Auch die zusätzlichen Lieferungen von Flüssiggas (LNG) sorgen für niedrigere Preise. Mittlerweile stauen sich die Schiffe.

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Wer die Entwicklung des Gaspreises in den letzten Monaten beschreibt, kommt um das Wort "Talfahrt" nicht herum. Während der Preis je Megawattstunde (MWh) im Sommer noch bei knapp 350 Euro lag, sank er in der letzten Woche auf unter hundert Euro. Das ist im Vergleich zu den rund 30 Euro, die Europäerinnen und Europäer jahrelang dafür bezahlt haben, immer noch viel – aber dennoch einen spürbare Entlastung.

Frage: Warum ist der Gaspreis gesunken?

Antwort: Die Nachfrage ist geringer und das Angebot größer als erwartet. Das hat vor allem zwei Gründe: Die Europäische Union hat ihre Gasspeicher in den Sommermonaten gut gefüllt. Der Speicherstand liegt mittlerweile bei über 90 Prozent. Auch Hafenterminals für Flüssiggas (LNG) sind zum Teil ausgelastet. Zuletzt stauten sich vor der spanischen Küste etwa Tankschiffe, die keine Abnehmer für ihr LNG fanden. Der zweite Grund ist das warme Oktoberwetter, das zu einem deutlich geringeren Gasverbrauch als üblich führt. Abgesehen davon wirkt sich wohl die Diskussion über einen EU-weiten Gaspreisdeckel auf den sensiblen Markt aus – auch wenn die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten zuletzt stockten.

Frage: Wird der Gaspreis auf Dauer so "niedrig" bleiben?

Antwort: Über die Wintermonate werden die Gaspreise wohl wieder leicht steigen, weil der Bedarf größer wird und die Speicherstände sinken. Es spricht jedoch einiges dafür, dass sich der Markt beruhigt. Die hohen Preise motivierten die Industrie dazu, ihren Gasverbrauch zu reduzieren. Europa sucht zudem mit Nachdruck nach Alternativen zum russischen Gas. Dazu kommt ein weiterer Effekt: Russische Ankündigungen über die Unterbrechungen von Gasleitungen führten laut E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch zuletzt nicht mehr dazu, dass die Preise stark gesprungen sind. "Wir können vorsichtig optimistisch sein, dass sich die Preise einpendeln werden. Vielleicht nicht auf diesem niedrigen Niveau, das wir jetzt haben, aber auf einem niedrigeren Niveau als in den vergangenen Monaten", erklärte Urbantschitsch am Dienstag in der "ZIB2".

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Frage: Wann werden die niedrigen Preise bei den Kundinnen und Kunden ankommen?

Antwort: Das ist stark vom jeweiligen Vertrag abhängig. Bei Großkunden wie Industriebetrieben, die zum Teil direkt am aktuellen Markt kaufen, wirken sich Preisänderungen relativ rasch aus. Bei den Konsumentinnen und Konsumenten dürfte es im Schnitt etwas länger dauern: Die Energieversorger liefern derzeit noch Gas, das sie schon früher zu höheren Preisen eingekauft haben. Bei den nächsten Preisanpassungen – etwa im Jänner 2022 – könnten der Rückgang aber bereits spürbar werden oder zumindest dazu führen, dass die Preise nicht so stark steigen wie erwartet. Attraktiver könnte künftig auch wieder der Wechsel zu einem neuen Energieversorger werden. Neukunden profitieren normalerweise rasch von gesunkenen Preisen.

Frage: Was ist aus dem geplanten EU-Gaspreisdeckel geworden?

Antwort: Die EU hat sich darauf geeinigt, gemeinsam Gas einzukaufen. Allerdings sind die Mengen vergleichsweise gering. Das "Einkaufskartell" wird laut Urbantschitsch daher eher nicht dazu führen, dass die Preise sinken. Abgesehen davon will die EU mit gezielten Eingriffen in die Gasmärkte Spekulationen und Preisspitzen verhindern und sich dabei ein Beispiel an den Finanzmärkten nehmen. "Wenn mit kleinen Volumen untertags enorme Preissprünge passieren, dann wird der Markt ausgesetzt. Dasselbe gilt es jetzt am Gasmarkt zu machen", sagte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Dienstag beim Energieministertreffen. Zu einem fixen Gaspreisdeckel – wie ursprünglich geplant – wird es aber wohl nicht kommen. Hier werden sich die EU-Staaten nicht einig. Und auch das von Gewessler befürwortete "iberische Modell" ist unwahrscheinlich.

Frage: Worum geht es dabei?

Antwort: Der Strompreis orientiert sich nach wie vor stark am Gaspreis. Im iberischen Modell – benannt nach den Vorreitern Spanien und Portugal – wird der Gaspreis vom Staat subventioniert und drückt so indirekt auch den Strompreis. Die Gefahr des Modells ist allerdings, dass billiger Strom in das benachbarte EU-Ausland abfließt, sagt Gewessler. (japf, 26.10.2022)