkeit und des Verbotenen nicht. Grenzgänger und Bilderbuchhelden müssen Grenzen überschreiten, um Höchstleistungen zu vollbringen – diesen Subtext bekommt jeder und jede geliefert, der oder die ihn lesen will.

Die Dose ist das eine – die coolen Jungs, die in ihrem Namen Extremsport betreiben sind das andere. Marketingtechnisch galt Mateschitz vielen als nahezu genial.
Foto: Imago/Lia Mancini

Ähnlich wie Jobs hatte auch Mateschitz den richtigen Riecher für das marketingtechnisch nötige Beiwerk, um die Marke fest in den Gehirnen der Konsumenten und Konsumentinnen zu verankern. Red Bull ist nicht nur die wertvollste rot-weiß-rote Marke – 2020 war sie in Österreich 16 Milliarden Euro wert –, sie gehört auch in den erlauchten Kreis der gewichtigen Getränkemarken weltweit. Die wichtigsten Entscheidungen seien bereits in der Vergangenheit getroffen worden, sagt Markenexperte Fernando.

Von der Nische in die Breite

Es war jene, erst in die Nische zu gehen durch die Verknüpfung mit Extremsport, um die Marke zu überhöhen. Dann kam bekanntlich mit dem Fußball der Breitensport. "Ein kluger Schachzug", wie Fernando sagt. Was man aus dem Beispiel Apple lernen könne: "Man darf nicht nur verwalten." Bei Apple etwa wurde zwei Jahre nach Jobs’ Tod – entgegen dessen strikten Prinzipien – größere Telefone auf den Markt gebracht. Mit Erfolg.

Noch etwas gibt Fernando dem künftigen Chef mit: Die Leistungsgesellschaft werde uns zwar noch länger erhalten bleiben, aber es gebe Vorboten einer Postwachstumsgesellschaft. Die dürfe Red Bull nicht übersehen. Gut möglich, dass Leistung dann nicht mehr alles ist. (Regina Bruckner, 25.10.2022)