Im Gastblog gibt Kurt Tutschek Einblick in ein fotografisches Projekt, das vor über 100 Jahren eine russische Identität stiften sollte.

Der Emir von Bukhara posiert stolz vor Prokudin-Gorskis Kamera. Prächtig ist der Mantel und knallig das Blau. Ein außergewöhnliches Foto, denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts steckt die Farbfotografie noch in den Kinderschuhen.

Der Emir von Bukhara
Foto: Library of Congress | No known restrictions

Sergei Produkin-Gorski war studierter Chemiker und sehr an fotografischen Techniken interessiert. Die von ihm perfektionierte Methode, farbige Bilder zu erzeugen, war indes nicht neu. Bereits 1855 wurde eine ähnliche Vorgehensweise von James Clerk Maxwell vorgestellt. Sie beruht auf der Art und Weise, wie das menschliche Auge Farben interpretiert. Maxwell schlug vor, drei Farbkanäle additiv zu kombinieren. 

Die Technik erfordert Geschick, denn man fertigt drei Belichtungen desselben Motivs an, die jeweils durch einen roten, grünen und blauen Farbfilter aufgenommen werden. Diese drei unterschiedlichen Schwarzweißbilder können nach dem Entwickeln durch drei mit roten, grünen und blauen Farbfiltern versehene Lichtquellen übereinander projiziert und betrachtet werden. Durch die additive Farbmischung entsteht ein buntes Bild.

Das Prinzip der von Dr. Miethe entwickelten Kamera
Foto: Wikimedia User: Accountalive|CC BY-SA 3.0 DE

Maxwell war seiner Zeit voraus, denn die Fotografie und die dazu benötigten Materialien standen um 1860 noch ganz am Anfang. Doch als sich Prokudin-Gorski des Themas annahm, konnte er auf mehrere Jahrzehnte fotografischer Entwicklung zugreifen, reiste 1902 nach Berlin und verbrachte sechs Wochen mit dem Studium der Dreifarbenfotografie bei dem Fotochemie-Professor Adolf Miethe, dem damals fortschrittlichsten Praktiker in Deutschland. Dabei lernte er auch die "Wechselschlittenkamera" kennen, die Miethe entwickelt hatte. All diese Erfahrungen führten zu ersten farbigen fotografischen Arbeiten, die sogleich große Anerkennung fanden. Prokudin-Gorski reiste durch Deutschland, Frankreich und Russland und präsentierte seine Bilder bei Vorträgen und in Publikationen.

Durch ein Farbporträt von Leo Tolstoi, das in verschiedenen Zeitschriften und auf Postkarten zu finden war, wurde auch Zar Nikolaus II. auf Prokudin-Gorski aufmerksam. Eine Einladung, der Zarenfamilie die neuartige Erfindung der Farbfotografie vorzuführen, folgte. Dem Zaren gefiel die Präsentation, und mit seinem Segen erhielt Prokudin-Gorski die Erlaubnis samt notwendiger Finanzierung, das riesige Reich in Farbe zu dokumentieren. Die Aufnahmen sollten dabei nicht nur die Vielfalt der Landschaften und Volksgruppen festhalten, sondern auch eine gemeinsame russische Identität stiften, denn kaum jemand hatte zu dieser Zeit eine Ahnung davon, wie das Leben am anderen Ende des russischen Reichs aussah. Von 1909 bis 1915 entstanden so an die 10.000 Fotos. Prokudin-Gorski betrachtete das Projekt als sein Lebenswerk .

Prokudin-Gorski in Anzug und Hut, am Ufer des Flusses Skuritskhali in der Nähe von Batumi.
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Mädchen mit Beeren
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Bashkirischer Weichensteller
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Gruppe von elf Erwachsenen und Kindern vor einer Jurte.
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Ein Paar aus Dagestan
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Khan des russischen Protektorats von Khorezm (Chiwa)
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Mädchen (Studie)
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Kerker mit Inhaftierten und einem Wachmann mit russischem Gewehr, Zentralasien.
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Griechische Frauen und Kinder bei der Teeernte in Chakvi, Georgien.
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Familie mit Schaufeln und Pferdewagen bei der Arbeit in den Eisenminen. der Bakaly-Hügel
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Erntezeit
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Gruppe jüdischer Kinder mit ihrem Lehrer in Samarkand.
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Frau aus Georgien
Foto: Library of Congress | No known restrictions
Sergei Prokudin-Gorski, ein Beamter und vier Eisenbahner in einer Draisine.
Foto: Library of Congress | No known restrictions

Nach der Oktoberrevolution floh Prokudin-Gorski 1918 nach Frankreich, wo er sich in Paris niederließ und dort 1944 starb. Leider sind nur etwa 2.600 seiner Fotografien erhalten geblieben. Im Jahr 1948 erwarb die Library of Congress den gesamten Bestand. Dank Digitalisierung sind sämtliche Bilder online abrufbar. (Kurt Tutschek, 4.11.2022)

Link:

Weitere Beiträge im Blog