Vor Jahren besuchte ich im Zuge meiner beruflichen Tätigkeit ein Waisenhaus in einem kleinen Dorf im tropischen Tiefland Boliviens. In Erinnerung ist mir der Tag aus einem traurigen Grund geblieben, denn ein Sozialarbeiter erzählte mir die Geschichte zweier Kinder, mit denen ich kurz vorher gelacht und gespielt hatte. Die beiden hatten, unter ihrem Bett versteckt, miterleben müssen, wie die Kokainmafia ihre Eltern mit Macheten ermordete.
Ich dachte wieder an diese Geschichte, als ich vor zwei Wochen las, dass die holländische Kronprinzessin Catharina-Amalia zurück in den Königspalast zieht. Als Studentin an der Universität Amsterdam wollte sie eigentlich in einer WG wohnen. Doch es besteht die Gefahr, dass sie von der Kokainmafia entführt wird. Deren Anführer sitzt unter anderem wegen eines Journalistenmordes im Gefängnis, und die Polizei befürchtet, dass er durch die Entführung von Prominenten freigepresst werden könnte.
Die beschriebenen Schicksale – dort die Waisenkinder, da die Prinzessin – könnten unterschiedlicher nicht sein. Doch eines haben sie gemeinsam: Die Tentakel des Drogenhandels reichen vom kleinsten südamerikanischen Bauerndorf bis in die Hauptstädte Europas.
"War on drugs"
Seit Jahrzehnten befinden wir uns in einem globalen "War on Drugs". Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen. Es ist Zeit, die Taktik zu ändern und ein Umdenken einzuleiten.
Bisher wurde die Debatte über die Legalisierung von Drogen als eine über die Grenzen individueller Freiheitsrechte geführt. Als eine Debatte, die ausschließlich die Freiheit oder Schutzbedürftigkeit der Konsumentenseite betrachtet. Wir brauchen eine schrittweise und kontrollierte Freigabe, um die globale Sicherheitskrise in Griff zu bekommen.
Mittlerweile kommt zumindest bei Cannabis wieder mehr Bewegung in die Sache. Die deutsche Regierung hat letzte Woche ihren Plan zur Entkriminalisierung vorgestellt. Einige US-amerikanische Bundesstaaten wie Colorado und Kalifornien zeigen vor, wie die Liberalisierung des Handels mit THC-haltigem Cannabis sowohl Steuereinnahmen bringt als auch einen illegalen Schwarzmarkt austrocknet.
Doch es braucht mutigere Schritte, um der milliardenschweren Drogenmafia das Handwerk zu legen, allen voran bei Kokain. Vor kurzem haben sich zwei ehemalige Präsidenten von Peru und Kolumbien für die Legalisierung ausgesprochen, weil der Kampf zwischen Staat und Mafia ihre Gesellschaften zerstöre. Doch vor allem Konsumentenländer wie die USA und Staaten in Europa müssen ihre Strategie ändern.
Gleichzeitig dürfen wir nicht die gleichen Fehler machen wie bei legalen Drogen wie Nikotin und Alkohol, die Jahrzehnte hindurch aggressiv beworben wurden. Von einer kontrollierten Freigabe und einem absoluten Werbeverbot bis hin zur Verwendung aller Steuereinnahmen für Suchtprävention und Therapien wäre viel möglich. Wenn Sie dennoch Angst um unsere Jugend haben, kann ich Sie verstehen, würde Sie aber bitten, den ersten Absatz meiner Kolumne noch einmal zu lesen. (Philippe Narval, 31.10.2022)