Die ÖVP will mit Nachdruck die Vorwürfe gegen Klubobmann August Wöginger (links) und Wolfgang Sobotka (Mitte) entkräften.

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Böse Geister, die einen heimsuchen; das Gedenken an Heilige und arme Seelen, die im Fegefeuer schmoren: Das steht diese Woche im Feiertagskalender, könnte aber auch eine überspitzte Beschreibung der Parlamentswoche sein. Ein böser Geist, den man vertreiben möchte, ist für die ÖVP jedenfalls Thomas Schmid. Er war jahrelang einer der vielen Schaltknoten im Gefüge der Volkspartei, zuletzt als Generalsekretär im Finanzministerium und Chef der Staatsholding Öbag.

Am Mittwoch wird sich der Nationalrat ab Mittag mit all den Vorwürfen beschäftigen, die Schmid in seinen Einvernahmen bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) aufgebracht hat. Am Donnerstag erscheint Schmid, der in den vergangenen Monaten nahezu zum Phantom geworden ist, dann höchstpersönlich vor dem U-Ausschuss.

Zu vernehmen ist, dass die ÖVP mit Nachdruck die Vorwürfe gegen August Wöginger und Wolfgang Sobotka entkräften will. Letzterem warf Schmid vor, bei zwei Steuerverfahren interveniert zu haben; Wöginger soll hingegen einen Parteifreund an die Spitze eines Finanzamts in Oberösterreich gebracht haben. Beide bestreiten das, es gilt die Unschuldsvermutung. Dem Vernehmen nach wird im Finanzministerium nach Unterlagen gesucht, die die Vorwürfe widerlegen – das Ressort dementiert das auf Anfrage.

Die Opposition wird hingegen nichts unversucht lassen, um der ÖVP deren viele Affären unter die Nase zu reiben – und am Donnerstag versuchen, Schmid weitere belastende Aussagen zu entlocken. Dabei dürften sich SPÖ, FPÖ, Neos und Grüne aber an einen engen Rahmen halten, den die WKStA gesteckt hat: Sie werden Schmid nur zu jenen Themen befragen, deren Inhalte bereits Teil der Ermittlungen sind. Nicht daran halten will sich die ÖVP.

Wie ist es zu all dem gekommen?

Teil 1: An der Öbag-Spitze

Trotz zahlreicher hochnotpeinlicher und höchstproblematischer Chatnachrichten, die an die Öffentlichkeit drangen, blieb Schmid erstaunlich lange an der Öbag-Spitze: Erst im Juni 2021, also anderthalb Jahre nach Beginn der Ermittlungen und einer Hausdurchsuchung bei ihm, trat der diesen Sonntag 47 Jahre alt gewordene Tiroler zurück.

Schon in jener Phase, in der sich der Öbag-Chef fast wöchentlich mit neuen Chats ("Ich liebe meinen Kanzler!") konfrontiert sah, fragten sich viele, warum Sebastian Kurz weiter an Schmid festhielt. Eine mögliche Erklärung war, dass die ÖVP Angst davor hatte, dass Schmid ohne Öbag-Job womöglich vor den Ermittlern auspacken würde. Als langjähriger Kabinettsmitarbeiter in verschiedenen Ministerien und dann Generalsekretär im Finanzministerium hat Schmid viel Wissen über das Gebaren der ÖVP in der Regierung gesammelt – und auch beim Aufstieg von Kurz war Schmid nah dran.

Teil 2: Schmid will Kronzeuge werden

Tatsächlich bot sich Schmid knapp zehn Monate später, im April 2022, als potenzieller Kronzeuge an. Das dürfte aber vor allem daran gelegen haben, dass Schmid juristisch immer stärker belastet worden ist. Zuerst poppte kurz vor Weihnachten 2021 die Steueraffäre rund um Unternehmer Siegfried Wolf auf, in der die Ermittler Schmid schwere Vorwürfe machen. Dann avancierte im Frühjahr 2022 auch noch die in der Causa Umfragen zentrale Meinungsforscherin Sabine Beinschab zur Kronzeugin, die sich selbst und Schmid rund um Scheinrechnungen belastete.

Seit Juni 2022 befragt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nun Schmid, insgesamt bisher 16-mal. Doch der U-Ausschuss machte den Ermittlern, unwissentlich, einen Strich durch die Rechnung. Den Fragen der Abgeordneten hatte sich Schmid schon so lange entzogen, dass die Fraktionen einstimmig eine Vorführung durch die Polizei beschlossen hatten, sollte die Schmids in Österreich habhaft werden. An seinen neuen Wohnsitz in den Niederlanden schickte man einen Gerichtsvollzieher, auch die Botschaft in Den Haag war involviert.

Teil 3: Der U-Ausschuss will Schmid vorführen

Bei der WKStA registrierte man diese Posse mit zunehmender Unruhe. Zum Großteil der Themen hatte ein wechselndes Team aus Staatsanwälten Schmid über den Sommer hinweg schon befragt, mehrere Sachverhalte sollten allerdings an zwei weiteren Tagen besprochen werden: am 20. und 21. September. Die WKStA befürchtete jedoch, dass Schmid bei der Anreise zu diesen Vernehmungen festgehalten und dem U-Ausschuss vorgeführt werden könnte. Würde dann offenbar, dass er potenzieller Kronzeuge sei, wären Ermittlungen gefährdet. Weil Schmid und sein Anwalt jedoch keinen Kontakt mit dem U-Ausschuss aufnahmen, um einen späteren Termin zu fixieren, musste die WKStA die letzten geplanten Termine vorerst absagen.

Einen Monat lang prüften die Ermittler dann die von Schmid aufgebrachten neuen Vorwürfe: Da geht es etwa um Bestechungsvorwürfe gegen den Unternehmer und Milliardär René Benko, um Untreuevorwürfe gegen Kollegen im Finanzministerium und um Interventionen von ÖVP-Klubchef August Wöginger und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP).

Teil 4: Erste Erkenntnisse und Gegenschläge

Am 18. Oktober teilte die WKStA die neue Wendung in ihren Ermittlungen dann der Öffentlichkeit mit – zu der Zeit waren schon längst Beamte in den Räumlichkeiten von Benkos Signa und außerdem einer Beratungsfirma, um Hausdurchsuchungen durchzuführen. Wenige Stunden später gelangten die ersten Protokolle von Schmids Einvernahmen dann in den riesigen Ermittlungsakt zur Causa Casinos, in den die Anwälte dutzender Beschuldigter Einsicht nehmen können. Seither ist in der ÖVP Feuer am Dach.

"Baron Münchhausen", "Lügenbaron der Nation", "Lügner": So beschimpften ÖVP-Granden von Sobotka abwärts den potenziellen Kronzeugen Schmid, als dessen Einvernahmen publik wurden. Exkanzler Kurz legte gar das Protokoll eines heimlich aufgenommenen Telefonats mit Schmid vor, das er im Oktober 2021 kurz nach seinem Rücktritt geführt hatte. Das sollte Kurz' Unschuld beweisen, weil ihm Schmid nicht widersprach, als er wortreich seine Unkenntnis über das sogenannte Beinschab-Tool ausführte.

Feiertagsbedingt wurde es um Schmid dann etwas ruhiger, wenngleich Sebastian Kurz' Smartphone am Freitag viel im Einsatz gewesen sein dürfte: Da wurde einmal mehr über den Vorwurf berichtet, Kurz habe für eine Gehaltserhöhung bei seiner Freundin, der im Finanzministerium angestellten Susanne Thier, interveniert. Die WKStA hat das großteils entkräftet, sie sieht in einem Amtsvermerk "keine besondere Bevorzugung" von Thier.

Teil 5: Showdown im Parlament

An Mittwoch und Donnerstag wird dieses Pingpong in Echtzeit zu beobachten sein. Ab 12 Uhr wird der Nationalrat auf Antrag von SPÖ und FPÖ tagen, Thema der Sondersitzung sind die Korruptionsvorwürfe gegen die ÖVP. Dazu soll auch Kanzler Karl Nehammer Stellung nehmen. Die Opposition wird auch einen Neuwahlantrag einbringen und hofft auf einige grüne Überläufer. Zu erwarten sind permanente Konfrontationen mit dem anwesenden Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka und mit ÖVP-Klubchef August Wöginger.

Am Donnerstag wird dann Thomas Schmid im U-Ausschuss befragt werden – das wird die wohl brisanteste Sitzung des ÖVP-Korruptionsausschusses, der am 2. März 2022 seine Befragungen aufgenommen hat. Den Vorsitz wird an diesem Tag nicht Sobotka führen, sondern die zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ). Es wird keine leichte Aufgabe: Die ÖVP ist auf Krawall gebürstet, Fraktionsführer Andreas Hanger tat schon vor zwei Wochen seine Meinung über "Lügenbaron" Thomas Schmid kund.

Befürchtet wird, dass die ÖVP die Befragung nutzten wird, um abzutesten, zu welchen Sachverhalten Schmid in Zukunft bei der WKStA aussagen will. So verhinderte die ÖVP eine Einigung zwischen allen Fraktionen, sich bei der Befragung an einen vorgegebenen Rahmen der Justiz zu halten. Die wollte, dass Schmid nur zu Themen befragt wird, zu denen er bereits vor den Ermittlern Auskunft erteilt hat. Die ÖVP wollte hingegen eine Liste, zu welchen Themen man Schmid nicht fragen dürfe – das wäre gewissermaßen eine Skizze künftiger Ermittlungen. Am Montagnachmittag soll es nun zu einem weiteren Treffen zwischen WKStA und Abgeordneten kommen.

Wenn die Woche überstanden ist, wird es für Schmid übrigens gleich weitergehen: Am 7. und 9. November sind die nächsten Einvernahmen bei der WKStA geplant. Thema unter anderem: "neu aufgebrachte Sachverhalte". (Fabian Schmid, 31.10.2022)