Der neue Twitter-Eigentümer Elon Musk.

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Elon Musks Twitter-Übernahme wird begleitet von zahlreichen Versprechen für die Zukunft des Kurznachrichtendienstes. Ein "Marktplatz der Redefreiheit" soll dieser werden, gab der Multimilliardär im Frühling schon bekannt. Moderationsbemühungen sollen dafür stark zurückgeschraubt werden, um das gesetzliche Mindestmaß niemals zu überschreiten. Die Grenze des Sagbaren soll also gelockert und permanente Sperren, zum Beispiel jene von Donald Trump, zurückgezogen werden. Im ersten Schritt wurden deshalb CEO Parag Agrawal und die Chefjuristin Vijaya Gadde gefeuert. Letztere war für den Rausschmiss Trumps verantwortlich. Mittlerweile hat Musk laut US-Börsenaufsicht auch das Direktorium aufgelöst, der Milliardär ist damit Alleinherscher des sozialen Netzwerks.

Wie ernst es Musk mit seinen Plänen meint, bleibt abzuwarten. Einerseits deshalb, weil er vor kurzem noch versuchte, seinen Verpflichtungen zu entkommen – obwohl der Kauf bereits vertraglich besiegelt worden war. Andererseits, weil er in der Vergangenheit mehrfach dadurch auffiel, in der Öffentlichkeit großspurige Versprechen zu verkünden, um sie anschließend nicht zu halten.

Gründer oder nicht?

Aber worum geht es eigentlich, wenn man von gebrochenen Versprechen redet? Nun, der exzentrische Unternehmer hat im Laufe seiner Karriere bereits mehrere Firmen durchlaufen. Am bekanntesten dürften dabei wahrscheinlich Paypal und Tesla sein. Zwei Unternehmen, die unter anderem von Musk gegründet wurden … oder doch nicht?

In Wirklichkeit bestand das Gründungsteam des Finanzdienstleisters Paypal aus Peter Thiel, Max Levchin und Luke Nosek. 1999 wurde dieser in Paypal umbenannt, ein Jahr später fusionierte es mit der Onlinebank X.com. Diese hatte Musk gemeinsam mit drei weiteren Personen gegründet. Offenbar wollte er jedoch, dass die Öffentlichkeit ihn auch als Mitgründer von Paypal wahrnimmt – weshalb er kurzerhand die Statuten ändern ließ und fortan als ebensolcher bezeichnet werden musste. Der STANDARD berichtete.

Der Kaufpreis für Twitter lag bei etwa 44 Milliarden US-Dollar.
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Ähnlich lief das Prozedere bei beim Elektroautobauer Tesla ab. Gegründet von Martin Eberhard und Marc Tarpenning im Jahr 2003, stieg Musk 2004 mit einem Investment in Höhe von 30 Millionen Dollar in das Unternehmen ein. Eine Bedingung: Er müsse zum Vorstandsmitglied ernannt werden. 2011 folgte er dann Ze’ev Drori als CEO, Eberhart schied aus dem Unternehmen aus – und Musk nahm den Titel des Co-Founders an.

Ein Autopilot, der keiner ist

Mit seiner Autofirma hängt auch ein Versprechen zusammen, das Musk zwar Jahr für Jahr zuverlässig formuliert, bisher aber noch nie einhalten konnte: "Teslas werden vollautonom fahren können", sagt er trotzdem unbeirrt. In Wirklichkeit befindet sich das Feature seit einiger Zeit im Betastadium und kann von Tesla-Besitzern in den USA und Kanada um 15.000 Dollar gekauft werden. Um einen vollwertigen Autopiloten handelt es sich bei diesem Fahrassistenzsystem aktuell aber nicht. Dieser Meinung ist mittlerweile nicht nur die US-Verkehrssicherheitsbehörde, die Untersuchungen wegen teils tödlicher Tesla-Unfälle eingeleitet hat. Auch das US-amerikanische Justizministerium ermittelt seit vergangenem Jahr wegen irreführender Werbung gegen das Unternehmen.

Noch ein Beispiel gefällig? Elon Musk versprach Mitte der 2010er-Jahre, mithilfe seiner Boring Company das anwachsende Problem der Verkehrsstaus lösen zu wollen – und zwar indem er Städte untertunnelt und anschließend von autonomen Autos und Taxis befahren lässt. Dadurch wolle er den "Verkehr revolutionieren", sagte Musk 2018 gegenüber CBS. Ein Versprechen, das sich im Pilotprojekt in Las Vegas nicht widerspiegelt. Veröffentlichte Videos zeigen, dass sich in den lediglich drei Stationen bereits Staus bilden.

Kritik nicht gefällig

Auch seine Behauptung, ein "Absolutist der Redefreiheit" zu sein, darf angesichts vergangener Aussagen und Tätigkeiten angezweifelt werden. Während er sich selbst die Freiheit nimmt, alles zu sagen, was ihm in den Sinn kommt, scheint ihm die Kritik anderer Menschen sauer aufzustoßen. Zum Beispiel behauptete er 2018, dass ein britischer Taucher, der eine Gruppe tailändischer Kinder aus einer Höhle befreien wollte, pädophil sei. Er heuerte sogar einen Privatdetektiv an, um Beweise für seine Behauptungen zu finden, war jedoch erfolglos. Das einzige Vergehen des betroffenen Tauchers? Er bezeichnete Musks Idee, die gefangenen Kinder mit einem kleinen U-Boot retten zu wollen, als PR-Stunt.

In der EU wird sich Twitter bald an strengere Regeln halten müssen.

Zieht man aus dieser Vergangenheit Bilanz, scheint es nicht unwahrscheinlich, dass auch Musks Versprechen, einen "Marktplatz der Redefreiheit" zu schaffen, nicht die gewünschte Form annehmen wird. Immerhin würde das Zurückfahren von Moderation höchstwahrscheinlich einen Zuwachs an Desinformation und Hassrede bedeuten – was einen großen Teil der Nutzerinnen und Nutzer abschrecken dürfte.

Profit als Bremse

Man darf außerdem nicht vergessen, dass ein großer Teil der knapp 44 Milliarden US-Dollar für den Twitter-Kauf von Investoren stammen, die vor allem eines wollen: Profit. Will Musk also seine Werbekunden – und somit eine wichtige Einnahmequelle – nicht verlieren, darf die Plattform nicht zum Wildwest-Saloon werden. Tatsächlich wandte sich der neue Eigentümer bereits in einem offenen Brief an die genannten Kunden und erklärte, dass Twitter nicht zu einem "Ort des Grauens" werden dürfe und "warm und einladend für alle" sein müsse.

Seinem Plan, die Inhaltsmoderation auf ein Mindestmaß herunterzusetzen, könnte außerdem die EU einen Strich durch die Rechnung machen. Mit dem Digital Services Act (DSA) hat diese erst kürzlich ein Gesetz zur strengeren Regulierung großer Tech-Konzerne erlassen. Hassrede und illegale Inhalte müssen ab Inkrafttreten strikter moderiert werden, stets unter Androhung hoher Geldstrafen. Musk scheint sich nicht gegen den DSA wehren zu wollen. Am Montag versicherte er der EU-Kommission, sich an die Regeln halten zu wollen. Zuvor schrieb EU-Digitalkommissar Thierry Breton an Musk: "In Europa wird der Vogel nach unseren Regeln fliegen." Der Tesla-Chef scheint zumindest ein Stückchen zurückzurudern. (Mickey Manakas, 1.11.2022)