Stadträtin Claudia Schönbacher und Klubchef Alexis Pascuttini bei ihrer Pressekonferenz. Ihr ausgeschlossener Klub heißt nun '(Korruptions-)Freier Gemeinderatsklub'. (Im Hintergrund ein Porträt des gebürtigen Grazers Heinz Fischer, der als Ehrenbürger der Stadt im Grazer Rathaus verewigt ist.)

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Eine Selbstanzeige, Ausschlüsse, Austritte und Hausdurchsuchungen: In der Grazer FPÖ ist seit geraumer Zeit der Teufel los. Jetzt sorgt ein Gesprächsprotokoll einer Sitzung des FPÖ-Gemeinderatsklubs vom 12. September, das auf einer Audioaufnahme basiert und dem STANDARD vorliegt, für neue Brisanz. Und: Die Angelegenheit hat das Potenzial, auch die Bundespartei in die Bredouille zu bringen.

Kapitel 1: Eine Selbstanzeige bringt den Stein ins Rollen

Womit das alles anfing: Vor einem Jahr zeigte sich der langjährige Klubdirektor und Finanzreferent der Stadtpartei selbst an. Auf ein Konto der Staatsanwaltschaft Graz überwies er 700.000 Euro – Schadenswiedergutmachung für mutmaßlich über viele Jahre veruntreuter Partei- und Klubfördergelder. Mit Mario Eustacchio, bis zur Wahlschlappe im September 2021 blauer Vizebürgermeister der Stadt, und seinem Klubchef Armin Sippel trat dann am 31. Oktober die Parteispitze zurück. Beide tauchten über Jahre als Empfänger von Zahlungen auf. Zudem flossen Gelder über zwei Vereine, jenen zur Förderung fortschrittlicher Gemeindepolitik, den es offenbar bis heute gibt und den Steirischen Verlagsverein, der 1979 gegründet und just am Tag nach den Rücktritten Eustacchios und Sippels aufgelöst wurde. Doch zu den Vereinen später mehr.

Parteiintern hieß es schon wenige Monate später, dass es sich wohl eher um einen Schaden von mehr als einer Million Euro handle als um 700.000 Euro.

Kapitel 2: Langsame Ermittlungen, neues engagiertes Führungsduo

Im November 2021 übernahmen die bis dahin relativ unbekannten Alexis Pascuttini als Klubchef und Claudia Schönbacher als Stadträtin den Gemeinderatsklub. Sie waren von Beginn an bemüht den Eindruck der Tabula rasa zu machen.

Von der Staatsanwaltschaft Graz war dann über Monate aber eher wenig zu bemerken – bis vor wenigen Monaten die Staatsanwaltschaft Klagenfurt den Fall übernahm. Wegen des "Anscheins der Befangenheit" seitens der Staatsanwaltschaft Graz, wie es seitens der Staatsanwaltschaft Klagenfurt hieß. Diese führte vor mehr als einer Woche Hausdurchsuchungen bei FP-nahen Vereinen und Burschenschaften durch – DER STANDARD berichtete. Dies passierte fast ein Jahr nach der Selbstanzeige des ehemaligen Klubdirektors.

Vor einigen Wochen machte dann der Gemeinderatsklub von sich reden, denn Pascuttini und Schönbacher, die neuen Verantwortlichen, schlossen den Gemeinderat Roland Lohr aus dem freiheitlichen Klub aus. Nicht ohne Grund: Sie wollen erfahren haben, dass Lohr in Wahrheit selbst knietief in der Affäre stecke – und das nicht offengelegt habe. Er war beim Verein zur Förderung für fortschrittliche Gemeindepolitik Kassier und im eilends aufgelösten Steirischen Verlagsverein Finanzprüfer. Zudem fanden sie Protokolle aus dem Jahr 2012, aus denen hervorgeht, dass Lohr Finanzreferent des Gemeinderatsklubs war. Pascuttini und Schönbacher übermittelten ihre Erkenntnisse auch den Behörden.

Kapitel 3: Ausgeschlossene Ausschließer

Lohrs Ausschluss wurde aber von der Stadtparteileitung, in der rund um den Nationalratsabgeordneten Axel Kassegger immer noch Männer aus dem Eustacchio-Lager sitzen für null und nichtig erklärt. Dieser Teil der Grazer FPÖ soll die volle Unterstützung von Landesparteichef und Ex-Verteidigungsminister Mario Kunasek genießen.

Als sich Pascuttini und Schönbacher dieser Order nicht beugten, wurden sie kurzerhand selbst aus der Partei ausgeschlossen. Nach ihnen auch noch der Gemeinderat Michael Winter und die Gemeinderätin Astrid Schleicher. Lohr trat mittlerweile selbst aus der Partei aus. Damit gibt es eine historisch skurrile Situation: Pascuttini, Winter und Schleicher sitzen als Klub, der nicht mehr zur FPÖ gehört, und Lohr als freier Abgeordneter allein im Grazer Gemeinderat. Als einziger FPÖ-Mandatar verbleibt Günter Wagner – der allerdings ohne Klub.

Mario Kunasek, hier bei der Wahl des neuen Landeshauptmannes Christopher Drexler (ÖVP) im Landtag, schloss die Grazer Gemeinderäte und die Stadträtin aus der FPÖ aus.
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Mario Kunasek gibt bei seinen Erklärungen den großen Aufräumer, der Schaden von der FPÖ abwenden und die Partei wieder "in ruhige Fahrwasser" wissen will. Sein Parteisprecher Stefan Hermann wird nicht müde zu betonen, dass die Landespartei ja selbst Geschädigte sei und sich als Privatbeteiligte dem Verfahren angeschlossen hat.

Warum aber ausgerechnet jene ausgeschlossen wurden, die öffentlich – zuletzt bei einer Pressekonferenz mit Pascuttini und Schönbacher im Rathaus – auf Aufklärung der dubiosen Geldflüsse drängen, darauf erhielt auch der STANDARD am Dienstag keine Antwort. Einzig Wagner wurde gelobt – es sei "ein Zeichen von Charakterstärke, Größe und aufrichtiger Verbundenheit zur Freiheitlichen Partei", dass er "als echt freiheitlicher Mandatar im Grazer Gemeinderat verbleibt". Außerdem stehe Kunasek "für Transparenz und Aufklärung im vielzitierten Finanzskandal". Wie etwa Pascuttini oder Schönbacher dieser Aufklärung im Wege stünden, auch darauf gibt es keine Antwort.

Kapitel 4: Ein Sitzungsprotokoll bringt neue Brisanz

Doch die Aussagen Lohrs aus der eingangs erwähnten Klubsitzung vom 12. September, als man noch unter Blauen war, stehen im krassen Widerspruch zu Kunaseks Image als Kämpfer für Transparenz und Aufklärung. Lohr wurde in der Sitzung von seinen damaligen Klubkollegen quasi ins Kreuzverhör genommen und befragt, warum er sie und die Behörden neun Monate über seine Tätigkeiten als Finanzreferent im Unklaren gelassen habe. Er sagt in dem Gespräch, dass er sich nicht mehr vollständig erinnern könne, ob, wie und wie lange er Finanzreferent des Klubs oder Kassier und Finanzprüfer der Vereine war. "Is naiv, is deppert", räumt Lohr in dem Gespräch ein, und auf die Frage seiner damals Noch-Parteikollegen, ob er denn warten wolle, bis das alles in der Zeitung stehe, sagt er: "Von mir aus wird nix in der Zeitung stehen."

Als jahrelanger Rechnungsprüfer im Steirischen Verlagsverein habe er die Einnahmen nie geprüft, wird Lohr im Sitzungsprotokoll zitiert, was seine Kollegen nicht recht glauben wollen. Lohr beharrt darauf, er habe nur bestätigt, was ihm und zwei weiteren Männern vorgelegt worden sei. Zwei der Männer, die er nennt, scheinen auch tatsächlich in den Vereinsregisterauszügen der Vereine auf. Sie arbeiten in einer Abteilung der Stadt zuständig, die für den An- und Verkauf und die An- und Vermietung von Liegenschaften der Stadt Graz und alle ihre Tochterunternehmen zuständig ist.

Laut Lohr wurden im Steirischen Verlagsverein Personen aus dem Parteiumfeld beschäftigt, Lohr nennt das "zwischengeparkt", damit sie "ein bissl ein Geld" bekämen. Er nennt auch Personen, die Mitarbeiter des Landtagsklubs waren. Also nicht nur Armin Sippel, der offiziell für die Parteizeitung "Der Uhrturm" und für die historische Aufarbeitung der Partei bei dem Verein angestellt war. Es sei ein "Ausweichverein" der Partei gewesen. Lohr warnt im Gesprächsprotokoll seine Kollegen, dass sie hier "eine große Büchse" aufmachen würden. Als Pascuttini sagt, er werde das alles "eins zu eins" der Kriminalpolizei weitergeben, sagt Lohr schließlich: "Das weiß der Weinmeister (Ex-Vizebürgermeister Peter Weinmeister, Anm.), das weiß der Kunasek! Nur haben sie die nicht anpatzt, (…)". Er könne nicht glauben, dass die Landespartei nicht wüsste, wer von ihren Leuten im Verein angestellt war. Lohr weiter: "Wenn du diese Büchse spielst, dann fürchte ich halt, dann fallt halt drüben auch einiges." Da die Sitzung im Grazer Rathaus stattfand, dürfte Lohr mit "drüben" das benachbarte Landhaus, in dem sich auch der FPÖ-Landtagsklub befindet, gemeint haben.

Mario Kunasek bekräftigte auf Anfrage von DER STANDARD aber am Dienstag, die besagten Vereine nicht einmal gekannt zu haben: "Von diesen Geldflüssen hatte ich keine Ahnung. Wer das behauptet, bekommt eine Verleumdungsklage." Weiters wird man an die Anwaltskanzlei verwiesen, die für die Landespartei mit der Causa befasst ist.

Kapitel 5: Der Konflikt ist noch lange nicht vorbei

Wie es nun weitergeht?

Am Dienstag traten auch sechs Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des ehemals blauen Gemeinderatsklubs der Stadtpartei aus, unter ihnen auch Bezirksvorsteherstellvertreter Christian Finster – aus "Fassungslosigkeit über das Vorgehen des FPÖ Steiermark-Landesparteivorstandes unter der Führung von Mario Kunasek und von Bundesparteiobmann Herbert Kickl".

Und in Graz? "Bis auf weiteres führt der Gemeinderatsklub unter der Bezeichnung '(Korruptions-)Freier Gemeinderatsklub' seine Geschäfte und arbeitet an einer technischen Lösung, um zukünftig alle seine Ausgaben für alle Menschen einsehbar zu machen", wurde angekündigt. Hintergrund war unter anderem eine Klagsdrohung am Dienstag wegen des Namens, so Pascuttini. Trotz des neuen Namens bleibe man Rechtsnachfolger und damit im Opferstatus beim Verfahren rund um den Finanzskandal, betonte er. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Colette M. Schmidt, 25. 10. 2022)