Drei Zinserhöhungen in Folge sind zu wenig. Die Notenbank kündigt eine weitere Straffung ihrer Geldpolitik an.

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Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag mit einer Anhebung der Sätze um 0,75 Prozentpunkte neuerlich einen großen Zinsschritt gesetzt. Es ist bereits die dritte Erhöhung in diesem Jahr, seit Juli wurde der Leitzinssatz von null auf nunmehr zwei Prozent gehievt. Damit stemmt sich die Notenbank gegen die sich immer weiter aufbauende Inflationswelle in der Eurozone, wo im September der Rekordwert von 9,9 Prozent erreicht wurde. Der Zinssatz für Bankeinlagen bei der EZB wurde ebenfalls um einen Dreiviertelprozentpunkt erhöht und liegt nun bei 1,5 Prozent.

"Der EZB-Rat hat den heutigen Beschluss gefasst – und geht davon aus, dass er die Zinsen weiter anheben wird –, um eine zeitnahe Rückkehr der Inflation auf das mittelfristige zwei-Prozent-Ziel zu gewährleisten", heißt es in der Pressemitteilung der Notenbank. "Der EZB-Rat wird den künftigen Leitzinspfad an der Entwicklung der Inflations- und Wirtschaftsaussichten ausrichten."

Inflation "viel zu hoch"

Die Inflation im Euroraum ist aus Sicht von EZB-Chefin Christine Lagarde "viel zu hoch", sagte sie nach der Zinsentscheidung. Getrieben werde diese von hohen Preisen für Haushaltsenergie, also Gas und Strom, teureren Nahrungsmitteln und den gestörten Lieferketten, die trotz einer sich abzeichnenden Entspannung noch zur hohen Teuerung beitragen würden. Mit dem dritten Zinsschritt in Folge will Lagarde die volkswirtschaftliche Nachfrage und die Inflationserwartungen drosseln. "Wir werden weitere Zinsschritte in der Zukunft durchführen", kündigte sie eine weitere Normalisierung der Geldpolitik an. Auf welches Niveau die Notenbank die Zinsen erhöhen wird, ließ die EZB-Chefin aber offen. Die nächste und letzte Zinssitzung in diesem Jahr ist für den 15. Dezember geplant.

DER STANDARD

Im Vorfeld war ein solcher Zinsschritt bereits erwartet worden – und findet entsprechende Zustimmung von Volkswirten: "Eine entschlossene Inflationsbekämpfung durch einen großen Zinsschritt ist das einzig richtige Signal, welches die EZB senden musste", sagt Ulrich Kater, Chefökonom der deutschen Deka-Bank. Zwar werde sich die Hälfte der gegenwärtig hohen Inflationsraten mit einer Beruhigung der Energiepreise im kommenden Jahr von selbst zurückbilden. "Die andere Hälfte der Inflation wird jedoch über Zweitrundeneffekte noch lange nachwirken", erklärt Kater. "Hier wird die EZB noch lange gegenhalten müssen."

Bis vier Prozent

"Die EZB sollte ihre Leitzinsen in den kommenden Monaten weiter entschieden anheben und sich nicht von der anbahnenden Rezession irritieren lassen", schlägt Chefvolkswirt Jörg Krämer von der Commerzbank in dieselbe Kerbe. Seiner Ansicht nach braucht einen es einen EZB-Einlagensatz in der Größenordnung von vier Prozent – also weitere 2,5 Prozentpunkte mehr. "Andernfalls legen die zuletzt massiv gestiegenen Inflationserwartungen der Bürger weiter zu, und die hohe Inflation setzt sich dauerhaft fest", warnt Krämer.

Um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren und die Inflation zurück auf das mittelfristige Ziel von zwei Prozent zu bringen, habe die EZB die Zinszügel weiter anziehen müssen, betont auch Marktstratege François Rimeu von dem Investmenthaus La Française Asset Management.

Kredite werden teurer

Jedenfalls erhöhen sich durch den Zinsschritt die Kosten für variable sowie für neu zu vergebene Kredite weiter. Aber auch die Länder der Eurozone werden für neu begebene Staatsanleihen höhere Zinsen bezahlen müssen. Wesentlich weniger dynamisch gehen jedoch die Zinsen auf Spareinlagen nach oben, die sich eigentlich am Einlagensatz der Banken bei der EZB orientieren sollten.

Bald dürfte in der Notenbank auch der Abbau der durch die massiven Anleihenkäufe aufgeblähten Bilanz der EZB zum Thema werden. Insgesamt wurden auf diese Weise von der EZB Staatsanleihen im Wert von mehr als fünf Billionen Euro erworben. Derzeit werden diese Papiere sofort reinvestiert, sobald sie auslaufen und getilgt werden. Irgendwann wird die Notenbank aber ihre Wertpapierbestände abbauen müssen und damit dem Markt effektiv Liquidität entziehen. "Wir gehen davon aus, dass die EZB auf der Dezember-Sitzung offiziell ihren Plan zur Reduzierung der Anleihebestände bekanntgeben wird, die ab dem ersten Quartal 2023 erfolgen dürfte", sagt Marktstratege Rimeu dazu.

Auswirkungen auf Staatsanleihen

Allerdings erwartet er auch, dass durch die heutige Entscheidung die sogenannten Spreads in der Eurozone steigen könnten. Das sind die Zinsaufschläge, die weniger gute Schuldner wie Italien – verglichen mit dem Musterschüler Deutschland – zu bezahlen haben. Diese Schere ist bereits in der vergangenen Wochen deutlich aufgegangen, sodass die Rendite zehnjähriger deutsche Schuldverschreibungen derzeit 2,18 Prozent beträgt. Italien muss mit 4,41 Prozent bereits mehr als das Doppelte für neue Schulden bezahlen. Allerdings ist Deutschland bloß mit 69 Prozent der Wirtschaftsleistung verschuldet, Italien mit 151 Prozent.

Für den Fall, dass der Zinsunterschied zu groß werden sollte, hat die EZB bereits ein eigenes Programm namens TPI angekündigt. Damit sollen die Anleihenrenditen einzelner Länder gedrückt werden, um deren Schuldenaufnahme zu erleichtern. In welchem Fall das Programm zur Anwendung kommen werde, ließ Lagarde allerdings offen – und sagte lediglich: "Wir haben gar nicht über TPI gesprochen." (Alexander Hahn, 27.10.2023)