Um ihre unglaublichen Reisen zu überstehen, fressen sich die Pfuhlschnepfen extreme Fettreserven an und verkleinern gleichzeitig ihre Organe.

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Eine junge Pfuhlschnepfe (Limosa lapponica), deren Name sich auf die etwas unpersönliche Satellitennummer 234684 beschränkt, flog ohne Zwischenstopp unfassbare 13.560 Kilometer von Alaska auf die südlich von Australien gelegene Insel Tasmanien und hat damit einen neuen Weltrekord für Langstreckenflüge von Vögeln aufgestellt. Der bisherige Rekord wurde von einem erwachsenen Männchen derselben Art namens 4BBRW gehalten, das im vergangenen Jahr 13.000 km geflogen war und damit seinen eigenen Rekord von 12.000 km im Jahr zuvor übertroffen hatte.

In einem Facebook-Post des neuseeländischen Pūkorokoro Miranda Shorebird Centre hieß es, der Rekord von 4BBRW sei "von einem jungen Emporkömmling weggepustet" worden. Die Satellitendaten zeigen, dass die nur fünf Monate alte Pfuhlschnepfe am 13. Oktober in Alaska gestartet war und während ihres unglaublichen Marathonflugs, der elf Tage und eine Stunde dauerte, nicht angehalten hat, wie die britische Zeitung "The Guardian" berichtet.

Organverkleinerung für die Langstrecke

Pfuhlschnepfen, die nur rund 40 Zentimeter lang sind und im Schnitt rund 300 Gramm wiegen, gehören zu den Watvögeln (Limikolen), charakteristisch ist ihr langer, leicht nach oben gebogener Schnabel. Für ihre in der Vogelwelt einzigartigen Langstreckenflüge können sie ihre inneren Organe verkleinern, um mehr Platz für Muskeln und Fettreserven zu schaffen. Wie sie das machen, ist eine der vielen Fragen, die wissenschaftlich noch nicht restlos geklärt sind.

In einem erst Anfang 2022 erschienenen Artikel im Fachblatt "Ornithology" kam eine Gruppe von Vogelkundlern zum Schluss, dass die beschwerlichen Reisen dieser Vögel "grundlegende Annahmen über die Physiologie, die Orientierung und das Verhalten von Vögeln" infrage stellen. Das Ornithologenteam listete immerhin elf mehr oder weniger ungelöste Fragen auf, die sich der Wissenschaft angesichts solcher unfassbaren Ausdauer- und Navigationsleistungen stellen.

Dazu gehört nicht zuletzt der "Umbau" der Körper der Vögel, deren Gewicht vor Flugantritt bis zu 500 Gramm beträgt, bei der Landung nur mehr etwas über 200 Gramm. Dennoch ist nach wie vor unerklärlich, wie sich elf Tage nonstop in der Luft physiologisch und metabolisch ausgehen können. Die maximale Flugdauer, die Fachleute auf dem Papier errechneten, beträgt nämlich gerade einmal vier Tage.

Standorte einzelner Küstenvögel von sieben Vogelarten, die vom USGS Alaska Science Center (2019) und dem Global Flyway Network von 2005 bis 2019 im gesamten Pazifikbecken verfolgt wurden. Die Pfuhlschnepfe heißt auf Englisch Bar-tailed Godwit; ihre Routen sind hier grün markiert. Der neue Rekordhalter flog nach Tasmanien westlich von Neuseeland – eine Route, die hier nicht eingezeichnet ist.
Grafik: Theunis Piersma et al., Ornithology 2022

Von Alaska über Vanuatu nach Tasmanien

Ornithologen verfolgen den neuen Weltrekordhalter mithilfe eines knapp fünf Gramm leichten 5G-Satellitensenders, der an seinem unteren Rücken befestigt ist. Die Hard- und Software ist Teil des Projekts Icarus der Max-Planck-Gesellschaft, das die Migration aller möglichen Tierarten erforscht.

Den Daten des Vogelverfolgungsprojekts zufolge nahm der Zugvogel eine Route westlich von Hawaii, flog über den offenen Ozean und überflog am 19. Oktober den pazifischen Inselstaat Kiribati. Etwa zwei Tage später sah Nummer 234684 wieder Land, überflog Vanuatu und flog weiter in Richtung Süden, wobei er eine Route etwa 620 km östlich von Sydney einschlug und zwischen Australiens Ostküste und Neuseeland weiterflog.

Die letzten Kilometer der epischen Reise.

Am 23. Oktober bogen der Vogel und alle anderen, die mit ihm flogen, scharf nach Westen ab. Zwei Tage später landete die in Alaska markierte Pfuhlschnepfe in Ansons Bay im Nordosten Tasmaniens. Was der epischen Reise der Vögel quer über den Pazifik noch eine weitere besondere Note gibt: Eine Landung auf dem Meer würde ihren sicheren Tod bedeuten. Sie müssen also so lange fliegen, bis eine Küste in Sicht kommt.

Jungvögel finden Weg alleine

Sean Dooley von Birdlife Australia weist noch auf eine weitere Besonderheit hin, die mit dem neuen Rekordhalter verbunden ist: "Das Erstaunlichste ist, dass die Jungvögel getrennt von den erwachsenen Vögeln ziehen. Die erwachsenen Vögel verlassen die Arktis manchmal bis zu sechs Wochen früher". Die Jungvögel würden diese Zeit damit verbringen, sich für die lange Wanderung in den Süden zu mästen. Dooley vermutet außerdem, dass der Jungvogel in einem Schwarm mit Alterskollegen geflogen sei.

Das Pūkorokoro Miranda Shorebird Centre teilte unterdessen mit, dass es seine Souvenir-Geschirrtücher für den bisherigen Rekordhalter 4BBRW vermutlich durch neue für 234684 ersetzen wird. (tasch, 27.10.2022)