Während und nach den Kursen sollen Frauen und Männer in den geförderten Betrieben als Arbeitskräfte eingespannt worden sein – die Verantwortlichen verstehen das als "praxisnahe Einsätze".

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Die Zeilen auf Facebook klangen für die arbeitslose Natalia verlockend. Drei Monate Saisonarbeit in den Alpen, eine kostenlose Serviceausbildung, ein fixer Job, 1.600 Euro Gehalt und Wohnen sowie Essen gratis. Schnell habe sich jedoch Skepsis bei ihr breitgemacht. "Ich war unsicher, ob das wirklich stimmen kann." Doch weil der Krieg in ihrer Heimat ausbrach, habe sie keine Alternative gesehen – und sei mit anderen Frauen in einen Bus gestiegen. Ihr Ziel war das 1.000 Kilometer entfernte Gaschurn – der erste Stopp für in Vorarlberg ankommende Flüchtlinge.

Lösung für Personalknappheit

Nach wenigen Tagen übersiedelte Natalia in ein Hotel in Stuben, unweit des Arlbergs. Während dort in den Wintermonaten betuchte Gäste einkehren, sollte das im Sommer geschlossene "Übungshotel" heuer die neue, vom AMS geförderte Ausbildungsstätte für geflüchtete Frauen wie Natalia sein.

Während Natalia im Frühsommer ihre ersten Gehversuche mit Tabletts machte, warf das Wifi Vorarlberg den Marketingmotor an. Es hatte für die nach Fachpersonal lechzende Tourismusbranche eine perfekte Lösung parat: Tourismuskurse für geflüchtete Ukrainerinnen. Damit ließe sich den Frauen, die aus ihrer Heimat fliehen, eine längerfristige Perspektive geben – ein Job scheint ihnen mit Blick auf die dürftige Personallage sicher. Gleichzeitig wäre dem angeschlagenen Tourismus geholfen. Eine Win-win-Situation.

Allein bis Ende Juli durchliefen 120 Frauen und Männer entweder die zweiwöchigen Housekeeping-Kurse, die vierwöchigen Kochkurse oder die ebenfalls vier Wochen dauernden Servicekurse. "Ein Erfolgsprojekt", wie es Tourismuslandesrat Christian Gantner (ÖVP) Ende Juli bei einem Kurzbesuch nannte. Alle Frauen, so auch Natalia, hätten demnach sofort einen Job gefunden. Doch folgt man den Erzählungen ehemaliger Kursteilnehmerinnen, hatte dieses Erfolgsprojekt Schattenseiten.

AMS-finanzierte Ausbildungen

Mehrere Kursabsolventinnen und Involvierte erheben Vorwürfe gegen die Kursveranstalter, das Wifi Vorarlberg und den Hotelbesitzer und Wirtschaftskammerfunktionär K. Eine Sachverhaltsdarstellung liegt der Staatsanwaltschaft Feldkirch vor. Nach Recherchen des STANDARD unterstellen die Frauen den Verantwortlichen, dass sie während und nach den Kursen im Ausbildungshotel selbst, in der dazugehörenden Hütte, in Chalets und bei einer Putzfirma als Arbeitskräfte – ohne Arbeitsverträge – eingespannt worden seien. Teils hätten sie Monate warten müssen, bis sie überhaupt Geld für getane Arbeit sahen.

Die Vorwürfe beziehen sich auch auf Versprechungen, die den Frauen im Vorfeld gemacht worden seien. Zum Schutz der Betroffenen wurden die Namen geändert.

Was all dem zusätzliche Brisanz verleiht: Es floss viel Steuergeld. Die Kursgebühren übernahm zu 100 Prozent das AMS. Der zweiwöchige Housekeeping-Kurs kostete 2.800 Euro pro Teilnehmerin; der vierwöchige Kurs für Küche und Service sogar 5.400 Euro. Das Geld floss zu 25 Prozent an das Wifi, 75 Prozent erhielt die GmbH von K., in dessen Hotel die Frauen während des Kurses wohnten. Haben sich hier wenige das staatlich geförderte System, das auf die Integration ukrainischer Frauen in den Arbeitsmarkt abzielt, zunutze gemacht – oder es sogar missbraucht?

In Betrieben eingespannt

Natalias Arbeitseinsatz führte sie mit anderen Frauen auf eine Hütte, die Ende Juni eröffnete. Die Hütte gehört ebenfalls Hotelier K. "Uns wurde gesagt, dass wir alles für die Eröffnung vorbereiten sollen", erzählt sie. Die Anweisung sei vom Wifi-Ausbildungsleiter gekommen, ihre Ausbilderin habe das zwar gewusst, diese sei aber nicht vor Ort gewesen. Auch die Frauen vom Housekeeping hätten alles für die Eröffnung geputzt. "Nach dem Kurs erhielt ich das Angebot, auf der Hütte zu bleiben." Als sich Natalia aber dagegen entschied, habe es plötzlich Probleme mit ihren Dokumenten gegeben, so habe man es ihr gesagt. Um auf der Hütte zu arbeiten, stand das aber offenbar nicht im Weg: Eine Woche habe sie ohne Anmeldung gearbeitet, das Geld habe sie erst viel später erhalten.

Ähnliches erzählen andere Betroffene: In den Housekeeping-Kursen sollen Frauen für die Grundreinigung des Hotels, das Reinigen des Wellnessbereichs, des Kellers, der Küche eingesetzt worden sein, um das Hotel für den Winterbetrieb auf Vordermann zu bringen. Selbst ans andere Ende Vorarlbergs habe es Teilnehmer verschlagen: In Dornbirn seien Frauen und Männer ab Kursbeginn täglich bei einer Reinigungsfirma zum Einsatz gekommen. Chatprotokolle stützen diese Schilderungen.

Fünfstündige "praxisnahe Einsätze"

Der Chef der Reinigungsfirma sieht sich auf STANDARD-Nachfrage als "Ausbildungspartner" von K. Zu "praxisnahen Einsätzen" seien Kursteilnehmerinnen für "zwei bis fünf Stunden pro Tag in Abstimmung mit den Kursleitern" gekommen. Nun beschäftige er 30 ukrainische Frauen.

Doch gehen bis zu fünf Stunden Arbeit noch als Ausbildung durch? Wo sind die Grenzen? Zentral sei laut Wifi, dass die "Vermittlung neuer Kenntnisse unter Aufsicht und Anleitung entsprechend qualifizierter Kursleiterinnen" erfolge, heißt es.

Im Fall der Reinigungsfirma berichten Betroffene jedoch, dass sie von Mitarbeitern der Firma eingeschult worden seien. Dass sowohl diese Vorwürfe im Raum stehen und auch über die Kurse hinaus gearbeitet worden sein soll, dabei verweist das Wifi auf die GmbH des "Kooperationspartners". Auf die Frage, ob das Wifi die Qualität der Kurse kontrolliert habe, heißt es, dass keine "Qualitätsdefizite" rückgemeldet wurden.

Eine Frage der Verantwortlichkeit

Doch auch Hotelier K. will nicht in "Kursabläufe und Zeiteinteilung" involviert gewesen sein. Seine Betriebe habe er für "Übungszwecke im Realbetrieb zur Verfügung" gestellt, schreibt seine Anwältin. Warum die Frauen das Hotel grundreinigen mussten? "Es wäre lebensfremd, den Umgang mit Reinigungsmitteln anhand von Powerpoint-Präsentationen zu erlernen und so 'job-readiness' zu erlangen."

Für die Kurse – und das, was danach in seinen Betrieben passierte – sei der externe Wifi-Ausbildungsleiter zuständig gewesen. Doch dieser gibt an, beim Hotel angestellt zu sein – und auf Honorarbasis für das Wifi zu arbeiten. Ihm zufolge seien die "praxisnahen Einsätze" wertvoll gewesen, um die Absolventinnen rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dass die Ausbilder nicht vor Ort waren, sei richtig, räumt B. ein, jedoch sei "genug geschultes Personal" vor Ort gewesen.

Und die Einsätze auf der Hütte? Auch diese hätten geholfen, "jobfit" zu werden. Hier habe es Verzögerungen bei Beschäftigungsbewilligungen gegeben, weswegen die Frauen auf der Hütte gratis hätten übernachten können. Eine Verpflichtung, dort nach Kursende zu arbeiten, habe nicht bestanden, sagt B.

Foto: DER STANDARD

Aus der Ukraine gelockt

Dubios wirken aber auch die Vorgänge rund um die Rekrutierung in der Ukraine. Sowohl das Wifi als auch K. bestreiten, Werbung in Auftrag gegeben zu haben, die den Frauen 1600 Euro und Gratisunterkünfte in Aussicht stellte. Wieso der ukrainische Touristiker M. das gemacht hat? Er habe die Frauen darüber aufgeklärt, dass die Gehälter "zwischen 1300 bis 1600 Euro" variieren können. Auch hätten viele Hotels, an die die Teilnehmer vermittelt wurden, diese gratis darin wohnen lassen. Dass das nicht überall der Fall ist, hätte er am Telefon erwähnt, sagt M. Wie viel und von wem M., der als "Ausbilder" aufscheint, Provision erhielt, wollte er nicht beantworten.

Natalias Skepsis, die sie zu Beginn hatte, gab ihr letztlich recht, sagt sie. Nach ihrem Einsatz in der Hütte sei sie ohne Wohnung dagestanden. Nur mithilfe von Bekannten habe sie letztlich einen neuen Job gefunden – doch dieser endete nach dem Sommer. Jetzt suche sie aus der Ukraine nach einem neuen. (Elisa Tomaselli, 2.11.2022)