Hühnerküken verstehen das Konzept von Abwesenheit, wie Forschende nun zeigen konnten.
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Das Sein und das Nichts – schon große Denkerinnen und Denker wie Jean Paul Sartre, dessen Hauptwerk diesen Titel trägt, beschäftigte die Frage, wie etwas nicht sein kann und was das für uns bedeutet. Menschen verstehen das Fehlen eines Objekts als "Nichts" und haben dementsprechend auch einen Begriff dafür. Doch können auch Lebewesen, die nicht über Sprache verfügen, eine Vorstellung vom Nichtvorhandensein von Objekten haben? Eine neue Studie, die von der Central European University in Kooperation mit der Queen-Mary-Universität London sowie den Universitäten Triest und Trento durchgeführt wurde, legt jetzt nahe, dass die Küken von Haushühnern dazu in der Lage sind. Diese Ergebnisse wurden nun im Fachjournal "eLife" vorgestellt.

Im Zuge von vier Experimenten wurden Küken im Alter von acht Tagen in einen Zylinder gesetzt, von dem aus sie durch ein Loch verschiedene Ereignisse beobachten konnten. In weiterer Folge bekamen sie ein Objekt gezeigt, das dann entweder hinter eine Trennwand gestellt oder gänzlich entfernt wurde.

Unerwartetes hinter einer Trennwand

In verschiedenen Szenarien analysierten die Forscher dann die Reaktion der Tiere auf unerwartete und erwartete Ereignisse. Ein unerwartetes Ereignis wäre zum Beispiel, dass ein Objekt zunächst hinter die Trennwand gestellt wird, dann aber nicht mehr da ist, wenn diese entfernt wird. Erwartbar wäre beispielsweise, dass ein Objekt gänzlich entfernt wird und dann auch nicht hinter der Trennwand auftaucht.

Vögel betrachten unbekannte Objekte gern zuerst mit dem linken Auge. Dieses Verhalten wurde auch bei den Küken der Studie beobachtet.
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Anhand der Reaktion der Küken, etwa daran, wie lange sie den Blick auf die Szenen richteten oder welches Auge sie bevorzugt verwendeten, konnte gezeigt werden, dass das Verhalten der Tiere mit deren Erwartungen in Bezug auf das Vorhandensein des Objektes zusammenhing. Vor allem die weiblichen Küken verhielten sich so, als würden sie etwas Neues sehen, wenn ein Objekt unerwartet wieder auftauchte. Das hänge damit zusammen, dass sie vermutlich das "ursprüngliche", identische Objekt noch immer als abwesend registrierten.

Die Küken zeigten dabei ein Verhalten, das bereits von anderen Vögeln bekannt war: Sie verwendeten zum Betrachten unbekannter Objekte meist das Linke Auge. Das hat damit zu tun, dass sie aufgrund der seitlich platzierten Augen den Kopf drehen müssen und durch das Sehen mit dem linken Auge die rechte Gehirnhälfte anregen wollen. Während dieses Verhalten typisch für Vögel ist, könnte es sich bei der Fähigkeit, die Abwesenheit von Gegenständen wahrzunehmen, um ein gemeinsames Merkmal von Wirbeltieren handeln, das die Basis für das abstrakte Denken des Menschen legte, heißt es in der Studie. (red, APA, 30.10.2022)