Die Europäer wollen arabisches Gas als Übergangslösung, die Golfstaaten langfristige Verträge.

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Es ist die Furcht vor dem nächsten kalten Winter, die Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) die kommenden Tage in die gleißende Hitze Abu Dhabis treibt. Die Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die Nehammer gemeinsam mit Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) antritt, soll die Abhängigkeit Österreichs von russischem Erdgas verringern. Ob der Regierung das gelingt, ist fraglich – schließlich werben auch zahlreiche andere Staaten um die Gunst der Scheichs. Österreich hat aber einen Vorteil: Das Land pflegt schon jetzt enge Beziehungen mit dem umstrittenen Golfstaat.

Frage: War die Regierung nicht erst auf der Arabischen Halbinsel?

Antwort: Bereits im März, kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, war Nehammer unter großem Mediengetöse mit Gewessler und der damaligen Rohstoffministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) in die Golfregion gereist – nach Abu Dhabi und Katar. Das Objekt der Begierde: LNG, verflüssigtes Erdgas, das mit riesigen Tanker nach Europa verschifft und über Pipelines weiter nach Österreich transportiert werden soll. Der grünen Gewessler war es freilich ein Anliegen, sich vor Ort auch für die Lieferung von "grünem" Wasserstoff einzusetzen. Der Erfolg der Reise ließ allerdings zu wünschen übrig – oder wie es Nehammer formulierte: Man dürfe sich "keine Wunder erwarten". Und Gewessler: "Wir sind nicht die Einzigen, die diese Region bereisen." Mit im Gepäck hatte die Regierung bei ihrer Rückkehr keine fixen Zusagen, sondern eine "Absichtserklärung".

Frage: Und dieses Mal?

Antwort: Nehammer betonte im März, dass der Regierung "ganz klar signalisiert wurde, dass man bereit ist, über größere Abnahmemengen auch wirklich zu verhandeln". Möglicherweise wollen die Golfstaaten nun eben wirklich verhandeln. Laut Aussendung des Bundeskanzleramts sei man für den kommenden Winter gut vorbereitet und arbeite daran, "die Versorgungssicherheit für die darauffolgenden Heizsaisonen sicherzustellen." Die VAE seien bei der LNG-Versorgung ein "wichtiger strategischer Partner". Der STANDARD erbat von Energieministerin Gewessler genauere Infos zum Zweck der Reise, bekam bis Redaktionsschluss jedoch keine Rückmeldung. Will sich die Regierung Erdgas für die eigene, staatliche Reserve sichern? Oder will sie Türöffner für österreichische Energieversorger sein? Mit in Abu Dhabi ist jedenfalls OMV-Chef Alfred Stern, wie der Konzern auf Anfrage bestätigte. Über den "Zweck von Dienstreisen" könne man im Vorfeld "keine Auskunft" geben.

Frage: Was haben die Golfstaaten davon, mit Österreich zu kooperieren?

Antwort: Das ist die Preisfrage – wortwörtlich. Österreich ist nicht das einzige Land, das angesichts der Energiekrise Interesse an neuen Lieferquellen hat. Die Golfstaaten können den Preis daher höher ansetzen, als dies sonst der Fall wäre. In einem zentralen Punkt widersprechen sich aber die Ziele der EU-Staaten und die Interessen von Ländern wie den VAE oder Katar: Die EU will mittel- und langfristig aus fossilen Energieträgern wie Öl, Kohle und Gas aussteigen und auf erneuerbare Quellen setzen. Das Gas, das die EU-Staaten aus der Golfregion beziehen, gilt als Überbrückungshilfe. Sie haben kein Interesse an langfristigen Verträgen – was angesichts der Erfahrungen mit Russland auch auf Österreich zutreffen dürfte. Die Scheichs sehen das freilich anders: Sie sind an langfristigen Geschäften interessiert, sind fossile Brennstoffe doch ihre wichtigste Einnahmequelle. Wozu also mit Staaten kooperieren, die mittelfristig ohnehin wieder aussteigen? Denkbar sind Kompromisse über die künftige Lieferung von grünem Wasserstoff.

Frage: Wie sind Österreich und die VAE in der Energiefrage bereits miteinander verbunden?

Antwort: Mubadala, die Beteiligungsgesellschaft der VAE, hält 24,9 Prozent der OMV-Anteile. Der österreichischen Staatsholding Öbag gehören 31,5 Prozent. Die OMV-Chemietochter Borrealis steht zu 25 Prozent im Eigentum der Mubadala. Borealis betreibt mit der Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) zudem das Kunststoff-Joint-Venture Borouge.

Frage: Wie viel LNG beziehen Österreich und die EU aktuell?

Antwort: Österreich hat seine Abhängigkeit von russischem Gas laut E-Control von 80 auf circa 50 Prozent reduziert. Grund dafür sind neben Lieferungen aus Norwegen auch Flüssiggas-Importe über Häfen in Italien und den Niederlanden. Dort kommen derzeit vor allem aus den USA und Katar nennenswerte Mengen an. Wie viel davon nach Österreich gelangt, ist laut der Österreichischen Energieagentur nicht bekannt. Der Anteil an Flüssiggas ist in Europa aber deutlich gestiegen. Für die gesamte EU lag 2022 der LNG-Anteil an den Importen bei rund einem Drittel.

Frage: Ist Flüssiggas Mitgrund dafür, dass die Gaspreise derzeit sinken?

Antwort: Im Sommer kostete eine Megawattstunde (MWh) Gas bis zu 350 Euro. Letzte Woche sank der Preis auf unter hundert Euro. Alternative Bezugsquellen wie LNG sind aber nur zum Teil Grund dafür. Entscheidend sind vor allem gut gefüllte Speicher und der milde Herbst.

Frage: Wird der Gaspreis dauerhaft so "niedrig" bleiben?

Antwort: Über die Wintermonate werden die Gaspreise wohl wieder leicht steigen, weil der Bedarf größer wird und die Speicherstände sinken. Es spricht jedoch einiges dafür, dass sich der Markt beruhigt. Die hohen Preise motivierten die Industrie dazu, ihren Gasverbrauch zu reduzieren. Europa sucht zudem mit Nachdruck nach Alternativen zum russischen Gas. Dazu kommt ein weiterer Effekt: Russische Ankündigungen über die Unterbrechungen von Gasleitungen führten laut E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch zuletzt nicht mehr zu starken Preissprüngen. "Wir können vorsichtig optimistisch sein, dass sich die Preise einpendeln werden. Vielleicht nicht auf diesem niedrigen Niveau, das wir jetzt haben, aber auf einem niedrigeren Niveau als in den vergangenen Monaten", erklärte Urbantschitsch am Dienstag in der "ZiB 2".

Frage: Wann kommen die niedrigen Preise bei den Kundinnen und Kunden an?

Antwort: Das ist vom jeweiligen Vertrag abhängig. Bei Industriebetrieben, die zum Teil direkt am aktuellen Markt kaufen, wirken sich Preisänderungen rasch aus. Bei Konsumentinnen und Konsumenten dauert es im Schnitt etwas länger. Die Energieversorger liefern derzeit Gas, das sie schon früher zu höheren Preisen eingekauft haben. Bei den nächsten Preisanpassungen, etwa im Jänner 2022, dürfte der Rückgang jedoch zumindest dazu führen, dass die Preise weniger stark steigen als erwartet. Attraktiv könnte künftig wieder der Wechsel zu anderen Energieversorgern werden. Neukunden profitieren normalerweise rasch von gesunkenen Preisen. (Jakob Pflügl, 27.10.2022)