"Pforte zur Wiedervereinigung" steht auf dem blau gestrichenen Betontor, das als Checkpoint die Fahrt von Seoul jäh beendet. Der Name führt in die Irre: Ziel des Gebäudes ist vielmehr die Trennung. Soldaten kontrollieren hier streng, dass niemand weiter in Richtung der nordkoreanischen Grenze fährt, der das nicht sollte. Ihren Ernst bezeugen Reihen von Stacheldraht und Leitplanken-Schikanen.

Der Weg zur Wiedervereinigung ist weit. Das wird unvermittelt klar, als die Fahrt weiter in die demilitarisierte Zone zwischen Süd- und Nordkorea führt. Auch ihr Name ist ein Missverständnis: Zwar trennt der 250 Kilometer lange und vier Kilometer breite Streifen nahe des 38. Breitengrades die Armeen beider Seiten. Doch stehen direkt außerhalb große Militärkontingente. Im Streifen selbst sind zwei Millionen Landminen vergraben. Außerdem sind Abzäunungen und Panzersperren verbaut. Soldaten beider Seiten beäugen einander ständig und intensiv. Es ist eine Reise in den Krieg – wenn auch in den kalten.

Unheimliche Stille

Solange er kalt bleibt. Mindestens 800 Soldaten beider Seiten sind seit der Schaffung der Zone bei Gewaltausbrüchen getötet worden. Die meisten von ihnen knapp nach dem Waffenstillstand von 1953, der den Koreakrieg damals zur Ruhe brachte, aber formell nicht beendete. Mit der Zeit wurden sie seltener. Zuletzt schossen nordkoreanische Soldaten 2017 in Panmunjom auf einen Deserteur, Oh Chong-song, der es dennoch schwer verletzt nach Südkorea schaffte.

Die "Bridge of No Return" führt nach Nordkorea.
Foto: Manuel Escher

Als Außenminister Alexander Schallenberg am Dienstag die Zone besucht, scheint kaum etwas weiter entfernt als der Krieg. Es ist ein klarer, aber warmer Herbsttag, die Bäume tragen Gelb, Rot und Braun. Die "Bridge of No Return", wo einst Kriegsgefangene und Spione ausgetauscht wurden, ist dick mit Laub bedeckt. Von der Anhöhe, auf der sich die Grenzlinie befindet, kann man bis weit nach Nordkorea hineinsehen, dort aber kaum eine Bewegung ausmachen. In der Ferne steigt Rauch von einem kleinen Feuer auf, wieso es brennt, bleibt unklar. Zu hören ist in der "Joint Security Area", der aus ein paar Hütten und zwei Prestigebauten beider Seiten bestehenden Militärsiedlung, wo in besseren Zeiten Verhandlungen stattgefunden haben, meist nur das Zirpen von Grillen.

Die Hoffnung ist vorbei

Bessere Zeiten, die gab es hier zuletzt 2019. Damals traf US-Präsident Donald Trump in Panmunjom, wie die Joint Security Area auf Koreanisch auch heißt, zum insgesamt dritten Mal mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un zusammen. Kurz stapfte er dabei sogar gemeinsam mit Kim über die Betonschwelle, die formell die beiden Staaten trennt, nach Nordkorea. Ein Zeichen der Hoffnung sollte das sein. Kim und Trump gelobten damals, ihre Annäherung fortzusetzen, obwohl schon Monate davor ihr gemeinsamer Gipfel im vietnamesischen Hanoi gescheitert war.

Die Betonschwelle zwischen den Hütten ist die Demarkationslinie zu Nordkorea. Einst übersprangen sie Donald Trump und Kim Jong-un. Mittlerweile ist der kalte Krieg hier wieder ganz eingefroren.
Foto: Manuel Escher

Drei Jahre später ist von einem Tauwetter nichts mehr zu spüren. Seit Wochen testet Nordkorea in furioser Häufigkeit alte und neue Raketensysteme. Südkorea und die USA führen die die größte gemeinsame Militärübung seit Jahren durch. Weitere Provokationen des Nordens sind wahrscheinlich.

Erst am Montag gaben die Armeen beider Seiten Warnschüsse ab, nachdem ein nordkoreanisches Handelsschiff die von Nordkorea nicht anerkannte Trennlinie zwischen den beiden Meeresgebieten überquert hatte. Seit Wochen wird unmittelbar mit einem neuen Atomtest Pjöngjangs gerechnet, dem ersten seit 2017. Vermutlich soll diesmal eine taktische Atombombe erprobt werden. Sie soll klein genug sein, um auf die jüngst getesteten Raketen zu passen.

Nur kein Funken

Den Funken, der den großen Brand auslösen könnte, will in der Sperrzone auch deshalb auf gar keinen Fall jemand auslösen. Immer wieder trete man mit Nordkorea telefonisch in Kontakt, wird in Camp Bonifas erzählt, wo – ein weiterer scheinbarer Widerspruch – Vertreter der mit Nordkorea verfeindeten US-Armee unter der Flagge der UN-Mission auftreten. Dass sie das können, liegt ursprünglich in einer Laune der Geschichte begründet, die 1950 aus Uno-Truppen eine Kampfpartei im Koreakrieg machte*.

Auf der einen Seite stehen die neutralen Beobachtungstruppen. Auf der anderen Seite des Zaunes hat Nordkorea sein Gebiet mit einem gelben Schild markiert.
Foto: Manuel Escher

Heute sieht man sich im Camp dennoch nicht als Feind, sondern als Gegenstück, heißt es. Es gehe um Vertrauensbildung. Man kündigt den Nordkoreanern an, wann immer Versorgungshelikopter landet, wenn man den Rasen an der Grenze mäht oder Bäume beschneiden muss oder wenn man im Sommer einen kleinen Waldbrand löscht. Persönliche Treffen gibt es seit Beginn der Covid-Pandemie allerdings nicht mehr, und auch in Panmunjom patrouillieren seither keine nordkoreanischen Soldaten mehr direkt an der Grenze. Gelegentlich sieht man sie hinter Vorhängen in den Gebäuden hervorlugen.

Der Blick reicht weit nach Nordkorea. Zu sehen ist trotzdem wenig.
Foto: Manuel Escher

Covid gab es in Nordkorea offiziell lange nicht, als es schließlich doch auftrat, wurden die meisten Fälle von der Propaganda als "Fieberkrankheit" ausgewiesen. Mittlerweile behauptet die Regierung, das Virus sei im totalitär-kommunistischen Staat überwunden. Dennoch – schon wieder ein Widerspruch – trägt es weiterhin dazu bei, die ohnehin geringe Stabilität zu untergraben. Denn Nordkoreas ohnehin siechende Wirtschaft wurde schwer getroffen, als sich das Land 2020 noch weiter abschottete. Diktator Kim mag sich auch deshalb unter Druck gesetzt fühlen, stärker in außenpolitische Akzente zu investieren.

Von Putin ermutigt

Dazu kommen die Folgen des Ukraine-Krieges. Russland sucht die Annäherung an Nordkorea, womöglich will Moskau sogar nordkoreanische Waffen kaufen. Und Kim nützt auch die Tatsache, dass viele Staaten abgelenkt sind, zur Eskalation.

Alexander Schallenberg in einer der Hütten, deren Türen auf beide Seiten der Demarkationslinie hinausgehen.
Foto: APA / BMEIA / Michael Gruber

Dass Russlands Präsident Wladimir Putin in der Ukraine Raketen in Wohngebäude feuern lassen und mit dem Einsatz von Atombomben drohen kann, befeuere Kims Handeln womöglich zusätzlich, argumentiert Schallenberg nach dem Besuch in Panmunjom. Das Handeln Putins gebe Diktatoren anderswo Auftrieb, sagt er. "Umso wichtiger ist es, die Beziehungen zu jenen Partnern zu stärken, die unsere Werte teilen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht." Südkorea sei ein solcher verlässlicher Partner. Das, lässt der Außenminister durchblicken, sei auch maßgeblicher Anlass seines Besuches gewesen, bei dem er unter anderem mit Außenminister Park Jin und Premier Han Duck-soo zusammengekommen war. Sie dienen in der neuen Regierung des konservativen südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol.

Provisorisch seit 25.292 Tagen

Der kalte Krieg in der demilitarisierten Zone geht indes weiter. Und der Rundgang erreicht das Camp der Neutralen Überwachungskommission in Korea (NNSA). Je sechs Soldatinnen und Soldaten aus Schweden und der Schweiz sind unter dieser Mission bei Panmunjom stationiert, sie sollen durch Inspektionen die brüchige Stille überwachen. So gut es geht, haben sie die Containerhütten wohnlich eingerichtet. Diese müssen aber, so wollen es die Vereinbarungen, Provisorien bleiben. Sie sind es, wird am Dienstag vorgerechnet, nun seit 25.292 Tagen. Sie in Schuss zu halten scheint folgerichtig. Denn dass sie irgendwann in naher Zukunft einmal nicht mehr gebraucht werden, dafür spricht auch an diesem Herbsttag nichts. (Manuel Escher, 26.10.2022)