Helle Tage im späten Frühling: Den Wiener Festwochen scheint seit einigen Jahren aber nicht nur die Sonne. Schon vor der Pandemie herrschte Krisenstimmung.
Foto: Picturedesk / Jindrich Foltin

Die Pandemie hat den zuletzt krisenhaften Jahren der Wiener Festwochen nun noch eins draufgesetzt. Gerade ein Großereignis mit globaler Vernetzungstätigkeit sah sein Kerngeschäft des internationalen Programms arg gefährdet. Doch Covid ist nicht die einzige Front, an der die Festwochen zu kämpfen haben. Schauspielchefin Stefanie Carp bezeichnete sie bei ihrem Abgang 2013 als "Intrigenstadel". Und im Jahr darauf setzte ihre Nachfolgerin Frie Leysen in einem offenen Brief nach. Seither ist die Ruhe dahin. Leysen machte "feudalistische Strukturen" aus, beklagte eine fehlende künstlerische Vision sowie mangelnde Kompetenzen. Und sie prangerte an, dass aufgrund dieses Verschleißes von den 13 Millionen Euro Gesamtbudget lediglich fünf Millionen für Kunstproduktion und -präsentation übrig blieben.

Der Riss bleibt

Festwochen-Präsident Rudolf Scholten schickte eine höfliche Entgegnung hinterher, und Markus Hinterhäuser absolvierte in der Folge seine Amtszeit mit wechselnden Schauspielchefinnen skandallos zu Ende. Aber ein Riss war geblieben, und die Reparaturzeit danach hat nichts Gutes bewirkt. Auf den glücklosen Pop-Intendanten Tomas Zierhofer-Kin, der frühzeitig das Handtuch warf, folgte der belgische Festivalmacher Christophe Slagmuylder, der nun ebenfalls vor Vertragsende das Weite sucht. DER STANDARD berichtete.

Warum tun sich die lange Jahre erfolgsverwöhnten Wiener Festwochen inzwischen so schwer damit, ihre Mitte zu finden? Welche neuen Hürden gibt es, und wie kommen sie aus den Turbulenzen wieder heraus?

Fehlende Speerspitze

Alle haben derzeit Probleme, glänzende Publikumszahlen zu präsentieren. Damit sind die Wiener Festwochen nicht allein. Die Pandemie hat sämtliche Kulturinstitutionen kalt erwischt und das Publikum sowohl entwöhnt als auch sein Vertrauen zerrüttet. Aber: Seit einigen Jahren schon verliert das Festival Publikum und legt von Jahr zu Jahr weniger Karten auf. Die goldenen Jahre der Festwochen sind also vorbei.

Vorbei ist die Zeit, als es noch keine Billigflugtickets gab und man den neuen Marthaler schön brav zu Hause in Wien erwartete. Vorbei die Zeit, als es weder Serienboom noch Streamingdienst gab und als auch der internationale Festivalbetrieb nur von wenigen, dafür bestens eingeführten Namen beherrscht wurde, denen Legendenruf vorauseilte, etwa Peter Brook, Ariane Mnouchkine, Robert Lepage oder Giorgio Strehler. Diese Speerspitze gibt es nicht mehr.

Vielfalt statt Startum

Heute, einige Demokratisierungsprozesse später, hat eine größere Vielfalt auch auf dem Kunstsektor Platz gegriffen – auf Kosten des Startums. Ein an klingenden Namen orientiertes Publikum tat sich folglich bei einem kleinteiligen Programm wie dem von Slagmuylder schwer. Hinzu kommt ein hochtrabendes Dramaturgendeutsch, das sich in die Kommunikation zwischen Festival und Publikum schlich. Merke: Kunst darf gern kompliziert sein, das Programmheft besser nicht.

Krise herrscht beim größten Theaterfestival des Landes aber auch im Inneren. Hineinzublicken ist schwierig, da niemand Lust hat, sich zu outen. Das Gemunkel hallt umso intensiver. Altgediente Mitarbeiter scheinen sich abzugrenzen, der Ton dürfte nicht immer stimmen. Nicht alles bleibt unbemerkt: Unschön wurden im Jahr 2017 Dramaturgen abserviert, und im vergangenen Frühling nahm die Pressechefin zu Festivalbeginn (sic!) den Hut. Angeblich liegen den Behörden Beschwerden vor. Die Führung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bleibt eine Baustelle.

Titelbild des Programmhefts der ersten Wiener Festwochen 1951.
Foto: Wiener Festwochen

Geschärftes Profil

Seit ihrer ersten Ausgabe nach dem Krieg 1951 haben sich die Wiener Festwochen stetig gewandelt. Sollten sie in den 1950er- und 60er-Jahren die Bundeshauptstadt als kulturell reichen und friedlichen Ort auch für Touristinnen und Touristen attraktiv machen – vor allem mittels Musiktheater (1954 stellte die Staatsoper satte 13 Eigenproduktionen) –, so wich dieser Aspekt später dem Gedanken eines erstrangigen internationalen Festivals der Bühnenkunst mit Avantgardeansprüchen.

Solange es noch kein Impulstanz-Festival (ab 1984) gab, war auch Tanz eine Programmsäule, 1969 gab es sogar ausgedehnte Ballettfestspiele. Allmählich, auch mit dem enormen Erfolg des deutschsprachigen Sprechtheaters in den 1970er- und 80er-Jahren, überflügelte das Schauspielprogramm die Oper, auch aus finanziellen Gründen.

Neue Konkurrenz

Entscheidend waren dabei immer die internationalen Gastspiele, die renommierte Ensembles aller Kontinente nach Wien führten. Sei es das Amphitheater Athen, das Operntheater Perm, die Tibetan Folk Opera, das Teatro Colón aus Buenos Aires, die Melbourne Theatre Company, das Tanztheater Wuppertal mit Pina Bausch etc. Es gab Zeiten, da kaufte man Festwochen-Karten blind, weil es sich am Ende auf alle Fälle gelohnt haben würde.

Auf dieses Vabanquespiel lassen sich heute nicht mehr viele ein, einerseits weil sich das Kaufverhalten generell geändert hat, andererseits aber auch, weil das Profil der Festwochen in einer Großstadt mit über die Jahre herangewachsenen neuen Kulturinstitutionen unscharf geworden ist. Das Tanzquartier (seit 2001) oder auch das Koproduktionshaus Brut (seit 2007) bringen unterm Jahr internationale Künstler nach Wien, mit welchen früher die Festwochen exklusiv auftrumpfen konnten. Auch die Abgrenzung zum Impulstanz-Festival, das kurz nach den Festwochen die Stadt überzieht, war zuletzt deutlich verwässert.

Verändertes Kaufverhalten führt zu neuen Schwerpunkten.
Foto: Nurith Wagner-Strauss

Mehr Übersichtlichkeit und Größe

Ein Festival dieser Größenordnung hat gegenwärtig also mit ganz anderen programmatischen Herausforderungen zu kämpfen als noch vor fünfundzwanzig Jahren. War lange Zeit das Ringen um große Namen ein wesentlicher Orientierungspunkt, so ist der politische Auftrag heute, sich dezentraler und mit Rücksicht auf ein vielschichtiges, neu zu erschließendes Publikum auszurichten. Die neue Pluralität hat aber auch eine Unübersichtlichkeit mit sich gebracht, die en gros weniger gut vermittelbar und folglich auch weniger gut verkäuflich ist.

Im Zuge dessen haben es vor allem mittel- und kleinformatige Arbeiten geschafft, sich Platz zu erobern. Wiedererkennbarkeit ist nicht zwingend ihre erste Eigenschaft, womit dem sportiven Gedanken des Aufspürens, Nachjagens und Vergleichens künstlerischer Arbeiten der Wind aus den Segeln genommen ist. Auf die sich alljährlich automatisch einstellende Leidenschaft kann das Festival bei seinem Publikum heute nicht mehr setzen. Kunst ist deutlich ausdifferenzierter und das Fantum folglich auf mehrere und kleinere Gruppen aufgeteilt. Deren Vermischung wäre ebenfalls Aufgabe eines Festivals.

Size matters: notwendige große Behauptungen

Dafür braucht es nicht nur eine neue Übersichtlichkeit, sondern auch Vermittlungsarbeit. Darüber sind Kulturinstitutionen längst im Bilde, es klappt nur nicht so leicht. Das aufgeschlossene, treue Bildungsbürgerpublikum, dessen man sich allzu sorglos als zugewandt versicherte, fühlt sich heute oft unerwünscht, weil mit seinen Ansprüchen (u. a. exklusive Großereignisse) vielfach gebrochen wurde, die Vielfalt macht das nicht wett.

Size matters eben doch, zumal bei einem zweistelligen Millionenbudget (2022: 12,2 Millionen). Susanne Kennedys Einstein on the Beach war in der abgelaufenen Edition gewiss ein Format, an dem sich der Homo festwochicus reiben konnte. Es braucht mehr dieser großen Behauptungen, um in einer intensiv bespielten Stadt den Ton anzugeben und so auch das Kleinteilige mitziehen zu können.
(Margarete Affenzeller, 28.10.2022)

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