Es sei für ihre Familie die richtige Entscheidung gewesen. Doch sie werde nie vergessen, wie hart der Anfang war: zuerst die schwere Geburt, nach zwei Monaten zurück in den Job; ihr Mann zog dann vor ihrem Büro am Minoritenplatz Kreise mit dem Kinderwagen, bis das Baby wieder gestillt werden wollte. "Man möchte allen und allem gerecht werden – hundert Prozent im Job geben, eine gute Mutter und Partnerin sein, und dann soll man noch auf sich selbst schauen", sagt Susanne Raab und lächelt, als würde sie sich selbst belächeln. "Die Wahrheit ist: Das wäre die Quadratur des Kreises."

Bei acht von zehn Paaren in Österreich geht der Vater nicht in Karenz und bezieht nie Kinderbetreuungsgeld, zeigt das Wiedereinstiegsmonitoring 2021 der Arbeiterkammer.
Foto: Johan Bävman

Die Frauenministerin (ÖVP) sitzt auf einem Fauteuil in ihrem Büro, die Beine überschlagen, neben sich eine Tasse Kräutertee. Raab vereint zwischen Beruf und Privatleben eine ungewöhnliche Mischung: Sie ist Politikerin einer konservativen Partei, in Migrationsfragen gilt sie als Hardlinerin, als Feministin will sie sich nicht bezeichnen lassen – und doch lebt sie mit ihrem Mann eines der progressivsten Kinderbetreuungsmodelle Österreichs. Das zeigen jedenfalls die Zahlen: Die Ministerin war zwei Monate in Babypause, dann übernahm ihr Mann, der ein Jahr lang mit dem Kind zu Hause blieb. Damit gehört er zu dem einen Prozent von Vätern in Österreich, die länger als sechs Monate in Karenz waren.

Acht von zehn Vätern nicht in Karenz

Dabei hat der Staat, haben unterschiedliche Regierungen und Politikerinnen über die Jahre zahlreiche Modelle etabliert und Anreize geschaffen, um Männer verstärkt zu motivieren, ihre Arbeit auf Eis zu legen, um sich um ihr Kind zu kümmern. Doch die Statistik ist erbarmungslos: Bei acht von zehn Paaren in Österreich geht der Vater nicht in Karenz und bezieht nie Kinderbetreuungsgeld. Das belegt der Wiedereinstiegsmonitoring 2021 der Arbeiterkammer. Im September 2022 haben fast 100.000 Frauen Kinderbetreuungsgeld bezogen – und nur 5085 Männer.

Aber warum ist das so? Liegt es an familienunfreundlichen Unternehmen, den politischen Rahmenbedingungen – oder schlichtweg den Eltern selbst?

Spricht man mit Politikerinnen, Müttern, Vätern, Wissenschaftern und Expertinnen, kristallisieren sich vier Hauptfaktoren heraus, weshalb das mit den Papas und der Karenz hierzulande nicht besser klappt:

1. Die gesamtgesellschaftliche Wertehaltung

2. Fehlende Kinderbetreuung nach der Karenz

3. Der Gender-Pay-Gap

4. Gesetzlicher Verbesserungsbedarf

Aber was bedeutet das in der Praxis von Familien konkret? Und vor allem: Wie kann sich etwas an diesem Umstand ändern?

Sabrina, die eigentlich anders heißt, ist 34 und lebt in einer österreichischen Kleinstadt. Offen sprechen möchte sie über ihre Familiensituation und jene ihres Umfelds nur, wenn ihr Name geändert wird. Bei dem Thema stoße man andere schnell vor den Kopf.

Nachmittagsbetreuung verpönt

Sabrina und ihr Mann haben vor einigen Jahren ein kleines Haus gebaut, ihr Sohn wird bald vier. "In meinem Bekanntenkreis war ich die einzige Mutter, die Vollzeit arbeiten ging, während der Mann in Karenz war", erzählt sie. "Keine meiner Freundinnen wäre auf die Idee gekommen, dass sie ihrem Mann die Verantwortung für das Kind zu hundert Prozent übergibt." Außerdem hätten die wenigsten Mütter einen Arbeitsplatz, zu dem sie ein oder zwei Monate lang für 40 Stunden zurückkehren können, um dann nach Ende der Karenz erst recht wieder in Teilzeit zu gehen.

Sabrinas Mann war drei Monate lang mit dem Sohn zu Hause, inzwischen ist der Kleine im Kindergarten – an drei Tagen bis 13 Uhr, an zwei Tagen länger. "Der einzige anerkannte Grund unter Jungmüttern, das Kind bis zum späten Nachmittag im Kindergarten zu lassen, ist bei uns, Alleinerzieherin zu sein", sagt Sabrina. Sie arbeitet Teilzeit, seit ihr Sohn ein Jahr alt ist – das sei in ihrer Umgebung mehr als unüblich. "Ich würde mein Kind nie für den Job hintanstellen, ich will einfach unabhängig sein und mein eigenes Geld verdienen", sagt Sabrina. "Dafür bekomme ich regelmäßig zu hören, ich sei eine Karrierefrau. Dabei bin ich Sekretärin."

Was Sabrina erlebt, ist nicht ungewöhnlich, sondern recht gründlich erforscht. "Wir sehen im deutschsprachigen Raum, aber etwa auch in Japan ein sehr stark ausgeprägtes Mutterschaftsideal", sagt Paul Scheibelhofer, Männlichkeitsforscher am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck. Mutterschaft werde einerseits völlig überhöht, "gleichzeitig werden an Mütter enorm hohe Erwartungen geknüpft". Vor allem, wenn es stressig werde, die Dinge nicht wie am Schnürchen liefen, seien die Mütter gefragt. "Frauen werden als die Letztverantwortlichen betrachtet", sagt Scheibelhofer.

Seit mehr als 20 Jahren sagen vor allem junge Männer in Studien, dass sie sich im Familienleben stark engagieren wollen – die Praxis sieht bis heute oft anders aus.
Foto: Heribert Corn

Sogenannte Zeitbudgetstudien würden darüber hinaus zeigen: Väter, auch wenn sie sich sehr engagieren, tun das zumeist anders als Mütter. "Die Rollenverteilung ist häufig die von einer Managerin und ihrem Assistenten", erklärt Scheibelhofer. Frauen würden dann gewisse Aufgaben an ihren Partner übertragen. "Väter sind oft dafür zuständig, Personen oder Dinge von A nach B zu bringen, etwas zu reparieren und am Abend oder Wochenende mit den Kindern zu spielen." Mütter würden die Kinder hingegen deutlich häufiger waschen und füttern, was meist auch mit größeren Frustrationen verbunden sei.

Spannend dabei ist: Es kommt offenbar nur begrenzt darauf an, welche Einstellung Paare mitbringen, bevor sie eine Familie gründen. Studien zeigen, sagt Scheibelhofer, dass auch viele moderne junge Menschen mit progressiven Familienbildern nach der Geburt des ersten Kindes in gewisse Muster verfallen. "In der Forschung nennen wir das den Retraditionalisierungseffekt", erklärt der Wissenschafter. Soll heißen: Viele Paare werden als Eltern genau so, wie sie eigentlich nicht werden wollten – oft so wie die eigenen Eltern.

Raus aus dem Hamsterrad

Genau diese Situation beschreiben Sophie und Max. Sie leben in Wien, beide haben studiert, sind Anfang 30 und sehen sich als gleichberechtigtes Paar mit modernem Familienbild. "Uns war wichtig, dass wir beide in Karenz gehen", sagt Max. Sophie war dann etwas mehr als eineinhalb Jahre zu Hause, jetzt ist Max in Bildungskarenz und kümmert sich um die gemeinsame Tochter. "Obwohl er sich immer eingebracht hat, sind wir total in die Falle getappt: Ich hatte in meiner Karenz immer das Gefühl, ich kann und weiß einfach besser, was alle Dinge rund ums Baby betrifft." Wenn es etwa darum ging, die Wickeltasche zu packen oder Kleidung für die Kleine rauszusuchen, tat das Sophie. "Jetzt hat sich das völlig gedreht", erzählt Max. "Seit wir gezwungen sind, dass er alles macht, klappt es überraschend problemlos. Ich hatte ihm das davor einfach nicht zugestanden", sagt Sophie.

Grafik: Der Standard

Die junge Mutter bringt noch einen weiteren Punkt in die Debatte ein: Sie möge ihren Job, aber sie habe auch einfach eine Auszeit machen und sich auf etwas anderes – ihr Kind – konzentrieren wollen. "Das Arbeitsleben ist so lang und nimmt so viel Platz ein – jeden Tag, jedes Jahr. Ich wollte raus aus dem Hamsterrad", sagt sie. "Für uns war es deshalb finanziell nur möglich, dass beide lange zu Hause sein können, indem mein Freund jetzt die Bildungskarenz macht. Ansonsten hätte ich selbst nur viel kürzer in Karenz gehen können."

Grundsätzlich gibt es in Österreich unterschiedliche Möglichkeiten, wer wann und wie viel Kinderbetreuungsgeld bezieht – also jenes Geld, das der Staat bezahlt, wenn ein Elternteil in Karenz ist. Das System ist allerdings so komplex, dass selbst die meisten Expertinnen nicht in der Lage sind, die Details zu erklären. Im Groben gibt es zwei Varianten:

  • Das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld
    Es steht einem Elternteil bis zum ersten Geburtstag des Kindes zu und beträgt – unsauber formuliert – meist 80 Prozent des Gehalts vor der Geburt des Babys. Beziehen beide Eltern – egal ob Papa und Mama oder etwa zwei Mamas – Kinderbetreuungsgeld, kann es 14 Monate lang bezogen werden. Die Idee dahinter war ein Anreiz für Väter, zumindest zwei Monate lang zu Hause zu bleiben.

  • Das Kinderbetreuungsgeldkonto
    Damit können Eltern flexibel bestimmen, wie lange sie Kinderbetreuungsgeld beziehen. Einem Elternteil stehen dafür derzeit 12.366 Euro für die ganze Karenzzeit zur Verfügung. Nehmen beide Eltern Kontogeld in Anspruch, erhöht sich der Betrag um etwas mehr als 3000 Euro.

In der Arbeiterkammer werden diverse Probleme an den gegebenen Rahmenbedingungen verortet. In Bezug auf die Väterbeteiligung hält Ingrid Moritz, Leiterin der Abteilung für Frauen und Familie, fest: Es gebe in Österreich viel zu wenig Anreize und viel zu viele Schlupflöcher, die Anreizsysteme zu umgehen. Ganz anders sei das etwa in skandinavischen Ländern, wo Paare deutlich weniger Geld und weniger Möglichkeiten hätten, wenn nur ein Elternteil zu Hause bleibe. Moritz sagt: "Österreichs Familienpolitik ist stockkonservativ."

Väter verdienen nach Geburt besser

Frauenministerin Raab sieht das anders – also zumindest jenen Punkt, dass politisch zu wenig gemacht werde. "Die Rahmenbedingungen für eine faire Aufteilung sind gegeben", sagt sie. "Beim Kinderbetreuungsgeld ist alles möglich: Die Mutter kann voll beziehen, der Vater, oder man kann es sich partnerschaftlich aufteilen." Bestehende Hürden würden laufend abgebaut. Es gebe den "Papamonat", einen Bonus, wenn sich Eltern die Karenz aufteilen, familienfreundliche Unternehmen zeichnet das Ministerium aus. Eines der größten Probleme sieht Raab im Gender-Pay-Gap, also dem Faktum, dass Männer mehr verdienen als Frauen. "Natürlich schauen Familien auf ihr Haushaltseinkommen, wenn es um die Frage geht, wer beim Kind und wer im Job bleibt", sagt Raab. Da widerspricht ihr auch Moritz nicht.

Die Krux bei der Sache: Bei Müttern schlägt der Gender-Pay-Gap eine noch tiefere Kerbe in die Gehaltskurve als bei kinderlosen Frauen. Und: Männer verdienen zwölf Jahre nach der Geburt ihres Kindes durchschnittlich besser als davor, bei Frauen ist es umgekehrt.

"Wir müssen unsere eigenen Bilder von Männlichkeit und Mutterschaft laufend reflektieren – und Dinge wie Väterkarenzen einfach machen, auch wenn man dadurch als Familie einen Einkommensverlust erlebt", sagt der Männlichkeitsforscher Paul Scheibelhofer.
Foto: Heribert Corn

Ein großer Faktor ist auch die Teilzeitarbeit. Ab 2008 wurde von Bundesseite der Ausbau von Kinderbetreuung forciert. Seither ist zwar die Erwerbsquote von Frauen gestiegen, allerdings auch die Quote jener, die in Teilzeit arbeiten. Und vielerorts in Österreich sind die Möglichkeiten, das Kind in Betreuung zu geben, weiterhin stark begrenzt – nicht nur bei Kindergärten, auch was Hortplätze und die Nachmittagsbetreuung von Schulen betrifft. "Ist die Betreuungssituation unsicher, erschwert das die partnerschaftliche Teilung, weil man nicht planen kann", sagt Moritz.

Männerwunsch und Wirklichkeit

Im Jahr 2021 hatten drei Viertel aller arbeitenden Mütter mit Kindern unter 15 Jahren einen Teilzeitjob, aber nur jeder zehnte Mann. Sabrina, die junge Mutter aus der Kleinstadt, sagt: "Ich würde gerne mehr arbeiten, aber sobald unser Sohn krank wird oder irgendetwas ist, wären wir dann als Familie zu wenig flexibel."

Aber was wollen eigentlich die Väter selbst? "Seit über 20 Jahren sagen vor allem junge Männer in Studien, sie wollen sich mehr engagieren", erklärt der Männlichkeitsforscher Scheibelhofer. "In der Praxis bildet sich dieser Wunsch nach Veränderung aber nicht dementsprechend ab." Österreich befinde sich aktuell in einem Zwischenstadium: Viele Männer hätten Ambitionen, aber die gesamtgesellschaftliche Erwartung stehe dem noch entgegen – "und dann tun viele doch nicht, was sie einst wollten".

Man muss dazusagen: Natürlich engagieren sich auch heute längst viele Väter – und der Bezug von Kinderbetreuungsgeld ist dafür ganz gewiss nicht die einzige Messgröße. Im Frauenministerium wird derzeit an einer Studie gearbeitet, die Väterbeteiligung in Österreich umfassender darstellen soll.

Scheibelhofer ist vor wenigen Wochen selbst Vater geworden. Seine Partnerin war zwei Monate zu Hause, jetzt ist er in Karenz. Aus Studien weiß er: Engagierte Väter sind zufriedener mit ihren Beziehungen, haben aber auch mehr Stress. Das erlebt er gerade am eigenen Leib. "Auch bei uns ist es Arbeit, gegen klassische Zuteilungen anzuarbeiten. Da muss ich mich am Schlafittchen packen."

Elternschaft als Kulturfrage

Inzwischen wisse er aber, dass auch er dazu in der Lage sei, dem Baby Vitamin D in den Mund zu tröpfeln – nicht nur die Mama. "Kinder können mit Bezugspersonen jeden Geschlechts gesund aufwachen", betont Scheibelhofer. "Die Idee, es brauche vor allem die Mutter, ist nichts als Ideologie." Das sehe man an Ländern, wo es völlig normal sei, dass Kinder nach wenigen Monaten bereits fremdbetreut werden. Eine Freundin von ihm lebe in Frankreich, sie habe sich dort dafür rechtfertigen müssen, dass sie sechs Monate lang mit ihren Zwillingen zu Hause blieb – und ihnen somit die Krabbelstube verwehrte. "Wir glauben, so wie wir auf Elternschaft schauen, müsse es überall sein. Aber es ist ganz klar eine Kulturfrage", sagt Scheibelhofer. Das bedeute auch: Man kann daran etwas ändern.

Frauenministerin Susanne Raab war selbst zwei Monate mit ihrem Baby zu Hause, dann ging ihr Mann in Karenz. Die Rahmenbedingungen für faire Aufteilung seien gegeben, sagt sie.
Foto: Picturedesk

Scheibelhofer ist überzeugt, dass jeder und jede etwas beitragen könne. "Wir müssen unsere eigenen Bilder von Männlichkeit und Mutterschaft laufend reflektieren – und Dinge wie Väterkarenzen einfach machen, auch wenn man dadurch als Familie einen Einkommensverlust erlebt." Moritz von der Arbeiterkammer fordert die Einführung einer "Familienarbeitszeit": Wenn beide Eltern in Teilzeit gehen und sich die Familienarbeit teilen, sollen sie einen staatlichen Bonus bekommen.

Raab hält es für wichtig, dass mehr Väter Rolemodels werden – in Unternehmen, in der Politik, öffentlich und sichtbar. Ihre eigene Herangehensweise empfiehlt sie anderen allerdings nicht unbedingt: "Eine so kurze Karenz der Mutter war für uns wichtig, muss aber nicht das Lebensmodell sein, das ich mir für alle Österreicherinnen und Österreicher wünsche." Jede Familie solle das selbst entscheiden, sagt Raab. Sie hätte in einer anderen Situation auch anders entschieden. (Katharina Mittelstaedt, 29.10.2022)