Für Justitia waren die Zeiten schon einmal besser.

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Die Welt befindet sich in einer tiefen Rezession – nicht wirtschaftlich, sondern rechtsstaatlich. Laut dem Rule of Law Index 2022 nahm die Rechtsstaatlichkeit global das fünfte Jahr in Folge ab. Der Index, der am Mittwoch veröffentlicht wurde und vom World Justice Project auf Basis umfassender Umfragen erstellt wird, weist heuer in 61 Prozent der Staaten einen Rückgang aus – auch in Österreich.

Österreich befindet sich in Sachen Rechtsstaatlichkeit traditionellerweise im weltweiten Spitzenfeld, verlor im Vergleich zum Vorjahr allerdings zwei Plätze und liegt nun auf Rang elf. Die Spitzenpositionen belegen die nordeuropäischen Länder Dänemark, Norwegen und Finnland. Deutschland rangiert auf Platz sechs. Dahinter reiht sich mit Neuseeland der einzige nichteuropäische Staat in den Top Ten ein.

Gute Noten bekommt Österreich im Bereich der Strafjustiz. Vergleichsweise schlecht sieht es dagegen in den Kategorien "Abwesenheit von Korruption" und "Offene Regierung" aus. Dort belegt Österreich weltweit nur den 18. bzw. den 20. Platz. Wenig Korruption sieht der Index hierzulande bei Justiz und Polizei. Nachholbedarf wird dagegen bei Verwaltung und Gesetzgebung deutlich.

"Wenig überraschend"

Für Bettina Knötzl, Präsidentin des Beirats von Transparency International, ist der Abstieg Österreichs wenig überraschend. "Wir sind gerade beim Thema Informationsfreiheit Schlusslicht in Europa", sagt die Rechtsanwältin im Gespräch mit dem STANDARD. "Die Bundesregierung muss Gesetzesvorhaben, die schon lange fertig in der Schublade liegen, endlich umsetzen."

Dazu zählt neben der Abschaffung des Amtsgeheimnisses die geplante Reform des Korruptionsstrafrechts, die Lücken schließen soll. Auch das Whistleblower-Gesetz ist nach wie vor nicht in Kraft. "Es braucht in Österreich dringend einen Gesellschaftswandel", sagt Knötzl. "In Ländern, in denen es viel Transparenz gibt, gibt es automatisch auch weniger Korruption."

Krise der Rechtsstaatlichkeit

Internationale Schlusslichter des Rule of Law Index sind Venezuela, Kambodscha und Afghanistan. Stark verschlechtert hat sich die Situation zudem in Myanmar und Haiti. "Autoritäre Trends, die bereits vor der Pandemie existierten, erodieren die Rechtsstaatlichkeit weiter", schreibt Elisabeth Andersen, Geschäftsführerin des World Justice Project, in einer am Mittwoch veröffentlichten Presseaussendung. "Die Kontrolle von Regierungsmacht wird schwächer, und der Respekt für Menschenrechte geht zurück."

In der Kategorie "Grundrechte" verzeichneten zwei Drittel der Staaten Verluste, im "Zivilrecht" 61 Prozent und bei der "Beschränkung von Regierungsmacht" 58 Prozent. Besonders dramatisch wirkt die Situation, wenn man weiter zurückblickt: Seit 2015 hat die Meinungs- und Pressefreiheit laut Index in 81 Prozent der Staaten abgenommen, die Versammlungsfreiheit gar in 85 Prozent der Staaten.

"Wir tauchen aus der Gesundheitskrise auf, nicht aber aus der Krise der Rechtsstaatlichkeit", sagt Andersen vom World Justice Project. "Heute leben 4,4 Milliarden Menschen in Ländern, in denen die Situation schlechter als letztes Jahr ist." All das spiegle einen generellen Trend in Richtung Autoritarismus wider.

140 Länder erfasst

Der Rule of Law Index wird seit 2009 jährlich veröffentlicht. Befragt wurden mehr als 150.000 Haushalte und 3.600 Expertinnen und Experten in 140 Staaten.

Bewertet werden insgesamt acht Kategorien: Einschränkung staatlicher Befugnisse, Abwesenheit von Korruption, Offene Regierung, Grundrechte, Ordnung und Sicherheit, Durchsetzung von Rechtsvorschriften, Ziviljustiz und Strafjustiz. Daraus ermittelt sich dann eine Gesamtnote für jedes Land. (Jakob Pflügl, 25.10.2022)