Spiegel der sich wandelnden Mensch-Tier-Beziehung: Das Bild zeigt ein Hundegrab in Bad Homburg, Hessen.

Foto: Picturedesk/Frank Rumpenhorst

Als meine Cousine ihren Hund Cheeky bekommen hat, war sie noch ein Kind. Der kleine, noch ganz junge Mischling wurde umgehend Teil der Familie; viele Jahre später würde er auf Hochzeitsfotos dabei sein, nonchalant selig auf dem Schoß des Brautpaars. Dass er womöglich eine nicht gar so angenehme Vorgeschichte hatte, immerhin war er ausgesetzt worden, hat man ihm keineswegs angemerkt – einzig seine heftige Reaktion auf den Duft gerade geöffneter Pilsflaschen ließ etwas erahnen (was genau, wusste aber niemand).

Und dass er wie selbstverständlich nach jedem Regenspaziergang selbst ein Handtuch geholt hat, auf dass ihm Fell und Pfoten getrocknet würden, hat ihm aus unserer Familie auch niemand beigebracht, vielleicht war’s der Rest eines früheren Drills. Dass er etwas Besonderes war, hat nicht nur seine Menschenfamilie gesehen. Nur konsequent, dass er maßlos geliebt und vergöttert wurde.

Trauer um Haustiere

Als jemand, der lange weder Hund noch Katz noch Pony hatte, haben mich die Tiere in meinem Umfeld immer sehr für sich eingenommen. Um meine prophetischen Fähigkeiten rankt sich ein Familienmythos, seit ich dem Kater meiner Großeltern in kleinkindlicher Süßstimme vorhergesagt habe: "Fridolin, ich glaub, du stirbst bald." Ich behielt recht. Es folgten noch einige Katzen: der Schneekater, ein streunender Kostgänger, der sich nie ins Haus getraut hat und eines Tages wohl einfach nicht mehr wiederkam. Oder Bolle, auf einer Berliner Baustelle geboren, der bei einem Unfall sein Leben ließ und ganz entsetzlich gefehlt hat.

Die Unbegreifbarkeit des Todes, mit allen Ängsten und Tabus um ihn herum, ist Kindern schwer zu vermitteln. Begreifbarer wird es, wenn Haustiere ins Spiel kommen. Im Jahr 1987 – vielleicht noch im Zuge der zunehmend auf ökologische (und auch tierliche) Perspektiven setzenden Kinderliteratur der Siebziger- und Achtzigerjahre – erschien ein Bilderbuch von Hans Wilhelm, Ich hab dich so lieb. Mit wenigen Sätzen und einer Handvoll Aquarellbildern wird darin das große Dilemma der unterschiedlich langen Lebensspannen behandelt, die wir und unsere Tiere nun einmal haben.

Ein kleiner Junge und sein Hund

In dem Buch kommen ein kleiner Junge und sein Hund zugleich auf die Welt, und kaum versieht man es sich, wird der Hund erst dick, dann alt, dann kann er nicht mehr vom Bett aufstehen, während das menschliche Kind in aller Langsamkeit einfach nur ein bisschen wächst. Am Ende des Buchs hat man zwei Sachen gelernt. Erstens, der Tod ist eine Ungeheuerlichkeit. Und zweitens, das Glück, mit einem Tier zu leben, schafft das Unmögliche: Es überragt ihn.

Es gibt bei der Trauer um Tiere kaum kulturelle Codes, die festlegen, was akzeptabel ist und was nicht – darf ich trauern, wie ich um einen Menschen trauern würde? Wie lange? Darf ich mir gleich ein neues Tier ins Haus holen – wie lang ist eine angemessene Wartezeit? Wo kann ich mir Hilfe holen, wenn es mir mit dem Verlust so schlecht geht, dass ich ihn allein nicht verwinde? Tod und Trauer sind immerhin religiös geprägt wie kaum etwas sonst, und die abrahamitischen Religionen kennen keinen Tierhimmel. Obwohl sich auch hier nicht alle immer einig sind: 2014 kam das medial ordentlich aufgebauschte Gerücht auf, Papst Franziskus habe einem um seinen Hund trauernden Jungen Trost zugesprochen mit der Aussicht, der Himmel sei offen für alle Geschöpfe Gottes.

Der Gesang der Fledermäuse

Die katholische Kirche entlarvte das eiligst als Missverständnis und Falschzitat. Zu einem Schisma im Namen der Tiere kam es nicht. In der Literatur geht es realistischer zu: In Olga Tokarczuks Roman Der Gesang der Fledermäuse rät der gefräßige Pfarrer Raschel, nachdem die Ich-Erzählerin ihre Hunde verloren hat, sie solle sie ja nicht begraben. "Tiere haben keine Seele, sie sind nicht unsterblich. Sie werden nicht gerettet."

Die Psychologie sieht naturgemäß alles nüchterner. Dass Trauer um Tiere heftige Krisen auslösen kann und dringend ernst genommen gehört, zeigen Studien. Depressive Episoden kommen nicht selten vor; das New England Journal of Medicine berichtet gar von einem Fall des Broken-Heart-Syndroms. Die Scham angesichts dessen, dass starke, lange, intensive Trauer nach dem Verlust eines Tieres nicht überall auf Verständnis stößt, macht es für Betroffene oft umso schwerer, sich Unterstützung zu suchen.

Spiegel der Mensch-Tier-Beziehungen

Dass die Anzahl der Tierbestattungen in entsprechenden Krematorien stark wächst, gibt einen Hinweis darauf, dass die Trauer um Tiere zumindest so weit in den Fokus der Wahrnehmung gerückt ist, dass sie eigene kulturelle Praktiken hervorbringt. In Wien liegt der Tierfriedhof in Fußnähe zum Zentralfriedhof. Die Gräber sind auffallend individuell und liebevoll, sehr persönlich. "Im ewigen Licht, Habibi", steht auf einem der Grabsteine; viele zieren Fotos der verstorbenen Tiere.

Die Veterinärmedizinerin Svenja Springer forscht am Messerli-Forschungszentrum in Wien zur Ethik der Mensch-Tier-Beziehungen. Sie sieht in den Tierfriedhöfen, die sich so wenig von denen für Menschen unterscheiden, einen Spiegel der Mensch-Tier-Beziehungen. Springer vermutet, dass viele Menschen, die mit Haustieren aufwachsen, durch den Tod eines Haustiers zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert werden – und dass der Tod, im Alltag marginalisiert und verdrängt, durch Tiere näher ans Leben rückt.

"Erlösung" oder Leid?

Der Trauer um ein Haustier geht oft eine eigentlich unmögliche Entscheidung der Halterinnen voraus: Einschläferungen sind in unserer Kultur mittlerweile eine gängige Praxis. Eigentlich klingt es einfach. Ist die Lebensqualität eines Tieres so stark eingeschränkt, dass es deutlich leidet, und keine Besserung in Sicht, wird es "erlöst". Die Frage, ob eine Einschläferung notwendig ist, lässt sich auf ein grundlegendes ethisches Dilemma zusammenstauchen: Ist die Vermeidung von Leid wichtiger oder der Schutz des Lebens? Was das genau bedeutet, muss in jedem einzelnen konkreten Fall entschieden werden.

Springer erlebt die Praxis der Euthanasie als stetig im Wandel, auch kulturell gibt es Unterschiede. Palliativmedizin und Hospizbetreuung – die nicht auf Heilung abzielt, sondern auf Pflege und Versorgung bei unheilbar fortschreitenden Krankheiten – bieten ihrer Recherche zufolge derzeit nur wenige Tierärztinnen explizit an, aber auch hier zeichnet sich Veränderung ab. Sterbebegleitung und Hospize werden in der Tiermedizin wichtiger, und parallel dazu verändert sich die Erinnerungskultur. Ein ganzes Marktsegment spezialisiert sich auf Memorabilia: Gemälde oder Tattoovorlagen nach dem Bildnis des verstorbenen Haustiers, Amulette, personalisierte Trauerkerzen.

Tierische Todesangst

Ob Tiere umgekehrt eine Vorstellung davon haben, was Sterben ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dass sie ein Bewusstsein haben – und damit Träume und Albträume, Humor, Sprache sowie alle möglichen Gefühle –, können wir als gegeben hinnehmen, aber natürlich ist jede Spezies anders. Bei Christian Morgenstern spricht eine Schildkröte: "Ich bin nun tausend Jahre alt / und werde täglich älter; / der Gotenkönig Theobald / erzog mich im Behälter." Morgensterns Schildkrökröte ist jede Todesfurcht fremd, eine schöne, auch irritierende Vorstellung. Was Tiere tatsächlich denken, wissen und fühlen, bleibt letztlich immer Rätsel.

Man kann ein bisschen etwas ablesen aus der Erkenntnis, dass manche Tiere auf den Tod von Artgenossen mit Stress reagieren, der sich klar und deutlich aus dem Hormonspiegel ablesen lässt.

Unglaubliche zwanzig Jahre

Dass es eine Art von Trauer also auch bei ihnen gibt. Aber es fehlt die gemeinsame Sprache, in der die Tiere uns vermitteln könnten, was in ihnen vor sich geht, und menschliche Kulturkonzepte auf die Tiere anzuwenden ist ein riskantes Geschäft. So bleibt das Ausloten der Interessen von Veterinärmedizinern, Tierhalterinnen und nicht zuletzt den Tieren selbst – Svenja Springer nennt das "die Triade" – eine Aufgabe, die sich immer wieder aufs Neue stellt.

In den letzten Monaten seines Lebens hat Cheeky sehr, sehr viel geschlafen, für große Ausflüge war er nicht mehr zu haben. Auf einem der letzten Fotos, die ich von ihm kenne, wird er von meiner Cousine und ihrem Mann in einem Wägelchen gezogen, alle drei sehen fröhlich aus. Cheeky wurde unglaubliche zwanzig Jahre alt, ein hündischer Methusalem.

Trost in der Ähnlichkeit

Tröstet das hohe Alter, das Wissen, dass er bis ganz zum Schluss Teil der Familie sein durfte? Ja, schon. Schräg gegenüber von mir wohnt ein Hund, der Cheeky sehr ähnlich sieht: ein arthritischer Corgimischling, der von seinen selbst schon alten Menschen stets mit großer Geduld über die Straßenkreuzung und in den nächsten Beserlpark begleitet wird.

Auch Hunde werden einander ähnlicher im Alter. Ich sehe in ihm jedenfalls das Spiegelbild jedes alten Hundes, den ich jemals kannte. Wenn er nicht mehr kann und stur stehen bleibt, quietscht seine Besitzerin mit einem Spielzeug; dann läuft er wieder ein paar Schritte, und wieder ein paar, als würde es ewig so weitergehen. (Jana Volkmann, 31.10.2022)