Bilder in sozialen Medien, die sich schwer verifizieren lassen, sollen Foxconn-Mitarbeitende bei der Flucht vom Werksgelände zeigen.

Foto: AP / Hangpai Xingyang

Gewöhnlich beginnt nun die geschäftigste Zeit des Jahres. Doch im mit Abstand größten Werk des Apple-Zulieferers Foxconn wird trotz des kommenden Weihnachtsgeschäftes mit Problemen gerechnet. Grund ist einmal mehr die Corona-Pandemie – oder, je nach Perspektive, die Reaktion der chinesischen Regierung auf das Virus. Seit Mitte Oktober wird das Werk der taiwanischen Firma in der chinesischen Stadt Zhengzhou von einem Virusausbruch in Mitleidenschaft gezogen. Wie stark dieser ausgefallen ist, ist offen – denn Infektionszahlen veröffentlicht das Unternehmen nicht.

Die Maßnahmen sind aber in jedem Fall drastisch: Zwar geht die Produktion weiter, doch müssen sich die Arbeiterinnen und Arbeiter strengen Kontrollen und, bei einem positiven Test, Quarantänevorschriften beugen. Weil im Werk mehr als 200.000 Menschen arbeiten, sind viele in Sorge wegen eines möglichen humanitären Notstands. Am Wochenende sind laut Berichten in sozialen Medien, die die BBC, "Financial Times" und die Agentur Reuters teils prüfen konnten, zahlreiche Menschen aus dem Werk ausgebrochen. Sie befinden sich teils über hundert Kilometer zu Fuß oder auf den Ladeflächen von Lkws auf dem Weg in die umliegenden Städte.

"Relativ normal"

Über die genauen Zustände in der Fabrik gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Nach den offiziellen Zahlen der Stadtverwaltung von Zhengzhou sind in der vergangenen Woche insgesamt nur 69 neue Corona-Fälle registriert worden. Dem stehen die Aussagen von geflüchteten Arbeitern gegenüber. Sie berichten von mehr als 10.000 Menschen, die sich auf dem Werksgelände bereits in Quarantäne befänden. Schon seit dem 7. Oktober soll die Fabrik demnach abgeriegelt sein, wobei die Produktion aber weiterlaufe. Wer bei einem der zahlreichen PCR-Tests ein positives Ergebnis abliefere, der werde in der Werkshalle ausgerufen und müsse sich anschließend in betriebsinterne Quarantäne begeben, so Reuters unter Berufung auf die Quellen. Foxconn selbst weist all dies zurück. Die Fallzahlen seien "überschaubar", die Produktion laufe einigermaßen normal, und wer wolle, könne das Gelände verlassen.

Das allerdings lässt die Frage offen, wieso auf Videos, die im chinesischen Social-Media-Universum gepostet wurden, Szenen zu sehen sind, die man mit dieser Darstellung schwer in Einklang bringen kann. Dort sieht man Menschen, die vor dem Werk über hohe Zäune klettern und anschließend am Straßenrand entlangstapfen. Sowohl Reuters als auch die BBC zitieren zudem geflohene Arbeiter, die später von den Behörden gefunden wurden und sich nun in anderen Städten in Quarantäne begeben mussten.

Reuters berichtet außerdem unter Berufung auf eine ungenannte Quelle im Unternehmen, die Produktion im Werk von Zhengzhou werde im November um bis zu 30 Prozent zurückgehen. Das wäre für Foxconn, trotz anderer Produktionsstandorte im chinesischen Shenzhen und in Indien, ein herber Schlag. Offiziell dementierte die Firma die Angaben bald nach deren Bekanntwerden. Sie teilte außerdem mit, alle betroffenen Mitarbeiter würden mit "materiellen Hilfen, psychologischem Trost und Feedbackmöglichkeiten" ausgestattet.

Pu der Bär vs. Disney

Ungewöhnliche Szenen spielten sich derweil auch im Disneyland in Schanghai ab. Auch wurden am Montag unvermittelt die Tore geschlossen, Anlass waren vermutlich zehn positive Tests im Stadtgebiet Schanghais. Bilder zeigten, wie Menschen zu Ausgängen rannten, die zu diesem Zeitpunkt allerdings schon verschlossen waren.

Das Unternehmen teilte später mit, dass den Park nur verlassen dürfe, wer einen negativen Test abgeben könne. Außerdem müssten all jene, die seit vergangenem Dienstag den vermeintlichen Vergnügungspark besucht hatten, in den kommenden drei Tagen dreimal Corona-Tests machen. Der Vorfall ist bereits der zweite innerhalb eines Jahres. Im vergangenen November wurden 30.000 Menschen vorübergehend im Schanghaier Disneyland eingeschlossen, von wo aus sie sich freitesten mussten.

"Volkskrieg gegen das Virus"

Die Corona-Zahlen haben in China in den vergangenen Wochen wieder zugenommen. Rund tausend neue Fälle pro Tag werden derzeit gemeldet – was zwar im internationalen Vergleich sehr gering wirkt, in der Volksrepublik aber massive Auswirkungen hat. Mehr als 200 Millionen Menschen waren nach einer Erhebung des japanischen Finanzunternehmens Nomura mit Stichtag 24. Oktober mehr als 200 verschiedenen lokalen Lockdowns unterschiedlicher Strenge unterworfen. Die betroffenen Regionen würden dieser Statistik nach in normalen Zeiten rund ein Viertel des chinesischen Bruttoinlandsproduktes stellen.

Die "Zero Covid"-Politik der chinesischen Regierung ist trotz zunehmender – und für China ungewöhnlicher – Kritik politisch noch immer weitgehend unumstritten. KP-Generalsekretär und Staatspräsident Xi Jinping hat beim erst kürzlich abgeschlossenen Parteitag in Peking erneut erkennen lassen, dass Hoffnungen auf eine baldige Lockerung vergeblich sind. Er betonte, dass die bisherigen Maßnahmen Leben gerettet hätten, und sprach von einem "Volkskrieg gegen die Ausbreitung des Virus". Von den staatlich gelenkten Medien ließ er sich bei gleicher Gelegenheit für den harten Kurs loben, sie forderten außerdem von ihm eine konsequente Fortsetzung der bisherigen Maßnahmen.

Gefährliche Immunitätslücke

Das mag ideologische Gründe haben, lässt sich aber auch logisch erklären. Weil China von Anfang an auf harte Maßnahmen gesetzt hat, während der Rest der Welt davon immer mehr abkam, steckt Peking nun in der Klemme. Die Immunität gegen das Virus – oder gegen schwere Fälle – ist in China wegen ausbleibender Infektionswellen deutlich geringer. Dazu kommt, dass auch die Impfraten vergleichsweise gering sind – 86 Prozent der älteren Menschen haben laut Staatsmedium "China Daily" zwei, nur 68 Prozent drei oder mehr Stiche. Auch die verfügbaren Vakzine haben nicht die gleiche Qualität wie ihre westlichen Gegenstücke.

Würde China die Maßnahmen nun plötzlich aufheben, wäre angesichts der Omikron-Variante mit einer massiven Welle zu rechnen. Sie könnte das Gesundheitssystem des Landes lahmlegen, argumentierte jüngst die Deutsche Welle. Xi und seine Regierung hätten somit derzeit nur schlechte Möglichkeiten – und sich für jene entschieden, die bereits in den Köpfen der Menschen verankert ist. (Manuel Escher, 31.10.2022)