Auch am Dienstag konnten Wanderer über dem Marmarameer Schiffe bei der Durchfahrt durch den Bosporus beobachten.

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Gute Nachrichten zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gab es bisher nur äußerst sporadisch. Eine davon war zweifellos die Verkündung des im Juli unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen geschlossenen Abkommens zum Export von Getreide über das Schwarze Meer. Umso heftiger fiel dann Ende vergangener Woche die Kritik aus, als Russland dieses Getreideabkommen plötzlich aussetzte.

Als Grund für den Schritt hatte Moskau angegeben, die Ukraine habe die humanitären Schiffskorridore missbraucht und diese auch als Basis für Drohnenangriffe gegen die russische Schwarzmeerflotte verwendet. Kiew wies den Vorwurf zurück, doch die für viele Teile der Welt essenziellen Getreideexporte hingen mit einem Mal wieder am seidenen Faden.

Bei den Vereinten Nationen war man um Schadensbegrenzung bemüht: "Unser Verständnis ist, dass Initiative und Verpflichtungen auch während der Aussetzung der Teilnahme Russlands in Kraft bleiben", sagte UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Montag bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Bereits am selben Tag seien zwölf Schiffe aus ukrainischen Häfen ausgelaufen. Zwei weitere steuerten demnach in umgekehrter Richtung die Ukraine an, um dort Lebensmittel zu laden.

"Kaum umsetzbar"

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, sein Land wolle den Getreideexport über das Schwarze Meer trotz der russischen Aussetzung des Abkommens fortsetzen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hingegen ließ wissen, das Abkommen sei ohne Russland "kaum umsetzbar" und werde "naturgemäß immer riskanter". Russland, so die Moskauer Lesart, könne eine sichere Schifffahrt eventuell nicht gewährleisten. Am Dienstag haben nach UN-Angaben dann weitere Getreidefrachter ukrainische Häfen verlassen, für Mittwoch seien jedoch keine weiteren Transporte geplant.

Nach Angaben Ankaras war das Getreideabkommen am Dienstag auch Thema eines Telefonats zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Demnach habe sich Erdoğan optimistisch gezeigt, dass eine Lösung im Streit um das Abkommen gefunden werden kann.

In der Ukraine selbst haben am Dienstag die russischen Besatzungsbehörden angesichts der ukrainischen Offensive zur Rückeroberung von Cherson die Evakuierung von bis zu 70.000 weiteren Menschen angekündigt. Bereits vorige Woche hatte Moskau mitgeteilt, 70.000 Menschen hätten das Westufer des Dnipro verlassen, die ukrainische Seite sprach von Deportationen durch die russischen Besatzer.

Aufregung um Strache

In Kiew und sechs weiteren Regionen kam es infolge russischer Luftangriffe auf die Energieinfrastruktur weiterhin zu Einschränkungen bei der Strom- und Wasserversorgung. Kiews Bürgermeister Witali Klitschko erklärte am Dienstagvormittag, diese sei in der Hauptstadt großteils wiederhergestellt. Trotzdem komme es nach den "barbarischen Angriffen des Aggressors" weiterhin zu Ausfällen.

Abschaltungen sollen es nach ukrainischen Angaben auch ermöglichen, die beschädigten Anlagen zu reparieren und diese wieder ans Netz anzuschließen.

In Österreich gab es unterdessen Aufregung rund um eine "Ukraine-Konferenz", an der laut Informationen des STANDARD der ehemalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bastelt. Diese soll am 12. Dezember in den Wiener Sophiensälen über die Bühne gehen. Unter anderem soll dabei die Frage diskutiert werden, ob es sich bei den Kämpfen in der Ukraine überhaupt um einen Angriffskrieg Russlands handle.

Geladen seien unter anderem FPÖ-Urgestein Andreas Mölzer, zwei Abgeordnete der Alternative für Deutschland (AfD) und ein Politiker der belgischen Rechts-außen-Partei Vlaams Belang. Olexander Scherba, der ehemalige ukrainische Botschafter in Wien, der ebenfalls eingeladen wurde, sagte umgehend ab. "Wenn jemand im neunten Monat dieses barbarischen Krieges nicht versteht, ob das ein Angriffskrieg ist, dann hat dieser jemand entweder keinen Verstand oder keine Seele", erklärte Scherba. (Gerald Schubert, 1.11.2022)