Suche nach einer verlorenen Geste: In der Fotoserie "Die Echte. Perlen der Revolution" kombiniert Iveković ein historisches Bild von Partisaninnen mit einer aktuellen Nachahmung, die auf Modefotografie basiert.
Foto: Sanja Ivekovic / Gallery 1 Mira Madrid

Eine ältere Dame schimpft in die Kamera, "skandalös", ruft sie. In Talkshows echauffieren sich prominente Gäste, Politikerinnen müssen Stellung beziehen. Die Rede ist von einer Diskussion, die 2001 kurzzeitig die Öffentlichkeit in Luxemburg in Atem hielt. Auslöser war die Statue Lady Rosa of Luxembourg, die von Sanja Iveković als Replik des Kriegerdenkmals Gëlle Fra (Goldene Frau) unweit des Originals temporär aufgestellt worden war. Veteranen protestierten, sogar die Kulturministerin wurde zum Rücktritt aufgefordert.

In der Version der Künstlerin wurde nämlich die vergoldete Frauenfigur – mit der sie keine Allegorie abbildete, sondern der politischen Aktivistin Rosa Luxemburg gedachte – nicht nur mit hochschwangerem Bauch dargestellt, sondern auch die Namen der Nationalhelden am Sockel mit teilweise abwertenden Bezeichnungen für Frauen ersetzt: "Madonna, virgin, whore, bitch". Die intendierte Frage: Wo findet man Frauen in historischen Narrativen, und wie werden sie repräsentiert beziehungsweise benannt?

Mit der Installation "Frauenhaus" setzt Iveković anonymen Frauen, die Opfer (meist männlicher) Gewalt wurden, ein Denkmal.
Foto: Boris Cvjetanovic

Harter Tobak mit Witz

Die Arbeit im öffentlichen Raum zählt zu den prominentesten Werken der kroatischen Künstlerin, der die Kunsthalle Wien nun die umfassende Retrospektive Works of Heart widmet. Darin läuft Videomaterial zu Lady Rosa of Luxembourg in Endlosschleife, Material in sechs vollen Aktenordnern dokumentiert den Vorfall. Seit den 1970er-Jahren verknüpft die Künstlerin sozialen Aktivismus mit ihrer künstlerischen Praxis, wobei sie Medien wie Film, Fotografie und Collagen verwendet. Die Form ist nie ganz festgelegt.

1949 in Zagreb geboren, setzte sich Iveković früh für Geschlechtergerechtigkeit ein und galt als eine der ersten Künstlerinnen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die eine dezidiert feministische Position vertrat. Mit ihrer kompromisslosen Arbeit galt die Pionierin einer Generation an Künstlerinnen und Kuratorinnen als Vorbild. Inhaltlich sind ihre Werke harter Tobak und drehen sich oft um (Staats-)Gewalt und (meist männlichen) Missbrauch, wobei sie sich stets auf reale Geschehnisse beziehen. Fünfmal stellte Iveković auf der Documenta aus, das Museum of Modern Art in New York widmete ihr eine Soloschau.

Stimme verleihen

Den Boden in der Kunsthalle bedecken rote, zusammengeknüllte Zettel, auf denen Iveković den Schattenbericht zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen weibliche Geflüchtete 2022 in Österreich gedruckt hat. Die Zahlen sind schockierend. Als Flugblätter mitgenommen sollen sie auch außerhalb des Kunstraums für Aufmerksamkeit sorgen – ein Projekt, das die 73-Jährige laufend aktualisiert und an den jeweiligen Ausstellungsort anpasst.

Auch die zentrale Installation Frauenhaus erweitert Iveković seit 1998. Unzählige Sockel stehen wie Mahnmale im Raum und tragen weiße Gipsmasken. Diese nimmt die Künstlerin Gewaltopfern aus Notunterkünften und Anlaufstellen für Frauen auf der ganzen Welt ab und hört deren Geschichten an. Somit gibt sie den anonymen Frauen ein Gesicht und mit schriftlichen Protokollen auch eine Stimme.

Harte Kontraste: Die Künstlerin druckt Steckbriefe missbrauchter Frauen auf Plakate von Models mit Designersonnenbrillen.
Foto: Sanja Ivekovic / Gallery 1 Mira Madrid

Umgedrehte Manipulation

Die Kombination aus Text und Bild ist omnipräsent in Iveković’ Werk. Oft arbeitet sie auch mit harten Kontrasten und bringt Werbungen aus Modemagazinen sowie reale Schicksale zusammen: Dann druckt sie Steckbriefe missbrauchter Frauen auf Plakate von Models mit Designersonnenbrillen – und legt so manipulative Strategien von Massenmedien und Werbungen offen, um sie bewusst wieder zu brechen. Ein Teil dieser Serie soll auch in Kooperation mit der Brunnenpassage am Wiener Yppenplatz im öffentlichen Raum gezeigt werden.

Die Arbeiten der Künstlerin sind wie eine Chronik der letzten Jahrzehnte des ehemaligen Jugoslawiens und dessen Wandel zu lesen: Zu ihren provokantesten Werken zählt die Performance Dreieck, die 1979 während eines Staatsbesuchs von Tito in Zagreb stattfand. Die damals 30-Jährige widersetzte sich der Forderung, sich von Balkonen und Fenstern zur Straße hin fernzuhalten, durch die der Autokorso mit dem jugoslawischen Präsidenten fuhr. Iveković saß rauchend auf ihrem Balkon, trank Whiskey, las Elites and Society des Soziologen T. B. Bottomore und tat so, als ob sie masturbieren würde. Der Besuch der Polizei beendete ihre Performance.

Trotz aller Ernsthaftigkeit weht durch dieses gewaltige Werk immer auch eine Brise Humor. (Katharina Rustler, 29.10.2022)