In Samburu setzt erst langsam ein Umdenken hinsichtlich FGM ein.

Foto: Bianca Blei

Jamila Lepakiyo will die Mädchen in Kenia vor den Schmerzen bewahren.

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Jamila Lepakiyo war 17 Jahre alt, als sie ihre Mutter darum bat, eine Nkamauratani zu werden, eine reine Frau. Dafür wird im Stammesgebiet der Samburu im Norden Kenias die Klitoris der Mädchen abgeschnitten, eine tiefe körperliche und seelische Wunde beigefügt.

"Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutet", erzählt die heute 44-Jährige mit ruhiger Stimme in ihrem Haus in Barsaloi. Das Dorf liegt etwas mehr als 40 Kilometer von der Provinzhauptstadt Maralal entfernt. Mit dem Jeep benötigt man aber dennoch gut zwei Stunden über die Sandpiste.

Lepakiyos Freundinnen seien damals alle bereits "Frauen geworden", sie wollte nicht hintanstehen. In den Schulferien sollte es also geschehen.

Da die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung oder auch FGM (Female Genital Mutilation) dem Ritus nach in einer traditionellen Hütte stattfinden muss, ließ Lepakyios Mutter eine solche Manyatta bauen. Die Familie lebte damals bereits in einem Haus aus Stein. Mit einem Holzgerüst und Plastikplanen wird die niedrige, fensterlose Behausung errichtet. Normalerweise finden sich darin zwei Schlafnischen, die durch eine Kochstelle getrennt sind.

Klitoris abgeschnitten

Am Vorabend der Zeremonie wurde der Jugendlichen der Kopf rasiert. In ein Tuch gehüllt ging sie zum Fluss, um Wasser zu sammeln. Gemeinsam mit etwas Milch transportierte sie dieses zur Manyatta, wo sie die Nacht verbrachte. In den frühen Morgenstunden musste sich das Mädchen an der Türschwelle auf eine Tierhaut setzen. Zwei Frauen hielten sie fest. Eine ihre Arme, die andere ihre Beine. Dann folgte das Muratare, wie es in der lokalen Sprache heißt. Eine dritte Frau nahm eine handelsübliche Rasierklinge und schnitt die Klitoris ab. Oft ist es ein Schnitt, der den Schwellkörper am oberen Ende der Vulva vom Körper trennt. Manchmal braucht es mehrere Schnitte.

"Auf den Schmerz ist man nicht vorbereitet", erzählt Lepakiyo: "Sie sagten mir dann, dass ich nicht weinen darf. Sonst hören sie mich in den anderen Hütten, und ich würde die Familie beschämen." Dann rührten die Frauen eine Creme aus Kuhmilch an und schmierten sie auf die Wundfläche. Es brannte und mischte sich mit dem Blut aus der Wunde.

Kontrolle auf der Toilette

Mit einem Klatschen auf die Oberschenkel wurde Lepakiyo anschließend "zur Frau erweckt". Doch der Ritus war noch nicht vorbei. Am Nachmittag wurde sie zur Toilette im Dorf geleitet. Die Krieger sangen ein Lied, als sie vorbeiging: "Wir haben eine neue Frau". Unter Schmerzen urinierte sie, dann kontrollierte eine Frau, ob auch tatsächlich die gesamte Klitoris entfernt wurde. Wäre es nicht der Fall gewesen, hätte sich die Prozedur wiederholt.

Fast eine Woche musste Lepakiyo schließlich in der Hütte verbringen, bekam nur Blut von der Kuh und Milch zu trinken. Der Irrglaube besagt, dass sich dadurch der Blutverlust ausgleichen lässt. Dann durfte sie nach Hause gehen und heiraten.

Kampf gegen die Praxis

Vier Millionen Mädchen und Frauen in Kenia haben FGM über sich ergehen lassen müssen, schätzt das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef. Vor allem im Nordosten des Landes ist die Praxis weitverbreitet, obwohl sie mittlerweile illegal ist.

Lepakiyo ist nun "Chief" von Barsaloi, sie hat sich bei den lokalen Behörden um das Amt der Dorfvorsteherin beworben. Ihr Engagement gegen die Genitalverstümmelung war schließlich ausschlaggebend, glaubt sie. Ihr Mann, mit dem sie drei Kinder hat, unterstützt sie dabei.

Bei sogenannten Barasas – Dorftreffen – spricht sie über die Nachteile der Praxis, denn Vorteile sieht Lepakiyo keine. Und auch die Männer im Dorf würden immer mehr erkennen, dass Sex mit unbeschnittenen Frauen "mehr Spaß macht", wie die Chief erzählt. Denn das Gewebe sei vorher noch elastisch. Danach sei es nur noch vernarbt: "Man hat eine Wunde zwischen den Beinen, die man ständig spüren kann." Bei jeder Geburt reiße diese auch wieder auf, benötige Wochen, um wieder zu verwachsen.

Das Ritual behalten

Lepakiyo holt sich auch Hilfe von internationalen und nationalen Hilfsorganisationen. Zeigt den Menschen in ihrem Dorf Videos von der schmerzhaften Praxis, denn "viele Männer wissen nicht einmal, was da passiert, und sind danach richtig schockiert", sagt sie. Hört die Dorfvorsteherin, dass irgendwo ein Ritual geplant ist, schickt sie Vertraute oder geht selbst in die Hütte. Notfalls übernachtet sie vor Ort, um die Verstümmelung zu verhindern. "Oft drohe ich auch mit der Polizei, das funktioniert ", sagt Lepakiyo. Nicht immer, aber doch öfter kann so ein Mädchen vor dem Schmerz bewahrt werden.

Nicht alle sind mit ihrem Engagement einverstanden. Oft hörte sie, dass sie sich gegen die Kultur der Samburu stelle. Doch das Ritual will Lepakiyo gar nicht abschaffen: "Soll den Mädchen Wasser und Milch doch über den rasierten Kopf gegossen und auf ihre Schenkel geklopft werden", sagt sie. Aber ohne die grausamen Schnitte, die einige Frauen auch das Leben gekostet haben. (Bianca Blei aus Barsaloi, 1.12.2022)