Auch im Erstaufnahmezentrum Thalham in St. Georgen im Attergau wurden Zelte für Asylwerber aufgebaut. Das führte am 26. Oktober zu Protesten, an denen sich auch Rechtsextreme beteiligten.

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Die Unterbringung geflüchteter Menschen in Zelten lässt weiter die Wogen hochgehen. Am Freitagnachmittag riefen linke Organisationen in der Tiroler Ortschaft Absam zu einer Protestkundgebung am Dorfplatz auf, weil die Bundesbetreuungsagentur (BBU) 16 junge Männer in einer Zeltstadt beherbergen wollte. Rund hundert Menschen folgten dem Aufruf. Am Nationalfeiertag erst hatten Rechtsextreme eine Demo in der oberösterreichischen Gemeinde St. Georgen im Attergau gekapert, wo 17 Zelte errichtet worden waren.

Tirols Vize-Landeshauptmann Georg Dornauer und Absams Bürgermeister Manfred Schafferer (beide SPÖ) forderten angesichts der Jahreszeit "feste Unterkünfte" für die Schutzsuchenden. Die 16 Männer verbrachten letztlich eine Nacht in den Zelten und eine Nacht aus Protest im Freien ehe sie am Donnerstag in ein Notquartier nach Kufstein verlegt wurden. Dornauer sicherte zu, bis Ende November 500 weitere Plätze für Asylsuchende in Tirol zu schaffen. Insgesamt fehlen aber in Tirol laut Quote 2800 weitere Plätze.

Hundert Menschen lauschten am Freitag der Schwester Notburga, Franziskanerin aus Hall in Tirol, die sich seit langem in der Flüchtlingsbewegung engagiert.
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Völkerrecht und Asylrecht

Aber ist das bundesweite Aufstellen der Zelte nun Resultat eines ausufernden Migrationsgeschehens, das Österreich nicht mehr im Griff hat? Tatsächlich sind die Zahlen im Jahr 2022 rasant gestiegen: Allein im September stellten 15.000 Menschen einen Asylantrag – mehr als im September 2015, dem Jahr der großen Migrationsbewegungen. Dass unter den vordersten Plätzen nun auch Inder und Tunesier aufscheinen, hängt für Migrationsforscherin Judith Kohlenberger daran, dass Österreich ein Land ist, "in dem das Völkerrecht noch gelebt wird und Asylanträge annimmt". Auch wenn diese Gruppen kaum Chancen haben. Viele der Antragsteller seien bereits monatelang auf der Westbalkanroute unterwegs und wären bereits mehrfach zurückgedrängt worden.

In Österreich angekommen, machen sich die Strapazen bemerkbar. "Viele sind in einem schlechten Zustand. Sie bleiben dann einige Wochen, um sich auszuruhen", sagt Kohlenberger zum STANDARD. Danach gehe die Reise für viele weiter: nach Italien oder Spanien, wo sie ihre Community und Arbeit in der Schattenwirtschaft vorfänden. Auf die Weiterreise der Menschen lassen auch die Zahlen der Grundversorgung schließen: Von rund 70.000 Asylanträgen im Jahr 2022, sind derzeit – ohne Ukrainerinnen – lediglich 20.000 Menschen im sozialen Netz der Grundversorgung registriert.

Druck durch säumige Länder

Was jedoch den Druck erhöht, sei die Tatsache, dass die Bundesländer ihre Pflicht bei der Flüchtlingsunterbringung nicht erfüllen. "Die Länder haben 5000 Menschen weniger in der Grundversorgung als 2019. Damals hat niemand von einer Asylkrise gesprochen", sagt Kohlenberger. Auf die Appelle an die Länder, die überfüllten Bundesquartiere zu entlasten, passierte im Sommer nichts. Die Zelte ausschließlich als symbolisches Druckmittel des Innenministers zu sehen, wäre daher zu kurz gefasst, glaubt Kohlenberger. Wirkung zeigten sie dennoch: Vorarlberg und Tirol stellten binnen weniger Tage Plätze für Asylwerber bereit – die Zelte in Feldkirch blieben leer.

Dass sich die Situation in absehbarer Zeit entspannen wird, sieht die Migrationsforscherin nicht. Zwar sei mit einem saisonalen Effekt im Winter zu rechnen, wonach das Migrationsgeschehen über die Westbalkanroute wohl abnehme. "Gleichzeitig ist aber mit mehr Ankünften von Ukrainerinnen zu rechnen", sagt Kohlenberger. Und das stellt bereits jetzt ein Problem dar: Denn obwohl noch etwa 80 Prozent der Ukrainerinnen in privaten Quartieren wohnen, ist es mit Blick auf die Teuerung nur eine Frage der Zeit, bis Eigentümer ihren Wohnraum zurückmöchten. Ein Trend in Richtung Quartiere zeichne sich jedenfalls jetzt schon ab, heißt es von Hilfsorganisationen, die finanzielle Anreize für private Unterkunftsgeber fordern.

Profit aus Zelte-Misere

Die Antwort auf Frage, welche Partei politischen Nutzen aus der Zelte-Misere ziehen kann, liegt auf der Hand: Die FPÖ. "Von der Angst vor Zuwanderung haben die Freiheitlichen schon immer profitiert", sagt Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle zum STANDARD.

Ganz so einfach sei die Situation aber auch wieder nicht. Denn die ÖVP habe ja in Person von Innenminister Gerhard Karner die Debatte angestoßen. Mit dem Aufstellen von Zelten für Asylwerber sei es Karner gelungen, die Bundesländer unter Druck zu setzen. "Ein eher symbolischer Akt, der die Länder dazu brachte, ihre Vorgaben für Asylunterkünfte zu erfüllen", meint Stainer-Hämmerle. Politisch gesehen also ein Punkt für die ÖVP.

Die bisher verhaltenen Reaktionen aus dem grünen Lager interpretiert die Politikwissenschafterin als Koalitionsräson auf Bundesebene. Und Rot? Stainer-Hämmerle: "Die SPÖ ist eine gespaltene Partei, die sich auch in der Asylfrage schwer mit einer Parteilinie tut." Auf der einen Seite der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der die Vorgaben für Asylunterkünfte übererfüllt, auf der anderen Seite Tirols Vizelandeshauptmann Dornauer, der Freitag einen "restriktiveren Migrationskurs" forderte und Bilder von der Fluchtbewegung im Jahr 2015 hervorkramte: "Ich werde meinen politischen Beitrag leisten, damit nicht neuerlich die Situation eintritt, dass sich größere Menschenmengen auf unseren Landes- und Bundesstraßen auf den Weg von A nach B machen", so der Tiroler SPÖ-Chef.

Stainer-Hämmerle macht für Dornauers harten Kurs auch seinen Perspektivenwechsel verantwortlich: "Er ist ja erst seit wenigen auch für Migrationsagenden in Tirol zuständig." Der gemäßigte Asylkurs von SPÖ-Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner erhält also künftig sowohl aus dem Westen als auch aus dem Osten (Hans Peter Doskozil im Burgenland) Gegenwind. (Steffen Arora, Michael Simoner, Elisa Tomaselli, 29.10.2022)