Die Entdeckung, die der britische Archäologe Howard Carter im Spätherbst des Jahres 1922 machte, ist zum Synonym für einen feuchten Schatzgräbertraum geworden. Der Fund des Grabes Tutanchamuns hat zu einer weltweiten Tutmanie geführt, die nur mit der Ägyptenmanie verglichen werden kann, die Napoleons Ägyptenabenteuer am Anfang des 19. Jahrhunderts ausgelöst hat.

Neben den Pyramiden und dem Sphinx von Gizeh ist es vermutlich das goldene Antlitz des Pharaos der 18. Dynastie, das den meisten Menschen in den Sinn kommt, wenn sie an das alte Ägypten denken. Dabei handelte es sich bei dem vermutlich im Jahr 1323 v. u. Z. jung gestorbenen König um eine eher wenig bedeutsame Figur in der Jahrtausende langen Geschichte des Reiches am Nil.

Die Umgebung des Grabes Tutanchamuns im Tal der Könige: (A) Ramses X., (B) Sethos I., (C) Ramses I., (D) Amenmesse, (E) Ramses III., (F) Teje, die Frau Amenophis' III., (G) Ramses VI., (H) Tutanchamun und (I) Merenptah.
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Tutanchamun war der letzte Pharao aus seiner Familie, die seit mehr als zweihundert Jahren regiert hatten. Das Reich hatte dabei unter Thutmosis III. seine größte Ausdehnung erreicht und beherrschte die Mittelmeerküste bis hinauf nach Syrien. Doch unter Amenophis IV. erfolgte ein Bruch mit der Tradition: der Pharao änderte seinen Namen in Echnaton, ließ die neue Hauptstadt Achetaton aus dem Wüstenboden stampfen, erhob den Sonnengott Aton zum Reichsgott und schwächte die alten Kulte – ein ungeheuerlicher Vorgang.

Unter Tutanchamun, der zunächst Tutanchaton hieß, wurde die Revolution zwar wieder rückabgewickelt. In den überlieferten Königslisten werden die Könige dieser Ära – neben Echnaton und Tutanchamun noch Semenchkare und Eje – dennoch ausgelassen: Sie sollten dem Vergessen anheimfallen.

Howard Carter mit Lord Carnarvon und dessen Tochter Lady Evelyn Herbert vor dem Abgang zum Grab Tutanchamuns.
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Sturer Archäologe

Carters spektakulärer Fund ist das Resultat seiner Beharrlichkeit und seines Starrsinns – ohne diese wäre das Grab vielleicht niemals gefunden worden und Pharao Tutanchamun nicht mehr in die Geschichtsbücher zurückgekehrt. Das Tal der Könige sei umfassend erforscht und alle Gräber seien bereits entdeckt worden, lautete die allgemeine Auffassung.

Doch der Archäologe war überzeugt davon, dass sich das Grab Tutanchamuns wie die Grabstätten der anderen Könige der Dynastie in dem Tal am westlichen Nilufer befinden muss. Schließlich waren hier einige Objekte mit Tutanchamuns Namen gefunden worden, ein eindeutiger Hinweis auf seine Beisetzung.

Howard Carter bei der Freilegung des inneren Sarges.
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Begabter Zeichner

Zur Archäologie brachte Carter seine zeichnerische Begabung schon in jungen Jahren. Er erledigte Aufträge für des British Museum und wurde 1891 als erst 17-Jähriger vom Egypt Exploration Fund nach Ägypten geschickt. Im Jahr darauf half er Flinders Petrie bei Ausgrabungen in der Hauptstadt Echnatons. Dabei lernte er die Grundlagen der Ägyptologie kennen. Bald war er für die ägyptische Altertümerverwaltung tätig.

In dieser Funktion überwachte er ab 1902 die Grabungen des US-amerikanischen Mäzens Theodore Davis im Tal der Könige. Archäologie war vor allem ein teures Hobby für Aristokraten und Unternehmer, und Carter war wie auch andere Ausgräber von Finanziers seiner Forschungskampagnen abhängig. Ab 1907 arbeitete Carter für George Herbert, den 5. Earl of Carnarvon.

Für den Abtransport der Funde wurden Schienen verlegt.
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Lord Carnarvon übernahm 1914 von Davis dessen Lizenz für das Tal der Könige. Der Weltkrieg sorgte für Verzögerungen, und als Carter endlich Grabungen durchführen konnte, waren die Ergebnisse wenig spektakulär. Carnarvon wollte seine finanziellen Mittel zurückziehen, ließ sich von seinem Archäologen jedoch noch zu einer weiteren Grabungssaison 1922/23 überreden. An einer Stelle hatte Carter den Schutt aus dem Tal noch nicht abgraben lassen: Neben dem Eingang des Grabes von Ramses V. und Ramses VI. lag ein kleines Areal, auf dem offenbar der Aushub beim Bau des Grabes deponiert worden war.

Der letzte Versuch

Hier wollte Carter seinen letzten Versuch starten: Am 1. November 1922 begann er die Grabungssaison. Bereits drei Tage später wurde ein Steinquader freigelegt, der sich als oberste Stufe einer Treppe entpuppte. An deren Ende fand sich eine verputzte Kalksteinwand. Carter schlug ein kleines Loch und sah, dass der dahinter liegende Gang mit Gesteinsschutt ausgefüllt war. Er schrieb seinem Finanzier ein Telegramm und ließ die Grube bis zur Ankunft Carnarvons wieder zuschütten. Der Lord erreichte Luxor knapp mehr als zwei Wochen später und der Zugang wurde wieder freigelegt, diesmal komplett. Tutanchamuns Siegel wurde dabei ebenso gefunden wie der ernüchternde Beleg, dass das Grab schon in alten Zeiten zweimal aufgebrochen worden war.

Wunderbare Dinge

Doch schon am 26. November wurde ein weiterer abgemauerter Durchgang am Ende des nach unten führenden Korridors erreicht. Carter legte einen kleinen Durchbruch an, um mit einer Kerze hinter die Wand zu leuchten – die Kerze diente auch als Test auf mögliche giftige Gase. Die Flamme flackerte, als heiße Luft aus dem seit mehr als dreitausend Jahren ungeöffneten Raum strömte. Lord Carnarvon war ungeduldig und fragte Carter, ob er etwas sehen könne. "Ja", erwiderte dieser, "ich sehe wunderbare Dinge". In seinem Buch über die entdeckung schrieb Carter später, zuerst habe er gar nichts sehen können: "Als sich meine Augen an das Licht gewöhnten, tauchten langsam Details des Raums aus dem Nebel auf, seltsame Tiere, Statuen und Gold – überall das Glitzern von Gold".

Lord Carnarvon wirft einen Blick in das Grab.
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Aus dem Plan für die letzte Grabungssaison wurden zehn weitere Jahre, um die mehr als fünftausend einzelnen Objekte aus dem Grab zu bringen und zu konservieren. Carnarvon erlebte die Öffnung des Sarkophages zwei Jahre später nicht mehr, er starb bereits im April 1923, was der sensationsgeilen Öffentlichkeit als Beleg für den "Fluch des Pharao" diente. Grund zum Fluchen hätte Tutanchamun allemal gehabt: Seine mit Harzen und Ölen festgeklebte Mumie wurde von den Ausgräbern in Stücken aus dem Sarg gemeißelt. (Michael Vosatka, 1.11.2022)

Den Entdeckern bot sich ein Chaos aus Grabbeigaben dar.
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Teile eines Streitwagens werden aus dem Grab gebracht.
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Howard Carter beim Zerlegen der Schreine, die den Sarkophag umgeben. Hinter ihm steht der Archäologe Arthur Callender, daneben Carters Assistent Abd Abdel Rassoul.
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Der mittlere der drei Särge Tutanchamuns im Ägyptischen Museum in Kairo.
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Die goldene Maske Tutanchamuns steht ikonisch für die gesamte altägyptische Kunst.
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Die Wände der Grabkammer Tutanchamuns sind dekoriert. Tutanchamun umarmt Osiris, hinter dem Pharao steht der Ka des verstorbenen Königs.
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Tutanchamuns Thronsessel zeigt den Pharao mit seiner Frau Anchesenamun.
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Tutanchamuns Mumie ist die einzige, die im Tal der Könige verblieben ist. Sie liegt in einem klimatisierten Glassarg.
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