Philipp Köhn waren dank zahlloser Paraden die Schulterklopfer sicher, seine Selbstzufriedenheit hielt sich angesichts des Ergebnisses dennoch in Grenzen: "Ich versuche mein Bestes zu geben, leider hat es trotzdem zweimal geklingelt."

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Eine von zwei Weltklasseparaden Köhns gegen Pierre-Emerick Aubameyang.

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Hier könnte ein Loblied auf Philipp Köhn stehen. Salzburgs Goalie, zu Saisonbeginn noch die fleischgewordene Unsicherheit, spielte am Dienstagabend gegen Chelsea seine beste Partie im Bullen-Dress. Pierre-Emerick Aubameyang zog er Stück für Stück sämtliche Schneide- und Eckzähne, auch 80-Millionen-Mann Kai Havertz wies er mehrfach in die Schranken. Aber, aber, da waren zwei Momente, in denen auch ein Hybrid aus Lew Jaschin und Oliver Kahn in ihren besten Zeiten nichts zu fangen gehabt hätte, und deshalb endete die Partie 1:2, und deshalb darf Köhns Loblied hier nicht alles sein.

Aber ein bisschen mehr davon, das sei noch erlaubt, der in Deutschland geborene Wahl-Schweizer hatte zu viele berichtenswerte Momente. Schon nach 100 Sekunden prüfte Teamkollege Bernardo seinen Schlussmann mit einer Hungerhaken-Rückgabe, Köhn kassierte für sein zeitgerechtes Herauseilen ein Schienbein von dem zu spät gekommenen Angreifer. Das sollte sich noch zweimal wiederholen, von den vielen Abfangjagden ohne Feindkontakt ganz zu schweigen. Aber auch auf der Linie brillierte der 24-Jährige, herauszustreichen sind ein Prachtreflex bei einem abgefälschten Aubameyang-Kopfball sowie ein Flachschuss des Gabuners aus kurzer Distanz, bei dem Köhn unwahrscheinlich schnell am Boden war. "Er hat heute wieder eine Weltklasse-Leistung gezeigt", fasste Trainer Matthias Jaissle zusammen. "Unglaublich, was er gehalten hat. Er hat uns heute sicherlich das ein oder andere Mal den Oarsch gerettet", sagte Maximilian Wöber.

Schwache erste Halbzeit

Es war aber die einzige Weltklasse-Leistung in der Salzburger Elf, die mit 22 Jahren und zehn Monaten Durchschnittsalter die jüngste der Mozartstädter CL-Geschichte war. In der Königsklasse waren bisher nur Arsenal (2009) und Ajax (je einmal 2003 und 2004) mit einer jüngeren Startformation angetreten. In Halbzeit eins hatte Salzburgs 4-4-2-Raute gegen Graham Potters in der Offensive zum 3-3-4 eskalierten 3-5-2 wenig zu melden. "Wir sind ein wenig hinterher gelaufen", beobachtete Köhn. "Das Pressing war nicht so konsequent", sagte Jaissle. "Sie haben uns einfach eingeschnürt und immer wieder den freien Mann gefunden", sagte Wöber. "Die Performance in der ersten Halbzeit war sehr gut", sagte Chelseas Trainer.

Mit dem 0:1 zur Pause war Salzburg gut bedient, auch ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick hatte laut Pauseninterview Chancen für ein 0:3 oder 0:4 gesehen. Aber eben: Köhn, Köhn, Köhn. Zur Pause habe man sich "noch einmal heiß gemacht", sagte dieser nach der Partie. Tatsächlich bekamen die Bullen mehr Zugriff aufs Spiel und präsentierten sich im Ballbesitz weniger hilflos. Dass das flott zum Ausgleich gereichte, war einem Geniestreich von Maximilian Wöber geschuldet, der an einem sonst durchwachsenen Tag eine perfekte Flanke aus dem Halbfeld zu Junior Adamu brachte. Der vollendete ebenso tadellos und verhinderte wenig später ein Tor auf der anderen Seite, als er bei Jorginhos Kopfball auf der Linie rettete.

Zwei Momente

Doch wie schon beim Stand von 0:0 kassierte Salzburg auch bei 1:1 in eine Phase des Erstarkens ein Goal, das nur als gelungene Einzelleistung zu bezeichnen ist; eines, das man gegen eine Mannschaft wie Chelsea eben kassieren kann. War bei Mateo Kovacic‘ Treffer ins Kreuzeck noch Glück dabei, war Havertz‘ unhaltbarer 20-Meter-Schuss samt Busserl für die Querlatte pure Präzisionarbeit. "Das Tor macht er nicht jeden Tag, da muss man auch mal gratulieren", sagte Köhn.

"Die zweite Halbzeit war viel, viel besser, wir haben den Gegner geärgert", sagte Noah Okafor. Auch seine Teamkollegen waren eher stolz auf die eigene Leistung als traurig über das Ergebnis. Chelseas Kader hat einen Gesamtmarktwert jenseits der 800 Millionen Euro, da reicht eine Halbzeit nicht.

Die Kicker des AC Milan sollen nur läppische 550 Millionen Euro wert sein. Abseits aller Kickeraktienspekulationen hat die bisherige Gruppenphase gezeigt, dass die Mailänder eine halbe Stufe unter Chelsea einzusortieren sind. Deshalb kann man die Lust der Salzburger auf den kommenden Mittwoch verstehen. Man werde den Showdown gegen Milan angehen wie ein Finale, sagte Noah Okafor. "Wir haben jetzt noch so ein cooles Finale, was gibt es besseres?", fragte Köhn.

Sieg gleich Achtelfinale

Die Ausgangslage ist simpel: Mit einem Auswärtssieg stehen die Bullen im CL-Achtelfinale, ein Remis würde für Platz drei und das EL-Sechzehntelfinale reichen. Was Chelsea und Zagreb im Parallelspiel treiben, ist nur bei einer Niederlage relevant: Dann würde ein Dinamo-Sieg Salzburg aus dem Europacup kegeln. Chelsea ist fix Erster, das kann bei den chronisch überspielten englischen Mannschaften gefährlich sein. Potter versprach, er werde "ein bisschen rotieren, aber wir werden sicher unser Bestes geben".

Salzburg wäre jedenfalls gut beraten, zumindest einen Punkt aus Mailand mitzunehmen. Wichtig wäre eine Rückkehr von Oumar Solet, der französische Innenverteidiger wurde an der Seite des soliden Strahinja Pavlovic schmerzlich vermisst. Eine Alternativlösung in der Innenverteidigung wäre Maximilian Wöber, dafür müsste Linksverteidiger-Alternative und Altersschnitt-Saboteur Andreas Ulmer aber noch fitter werden. Gegen Chelsea reichte es nur für einen Kurzeinsatz. (Martin Schauhuber, 26.10.2022)