Tiere nutzen unterschiedliche Kommunikationskanäle. Bisher wurden allerdings die Laute, die Schildkröten und andere Reptilien zustande bringen, unterschätzt.
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Wie klingt eine Schildkröte? Im Gegensatz zu anderen Tierarten bringen uns typische Sounds, die Reptilien produzieren, ins Grübeln: Sie kommen seltener vor und fallen oft kaum auf. Weltweiten virtuellen Plattformen und einer entsprechend interessierten Community ist es zu verdanken, dass man die interessanten Laute der bepanzerten Tiere mittlerweile zumindest schnell ergoogeln und nachhören kann.

Rib Ticklers

Die akustischen Äußerungen von Schildkröten und anderen Reptilien erhielten auch in der Evolutionsforschung verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit. Weil man glaubte, sie seien nicht zu lautstarker Kommunikation fähig, habe man die "Schlüsselarten" auch bei der Entwicklung der Sprache nicht berücksichtigt, sagt der Paläontologe Gabriel Jorgewich-Cohen von der Universität Zürich. Daher galt die Annahme, dass Verständigung durch Töne in der Naturgeschichte eher spät und unabhängig voneinander in mehreren Tiergruppen entstand.

Leise Zeitgenossen

In einer aktuellen Forschungsarbeit stellt Jorgewich-Cohen allerdings die Vermutung auf, dass akustische Kommunikation schon früher als bisher angenommen aufkam – genauer: vor 407 Millionen Jahren. Damals dürfte die Nasenatmung entstanden sein, zu der auch Reptilien fähig sind. Es könnte sich also um einen gemeinsamen Vorfahren handeln, der am Anfang der Lauterzeugung stand, schreibt das brasilianisch-schweizerische Forschungsteam im Fachjournal "Nature Communications".

Die Fachleute sammelten dafür Audioaufnahmen von rund 1.800 Wirbeltierspezies, unter anderem bei der Grazer Institution "Turtle Island" (Schildkröteninsel), wo gefährdete Schildkrötenarten nachgezüchtet und erforscht werden. Und sie stellten fest, dass etliche Arten, die im Meer leben und denen man zuvor Stummheit unterstellt hatte, ebenfalls per Sound kommunizieren.

Menschen hätten naheliegenderweise eine Tendenz dazu, Landlebewesen stärker wahrzunehmen als Tiere, die unter Wasser beheimatet sind – und ignorierten daher häufig die Fähigkeiten der Meereslebewesen, sagt Erstautor Jorgewich-Cohen. "Wir wissen, wann ein Vogel singt", sagt der Paläontologe. Im Gegensatz dazu seien aber einige der untersuchten Reptilien und Amphibien sehr leise oder gäben nur alle zwei Tage einen Ton von sich.

Absprachen vor dem Schlüpfen

In der Grazer Forschungseinrichtung konnten bei allen vierzehn Schildkrötenfamilien für die Studie Vokalisierungen aufgezeichnet werden, berichtet einer der Gründer der Zuchtstation, Peter Praschag. Jeweils zwei Exemplare der gleichen Art wurden in einen Behälter gesetzt und hatten sich offenbar viel zu erzählen. Inhaltlich geht es unter anderem um Partnersuche und das Abstecken von Territorien, vermutet der Zoologe.

"Die gesprächigste Art war die Riesen-Weichschildkröte aus Neuguinea", sagt Praschag: "Die beiden Tiere hatten einander zuvor noch nie gesehen und hätten fast die Aufnahmekapazität des Rekorders überfordert." Selbst lokale "Dialekte" scheinen sich ausgeprägt zu haben.

Das Timing zum gemeinsamen Schlüpfen dürften zumindest manche Schildkrötenarten vorher akustisch besprechen.
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Bei der Arrau-Schildkröte aus dem Amazonasgebiet, die über einen Meter lang und 90 Kilogramm schwer werden kann, würden die Jungtiere schon vor dem Schlüpfen aus dem Ei miteinander kommunizieren, erklärt Praschag: "Wahrscheinlich sprechen sie sich ein gemeinsames Timing aus, um geballt den Feinden auf dem Weg zum Wasser die Stirn zu bieten." Auch wenn sich zwei Braune Landschildkröten aus Südostasien begegneten, werde hörbar kommuniziert und dabei mit den Köpfen genickt. Die Tiere würden einander jeweils sofort antworten.

Vokal kompetent

Daneben ging es aber auch um zahlreiche andere Spezies. Jorgewich-Cohen und sein Team konnten etwa belegen, dass einige Tiere akustisch kommunizieren, von denen dies noch nicht bekannt war. Dazu gehören der Südamerikanischen Lungenfisch, die Brückenechse – bei der es sich um eine urtümliche, mit Rückenstacheln ausgestattete Echse aus Neuseeland handelt – sowie Vertreter der Schleichenlurche, einer Gruppe schlangenartiger Amphibien.

Mit diesen drei sowie insgesamt 50 Schildkrötenarten konnten die Fachleute insgesamt 53 Arten erstmals wissenschaftlich als "vokal kompetent" beschreiben. Gemeinsam mit 1.800 Arten, bei denen die akustische Kommunikation schon früher beschrieben wurde, rekonstruierten sie, dass die Verständigung durch Laute wohl auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückzuführen ist. Möglich sei akustische Kommunikation demnach bei allen Tieren mit Nasenhöhlenöffnung (Choanata), also einer Verbindung von Nasen- und Rachenraum.

Der gemeinsame Ursprung wird auf einen Zeitraum vor rund 407 Millionen Jahren datiert. Damals könnte also bereits die Grundlage für heutige Gespräche entstanden sein – auch wenn es seitdem zu zahlreichen Entwicklungsschritten gekommen ist. (red, APA, 27.10.2022)