Sie haben nicht nur um Halloween Hochkonjunktur. In Serien und Filmen spuken Zombies seit den 1930er-Jahren in Kinosälen und im Wohnzimmer herum.
Foto: LUIS ROBAYO

Im Jahr 1968 brach Die Nacht der lebenden Toten herein: Seit der Leinwandpremiere dieses Horrorfilmklassikers von George A. Romero gehört der Zombie zum festen Personal der Popkultur. Doch das Bild vom kannibalischen Monster, das den Nachgeborenen das Erdendasein zur Hölle macht, greift zu kurz, verrät Gudrun Rath von der Abteilung für Kulturwissenschaft der Kunstuniversität Linz. Sie hat diese komplexe Motivgeschichte untersucht: "Wenn man sich die historische Darstellung ansieht, dann zeigt sich eine Geschichte, die deutlich vielfältiger ist und sehr interessante Fragen aufwirft, auch was die Verbindung von Europa mit der Karibik und Lateinamerika betrifft — vor allem in Bezug auf den Kolonialismus."

Dazu hat Rath, gefördert vom Wissenschaftsfonds FWF, zahlreiche Text- und Bilddarstellungen untersucht, in denen Untote seit dem 17. Jahrhundert spuken. Die Romanistin fand ihr Forschungsthema, als sie sich mit politischer Gewalt — konkret mit der Diktatur in Haiti im 20. Jahrhundert – beschäftigte: Bei zeitgenössischen Autorinnen und Autoren tauchte die Zombie-Figur als Chiffre für den Staatsterror auf. Als sie weiter recherchierte, stieß sie auf in Vergessenheit geratene Texte, die zeigen, dass diese Figur bereits lange vor The Walking Dead im Europa des 19. Jahrhunderts äußerst populär war.

Filmemacher George A. Romero prägte maßgeblich das Image der Menschenfresser.
Foto: IMAGO/NZ

Sklavenaufstand in Haiti

Konjunktur hatten Zombies nämlich bereits seit 1791, als es, inspiriert von der Französischen Revolution, in Haiti zu einem Sklavenaufstand kam, der zur Staatsgründung im Jahr 1804 führte. "Es ist eine ganze Reihe von Texten erschienen, die mithilfe der Zombie-Figur diese Geschichte erzählten. Das ist oft verbunden mit Rassismus und kolonialer Stereotypie", erklärt Rath.

So vermischt sich hier das Unbehagen der weißen Kolonialherren über das Aufbegehren schwarzer Menschen mit den Mythen der karibischen Religion Vodou. Die in der Populärkultur bekannte Schreibweise "Voodoo" wird von der Wissenschaft aufgrund ihrer früher häufig abwertenden Verwendung als rassistisch eingestuft und nicht mehr verwendet.

Der Mythos "Hexe" hat sich bis ins 21. Jahrhundert gehalten. Warum sind Menschen bis heute von diesem Fabelwesen begeistert und welche Gefahren können mit dieser Faszination einhergehen?




DER STANDARD

Tod als Kollektiverfahrung

Für die Sklaven und Sklavinnen wurde das Sterben durch Krankheit, Unterernährung und Ausbeutung zur Kollektiverfahrung. "Todesriten und damit verbundenen Symbolen kamen daher gemeinschaftsstiftende Funktionen zu."

Der Zombie spielt bis heute in der religiösen Praxis des Vodou jedoch keine Rolle, sondern nur in der Magie — als ein Zauber, der nicht praktiziert werden soll.Zudem ist der traditionelle "zonbi" nicht nur verwesender Kadaver, sondern auch ein körperloses Gespenst, ein Totengeist. Häufig sind diese Wiedergänger dazu verdammt, auch nach ihrem Ableben für eine andere Person zu schuften.

Der Untote als Aggressor ist vor allem eine Schöpfung des Kinos.
Foto: Ariel Schalit

Zombies als untote Plantagenarbeiter

Daher komme man Rath zufolge nicht darum herum, diese Figur aus historischer Sicht vor dem Hintergrund der Sklaverei zu sehen: "Während auf der einen Seite der untote Widerstand ein immer wieder aktualisiertes Bild darstellt, finden sich auf der anderen Seite zahlreiche historische Texte, die Untote mit Versklavung und Unterdrückung in Verbindung bringen. Zombies sind also nur unter Berücksichtigung von repressiven und emanzipatorischen Ideen begreifbar."

So wird der erste bekannte Zombie-Text von 1697, Le zombi du Grand Pérou, einem französischen Galeerensträfling namens Pierre-Corneille Blessebois zugeschrieben, der den Sagenstoff nutzte, um die damals entstehende Plantagengesellschaft und die Ignoranz der ihr vorstehenden Elite ins Lächerliche zu ziehen. "Hier zeigt sich schon, dass die Hauptfigur in einem Kontext auftritt, in dem es um Versklavung geht, um die Kolonisierung und um das Zusammentreffen verschiedener Kulturen."

Wo Zombies doch ihre Ruhe finden

Der Zombie ist somit eine Figur, die von Anfang an eine transatlantische Geschichte hat. Für den weißen Westen ist die Faszination für die wandelnden Leichen jedoch ungleich größer als etwa in der Karibik: Im Vergleich zu der Bedeutung, die Zombies in der US-amerikanischen oder europäischen Popkultur haben, spielen Untote dort im sozialen Gedächtnis nur eine marginale Rolle. Man betrachtet sie im Allgemeinen als dienende Wesen.

Das Filmplakat zu "White Zombie" mit Schauer-Legende Bela Lugosi in der Hauptrolle.
Foto: Imaago Images/Courtesy Everett Collection

In der kolonialistisch geprägten westlichen Perspektive sind es dagegen Ungeheuer, die Menschen angreifen. "Im Gegensatz zu den popkulturellen Figuren gibt es in Haiti auch die Möglichkeit, dass sie tatsächlich in ihr Grab zurückkehren und Ruhe finden."

Der Untote als Aggressor ist vor allem eine Schöpfung des Kinos: 1932 wurde der Stoff unter dem Titel White Zombie erstmals auf Zelluloid gebannt. Die Hauptrolle ergatterte Schauer-Legende Bela Lugosi. Dieser Film basiert auf dem Text eines Pseudoanthropologen und verknüpft die Zombie-Figur entsprechend mit kolonialistischen Stereotypen.

Kolonialistisch geprägte Schöpfung

Gudrun Rath, "Untotes Gedächtnis. Eine transatlantische Zombie-Geschichte". € 40,– / 272 Seiten. Transcript, Bielefeld 2022.
Foto: Transcript: Untotes Gedächtnis

Die Körperfresser des anfangs erwähnten Filmemachers Romero erweitern das Bild ab den 1960er-Jahren dann um die Komponente des Kannibalismus. Ist dieser moderne Zombie, der sich weltweit großer Beliebtheit erfreut, also wie seine europäischen Vorgänger ein rassistisches Abbild? "Das ist vielleicht zu viel gesagt. Er ist aber auf jeden Fall verbunden mit einer weißen Geschichte des Rassismus."

Und wie damals spiegeln die Untoten womöglich eine gesellschaftliche Beklommenheit – und sind daher gar mediale Verbündete emanzipatorischer Bewegungen wie Black Lives Matter: "Wenn diejenigen, die nicht mehr da sind, plötzlich wiederauftauchen, wird Zurückliegendes präsent. Sie verkörpern Fragmente der Vergangenheit und fordern gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Geschichte in Gegenwart und Zukunft ein."

Rath hat ihre mehrjährige Forschung zum Thema unlängst mit einer umfangreichen Publikation abgeschlossen. Hat sie den Zombie nun also begraben? "Vorerst schon. Aber man weiß ja nie so genau: Vielleicht kommt er wieder zurück."
(Johannes Lau, 29.10.2022)