Im Sommer ritt Marita Kramer die "Riverwave" auf der Traun. Die Erfolgswelle ist noch schwerer zu reiten.

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Kramer in ihrem Element.

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Es spricht deutlich mehr gegen die kommende Fußballweltmeisterschaft in Katar als die Tatsache, dass wegen des am 20. November anhebenden Spektakels am Persischen Golf der Skisprungweltcup so früh wie noch nie abheben muss. Schon am kommenden Wochenende werfen sich Frauen und Männer in Wisla, Polen, in die Eisspur, um dann nach Flügen von der Adam-Malysz-Großschanze im Idealfall in den Punkterängen zu landen – nicht auf Schnee, sondern auf Matten versteht sich. Auch in den schlesischen Beskiden pflegt sich der Winter eben längst nicht mehr mitten im Herbst niederzuschlagen.

Sandro Pertile, der für Skisprung zuständige Renndirektor des internationalen Skiverbandes (Fis), redet die Kapitulation vor dem Fußball als "eine hervorragende Möglichkeit" schön, "uns dank der Mattenschanzen als Ganzjahressport und dazu auch noch ausgesprochen nachhaltig zu präsentieren".

Dass die Vorfreude auf die ersten Schneesprünge durch ein Mattenspringen gestört wird, kommt bei etlichen Szenegrößen nicht gut an, zumal, wenn sie sich noch nicht in der Form wähnen, in der sie sich dem großen Publikum zu präsentieren wünschen.

Sara Marita Kramer, erst 21 Jahre alt, aber schon recht krisenerprobt, lamentierte nach recht gelungenen Trainingssprüngen vom Bergisel nicht. Die Gesamtweltcupsiegerin der vergangenen Saison fühlt die Form nahen, "sobald es in die Eisspur geht. Die Puzzleteile finden zusammen."

Im vergangenen Sommer war zuweilen unsicher, ob das Geduldspiel für die Salzburgerin aus Maria Alm rechtzeitig aufgehen kann. Kramer, mit einem überragenden Fluggefühl gesegnet, arbeitete einerseits daheim mit Coach Philipp Amon in Saalfelden und vermehrt auch am Olympia-Stützpunkt in Innsbruck an ihrer Athletik. "Da ist schon viel weitergegangen."

Schuss vor den Bug

Parallel tüftelte die gebürtige Niederländerin am Material herum – nicht immer mit nachhaltigem Erfolg. Nach der Qualifikation für das abschließende Einzelspringen des Sommer-Grand-Prix Anfang Oktober in Klingenthal wurde sie wegen eines sogenannten Anzugvergehens disqualifiziert. Einen "Schuss vor den Bug" nannte Kramer das im Gespräch mit dem STANDARD. "Besser da als während des Winters."

Nicht so sehr die strengere Regelauslegung durch den neuen finnischen Materialkontrolleur Mika Jukkara, sondern Adaptierungen im Reglement scheinen gleich mehrere Spitzenspringerinnen mehr zu beschäftigen, als ihnen lieb ist.

Kramer sieht sich auch so einer ganzen Reihe von Herausforderungen gegenüber. Vor zwei Jahren angesichts ihres kometenhaften Aufstiegs noch als die Skispringerin gehandelt, die über längere Zeit die Szene deutlich dominieren könnte, blieben ihr abgesehen vom Gesamtweltcup die großen Einzelerfolge verwehrt. Das lag einerseits am Unglück einer Corona-Erkrankung unmittelbar vor den Olympischen Spielen im Februar dieses Jahres in Peking.

Die tiefe Enttäuschung, die ihr "grausige Tage, schlaflose Nächte" bescherte, hat Kramer längst verarbeitet. Hartnäckiger sind Konkurrentinnen, denen schon bei der WM 2021 in Oberstdorf nicht einfach davonzufliegen war. Im Oberallgäu holten die Slowenin Ema Klinec und die Norwegerin Maren Lundby Einzelgold, während Kramer nach schlechten Landungen jeweils Platz vier zu verkraften hatte. Gold und Bronze in den Teamspringen trösteten ein wenig.

Lundby kehrt nach einer Schaffens-, vor allem aber Askesepause in dieser Saison in den Weltcup zurück, den sich Klinec und ihre slowenischen Kolleginnen Nika Kriznar und Einzelolympiasiegerin Ursa Bogataj unter den Nagel reißen wollen. Noch mehr fliegt Air Slovenia aber auf die Heimweltmeisterschaft vom 21. Februar bis 5. März 2023 in Planica.

Schon im Sommer-Grand-Prix gingen vier von fünf Einzelsiegen an Slowenien. "Es wäre schon gut, wenn man sie vor der WM unter Druck setzen könnte", sagt Kramer. Seriensiegerinnen, das hat Österreichs Vorspringerin selbst schon genießen dürfen, sind unter Umständen schwer einzubremsen.

Pause nach dem Frühstart

Nach ihren überhaupt ersten Weltcupbewerben in Polen haben die Springerinnen einen Monat Pause, während die Männer noch Ende November in Ruka, Finnland, in den Schnee dürfen. Dafür haben Kramer und Kolleginnen auch wieder zum Teil parallel zur Vierschanzentournee um den Jahreswechsel in Villach und Ljubno, Slowenien, zu tun.

Eine echte, längst überfällige Frauentournee soll erst 2023/24 ihre Premiere feiern. Da kann der Fußball nichts dafür. (Sigi Lützow, 29.10.2022)