Menschen aus der Wissenschaft brauchen derzeit die sprichwörtliche "dicke Haut" – doch wenn sich Morddrohungen häufen, genügt das oft nicht mehr. Die Corona-Pandemie hat Forschende in bisher nicht gekanntem Ausmaß ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Sie erklärten früh die technischen Details der Bedrohung durch das neuartige Virus, weil es niemand außer ihnen konnte, gerieten deshalb aber schnell ins Kreuzfeuer einer zunehmend enthemmt agierenden Szene aus Menschen, die eine Verschwörung witterten. Weil das Phänomen kein Ende zu nehmen scheint, startet die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) am Montag eine eigene Anlaufstelle für Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die sich Anfeindungen ausgesetzt sehen.

Dabei handelt es sich laut Angaben der ÖAW um die erste ihrer Art im Land. Unter der Bezeichnung "Science Care" soll die in Wien angesiedelte neue Plattform Forschenden, die mit den Schattenseiten der gesteigerten öffentlichen Wahrnehmung konfrontiert sind, Hilfestellung anbieten.

In Deutschland ist der Virologe Christian Drosten besonders oft Anfeindungen ausgesetzt.
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In der Covid-19-Pandemie habe sich offenbart, dass viele Forscherinnen und Forscher, die mit Hassbotschaften und Co konfrontiert waren, nicht wussten, wohin sie sich wenden können. Das Problem mehr oder weniger allgemeiner Anfeindungen gegenüber Vertretern der Wissenschaft gehe aber über das Reizthema "Corona" hinaus. Betroffen seien auch Forscher, die etwa im Bereich Klima, Gentechnik oder Migration tätig sind und sich dazu zu Wort melden.

Nicht Teil des Studiums

Wie man mit Hass umgehe oder auf Drohbotschaften reagiere, lerne "man nicht im Studium", so Integrationsforscher, Ex-Bildungsminister und nunmehriger ÖAW-Präsident Heinz Faßmann. Man erwarte sich von Wissenschaftern, dass diese auch in der breiteren Bevölkerung Aufklärungsarbeit leisten, habe aber noch kaum etwas an der Hand, das Betroffenen im Umgang mit negativen Rückmeldungen hilft. "Dabei erleben sie oft vehementen Widerstand, oft auch hasserfüllte Mails und Nachrichten in den sozialen Medien. Bei Kolleginnen sind leider sehr oft auch sexistische Kommentare darunter." Die ÖAW müsse hier Verantwortung übernehmen und dürfe Forscher nicht alleinlassen.

Eine Gedenkveranstaltung für die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die ihre Praxis wegen Morddrohungen aus der Impfgegnerszene schloss und kurz darauf Suizid beging.
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Das Angebot solle niederschwellig sein, erklärt Faßmann. Konkret solle bei der medialen Krisenkommunikation im Zusammenhang mit Anwürfen in sozialen Medien geholfen werden. Auch bei rechtlichen Fragen und Angriffen im Ausland soll es Unterstützung geben. Das Angebot, das auch psychologische Unterstützung beinhaltet, soll im ersten Schritt engagierten Forschenden zur Verfügung stehen. Ausweitungen sind aber angedacht. Dazu ist in einigen Monaten ein runder Tisch geplant. (red, APA, 31.10.2022)