Rechtsanwalt Karl Newole legt im Gastkommentar dar, welche Lehren die Politik aus ihrem Umgang mit dem Terroranschlag ziehen sollte.

Vor genau zwei Jahren hat K. F. in der Wiener Innenstadt vier unschuldige Menschen ermordet – bevor ihn die Polizei erschoss. Die Behörden gehen von einem islamistisch motivierten Terrorakt aus. Zurück blieben dutzende Verletzte, am Körper und an der Seele.

24 Personen habe ich in der Folge über ein Jahr lang vertreten. Um Schadenersatzansprüche gegen die Republik nach dem Amtshaftungsgesetz durchzusetzen. Die Grundlage: Vermutetes Fehlverhalten von Staatsorganen, vor allem im damaligen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und dem Wiener Landesamt Verfassungsschutz (LVT), im Vorfeld der Terrorismusabwehr. Bereits kurz nach dem Anschlag forderte ich, einen Opferfonds zu dotieren. Die im Schnitt 2000 Euro aus dem Verbrechensopfergesetz waren unakzeptabel wenig. Nach langen Verhandlungen und medialem Druck wurde nach einem Jahr dieser Forderung entsprochen. Meine sieben Lektionen aus den Vorkommnissen:

Am 2. November 2020 tötete ein Attentäter in der Wiener Innenstadt vier Menschen und verletzte 23 weitere teils schwer. Mutmaßliche Unterstützer des Mannes stehen derzeit vor Gericht.
Foto: Matthias Cremer
  1. Die Regierung muss in solchen Fällen Empathie zeigen. Die Opfer waren nicht gezielt ausgewählte Individuen, sondern stehen stellvertretend für unseren Staat, unsere Gesellschaft, unsere Werte. Deshalb sind auch die obersten Staatsrepräsentanten, stellvertretend für uns alle, aufgefordert, ihnen sichtbar zur Seite zu stehen. Die wahren Leidtragenden nur in den üblichen österreichischen Antragsformular-Papierkrieg zu schicken, war beschämend.

  2. Der landestypische Föderalismus taugt nur für Schönwetterperioden. Wenn es um Leib und Leben geht, Terrorismusabwehr, auch die Pandemiebekämpfung oder in Zukunft vielleicht Klimakatastrophen, ist dieses Modell nicht praktikabel. Da braucht es effiziente Strukturen. Gewaltenteilung ist zwar wichtig, aber in diesen Themenfeldern ist reibungslose Gewaltenzusammenführung noch wichtiger.

  3. Für die Zukunft wären klare gesetzliche Regelungen zu treffen, nach denen Terrorismusopfern finanzielle Unterstützung gewährt werden kann. Sie könnten dabei als eine Sonderart "Opfer ziviler Kriegsführung" angesehen werden – weil sie als Teil unserer Gesellschaft zum Handkuss kommen und Sonderbestimmungen daher gerechtfertigt wären.

  4. Ich habe immer auf eine außergerichtliche Einigung mit der Republik gesetzt, vor Gericht sah ich kaum Chancen. In der Tat endeten zwei Gerichtsverfahren anderer negativ. Ansprüche wurden mit dem Argument abgeschmettert, dass der behördliche Schutz der Allgemeinheit vor Terrorismusakten nicht auch den Einzelnen schützt. Mit anderen Worten: Wenn es alle trifft, ist niemand berechtigt.
    In den Urteilstexten liest sich das so: "Der Einzelne hat kein subjektives öffentliches Recht auf gesetzmäßiges Verwaltungshandeln. Dass eine Amtshandlung, die dem öffentlichen Interesse dient, mittelbar auch die Interessen eines Dritten berührt, lässt noch nicht auf das Vorliegen einer Amtspflicht gerade diesem gegenüber schließen." Der Gesetzgeber, allenfalls auch die Judikatur, müsste sich überlegen, ob dieser Ansatz, der de facto systemisch-verantwortungsloses Staatshandeln haftungsfrei stellt, wirklich sinnvoll ist. Die Frage rüttelt am Konzept des "Gewaltmonopols des Staates". Wenn eine Verletzung der darin begründeten staatlichen Schutzpflicht strukturell nicht einmal mehr gerichtlich überprüft und damit sanktionslos bleiben kann, stellt sich bald die Frage, was sie noch wert ist.

  5. Ganz schlecht steht es mit der Transparenz behördlichen Verhaltens. Zwar war die Initiative, eine Untersuchung – den "Zerbes-Bericht" – in Auftrag zu geben, goldrichtig. Die Handhabung der Auskunftspflicht gegenüber direkt Betroffenen lässt jedoch stark zu wünschen übrig. Abblocken, statt offen auf die Leute zuzugehen, war der Anschein. Fehlerkultur? Fehlanzeige! Und das Informationsfreiheitsgesetz lässt weiter auf sich warten.

  6. Generell zeigt sich: Je mehr Bürger "mündig" werden, ihre Ansprüche, auch gegen den Staat, durchzusetzen, desto mehr trachtet dieser Staat, sich in eine haftungsfreie Zone zurückzuziehen. Am Beispiel des Terroranschlags: Zivilrechtlich gibt es, wie dargelegt, keine Haftung. Strafrechtlich schützen die hohen Hürden des Amtsmissbrauchs, da kein Beamter mit dem dafür erforderlichen speziellen Vorsatz handelt. Ergebnis: Die Bürger untereinander trifft für ihre Handlungen die volle Verantwortlichkeit. Gleichzeitig immunisiert sich der Staat gegenüber den Bürgern. Mögliche Abhilfe: Auch das Delikt des Amtsmissbrauchs müsste als Fahrlässigkeits- und reguläres Vorsatzdelikt ausgestaltet werden.

  7. Und schließlich hängt alles mit allem zusammen. Solange Postenbesetzungen und Beförderungen großflächig nicht nach Fähigkeiten, sondern nach Parteiloyalitäten oder Korruptionslogiken erfolgen, sitzen die falschen Leute in wichtigen Positionen. Die Konsequenzen werden immer sichtbarer: Fachliches Können und Integrität sind Mangelware. Ändern können das nur strengere Antikorruptionsgesetze, die Arbeit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und wir Wähler.

Und was sagen die Opfer? "Vom damaligen Innenminister sind wir enttäuscht. Von der Justiz erwarten wir jetzt, dass sie sauber arbeitet. Schuldige bestraft, Unschuldige freispricht." Große Worte, gelassen ausgesprochen. (Karl Newole, 2.11.2022)