Benjamin Netanjahu (auf dem Plakat) steht vor seinem Comeback als Regierungschef. Unterstützt wird er in Israel unter anderem von Ultraorthodoxen.

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Der nette Opa, der Schreibabys zum Schlummern bringt und ehrliche Kleinunternehmer vor dem Bankrott rettet: Das ist Benjamin Netanjahu, wenn man seinen Wahlvideos glaubt. Man sieht den 73-Jährigen lässig im Polohemd, er besucht junge Eltern zu Hause und schenkt ihnen Hoffnung in einer Welt voller Angst vor Krieg, Klimakrise und steigenden Preisen. Er scherzt mit dem Gemüsehändler, hält eine Avocado in die Kamera, lobt das "gute israelische Gemüse" und ruft munter lächelnd: "Und jetzt machen wir Salat! Gesunden, preiswerten Salat!"

Der Mann, der Israel länger regiert hat als jeder andere Premier zuvor, strebt wieder an die Macht. 16 Monate lang musste Netanjahu es nun schon ertragen, einer anderen Regierung von der Oppositionsbank aus zuzusehen. Sein stetiges Bestreben, die "Regierung des Wandels" zu spalten, trug Früchte. Der Anti-Netanjahu-Block kündigte Neuwahlen an, am Dienstag finden sie statt. Und Netanjahu ist entschlossen, sein Comeback zu erleben.

Mehr Wahlen als Regen

Es ist die fünfte Wahl binnen vier Jahren. Israels Demokratie steckt im Chaos.

Viele Israelis reagieren darauf mit Apathie, manche mit zynischem Humor. "Es gibt in diesem Land mittlerweile mehr Wahltage als Regentage", scherzt Yehuda, ein Gemüsehändler aus Galiläa, während er vor einem Laden in Haifa seine Papayas auslädt. Er gehe trotzdem auch diesmal wählen, denn er wolle sicherstellen, "dass das Land wieder von den richtigen Leuten regiert wird". Wen er damit meint? "Was für eine Frage", sagt Yehuda. "Natürlich Bibi."

Bibi, so wird Netanjahu von Freunden und Feinden gleichermaßen genannt. Bibi ist auch der Titel seiner Autobiografie, die pünktlich zum Wahlkampf erschienen ist. Darin lobt er sich als klugen Strategen, Wahrer alter Werte und mutigen Reformer. Nur er könne Israel regieren, so seine Botschaft. Fast könnte man denken, dass sich keine Partei mit Netanjahu als Spitzenkandidat zur Wahl stellt, sondern nur eine Person. Und die spaltet das Land.

Netanjahus Gegner warnen davor, dass er Israel "orbánisieren" könnte – also nach dem Vorbild Ungarns die Demokratie schrittweise abbauen würde. Anzeichen dafür gab es bereits. In einem laufenden Gerichtsverfahren werden ihm Untreue, Bestechlichkeit und Betrug vorgeworfen, im Zuge seiner langjährigen Tätigkeit als Politiker. Wer im Verdacht steht, mit der Macht, die ihm die Bürger verliehen haben, so fahrlässig umzugehen und Steuergeld für eigene Zwecke zu verwenden, verdiene kein Regierungsamt, sagen Netanjahus Gegner. Netanjahu hingegen stellt sich nicht nur als zu Unrecht beschuldigt dar, er plant auch einen Gegenangriff auf die Justiz. Er will die Macht des Generalstaatsanwalts einschränken, mehr Einfluss auf das Höchstgericht, sogar eine Abschaffung des Untreueparagrafen steht im Raum – zufällig jenes Paragrafen, nach dem Netanjahu angeklagt ist.

Extremer Partner

All diese Vorwürfe kratzen nicht an der Beliebtheit, die "Bibi" bei seinen Fans genießt. Ob es ihn nicht störe, dass Netanjahu mutmaßlich bestochen wurde? "Das ist doch alles nur erfunden", meint Yehuda. Und fügt hinzu: "Außerdem, ganz ehrlich, zeig mir einen Politiker, der nicht korrupt ist."

Seine Fans reichen aber nicht aus, um Netanjahu die ersehnte Parlamentsmehrheit zu verschaffen. Zwar ist seine Likud-Partei immer noch die stärkste Kraft im Parlament. Das hilft aber wenig, denn immer mehr einstige Regierungskollegen haben eigene Listen gegründet und wollen keinesfalls mit Netanjahu koalieren. Seine Gegner werfen ihm vor, er wolle die Israelis einfach so oft an die Urnen bitten, bis ihm das Ergebnis passt.

Diesmal macht Netanjahu klar, dass ihm alles recht ist, wenn er nur wieder an die Macht kommt. Er geht sogar so weit, die ultra-rechtsextreme Partei "Jüdische Selbstbestimmung" in die Regierung zu holen, wenn er gewählt wird. Deren Parteichef Itamar Ben-Gvir wurde mehrmals verurteilt, unter anderem wegen Terrorunterstützung. Polizei und Geheimdienst werfen Ben-Gvir vor, mit seiner Hetze gegen Araber neue Gewalt zu schüren. Das hält Netanjahu nicht davon ab, dem Rechtsradikalen sogar ein Ministerium zu versprechen. Hauptsache, sein Comeback gelingt. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 1.11.2022)