Mit der bereits dritten Zinserhöhung seit Juli hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins in der Eurozone flugs von null auf zwei Prozent erhöht. Wegen der sich immer weiter aufschaukelnden Inflationswelle war die Notenbank enorm unter Druck geraten. Schließlich erreichte die Teuerung im September in der Währungsunion den bisherigen Höchstwert von 9,9 Prozent, und Geldwertstabilität ist oberstes Ziel der Währungshüter, also eine jährliche Inflationsrate von bloß zwei Prozent. Davon ist die EZB noch weit entfernt, folglich war ein neuerlicher großer Zinsschritt alternativlos – auch wenn mitunter kritische Stimmen laut werden.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins in der Eurozone heuer von null auf zwei Prozent erhöht.
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Tatsächlich kann die Notenbank wenig gegen die Auslöser des Inflationsschubs ausrichten – weder kann sie direkt auf die hohen Energiepreise Einfluss nehmen noch die gestörten Lieferketten geradebiegen. Allerdings steht es in ihrer Macht, die sogenannte importierte Inflation dadurch zu drosseln, dass sie den Kursverfall des Euro durch höhere Zinsen stoppt. Das ist bisher auch gelungen, denn höhere Verzinsung zieht Kapital geradezu magisch an. Der Import von vielen Rohstoffen wie Erdöl oder Gütern aus dem Dollarraum wurde allein dadurch billiger, dass die Gemeinschaftswährung nach ihrem Tief bei weniger als 96 US-Cent nun wieder mehr wert ist als ein Dollar.

Dennoch werden weitere Zinsschritte folgen müssen, um die Inflation in Zaum zu halten – selbst wenn der Preis dafür eine Rezession in vielen Ländern der Eurozone ist. Diese erscheint ohnedies unvermeidlich und drosselt verlässlich die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen – und damit auch den Inflationsdruck. Wenn die Teuerung im nächsten Jahr merklich zurückgeht – worauf sowohl der tiefere Gaspreis als auch die Entspannung bei den Lieferketten hindeuten –, kann die Notenbank auch von weiteren Zinserhöhungen Abstand nehmen. Die Erfahrungen der letzten Hochinflationsphase der 1970er haben gelehrt: Es kommen jene Volkswirtschaften am besten durch diese schwierige Phase, deren Notenbanken früh und entschieden gegen die Teuerung vorgehen.

Jahrelange Nullzinsphase

Noch hat der Leitzins in der Eurozone nicht einmal ein neutrales Niveau erreicht, das die Wirtschaft weder bremst noch fördert. Dieses wird zwischen 2,5 und drei Prozent angesiedelt. Wer sich wie die EU selbst als Wirtschaftsmacht versteht, muss solche Zinsanstiege verkraften können.

Auch wenn Politiker Rezessionen meiden wie der Teufel das Weihwasser, Volkswirte wissen auch von deren reinigender Wirkung. Denn durch eine rückläufige Wirtschaftsleistung scheiden unproduktive Unternehmen aus, die sich bisher gerade so über Wasser halten konnten – nicht zuletzt dank der jahrelangen Nullzinsphase der EZB und massiver Corona-Hilfen. Damit sollte jetzt Schluss sein, denn solche sogenannten Zombiefirmen binden Kapital und vor allem Personal, das in anderen Bereichen händeringend gesucht wird.

Der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter bezeichnete diesen Prozess 1911 als schöpferische Zerstörung – durch eine neue Kombination der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit werden veraltete Strukturen überwunden und neue geschaffen. Genau das Richtige für Europa, wo die Wende weg von fossilen Energien hin zu erneuerbaren Alternativen rasch gelingen muss. (Alexander Hahn, 27.10.2022)