Philipp Schild, Programmgeschäftsführer von Funk.

Foto: Imago/Stefan F. Sämmer

Wien/Berlin – Was dem ORF gesetzlich verwehrt ist, setzt Funk munter um: Online-only-Angebote. Das 2016 gestartete Content-Netzwerk von ARD und ZDF spricht mit Erfolg 14- bis 29-Jährige an. Ein "totaler Gamechanger" für die Ansprache junger Zielgruppen sei es, Inhalte zielgruppenkonform für Social Media zu entwickeln, sagte Funk-Programmgeschäftsführer Philipp Schild im Gespräch. Auch Interaktivität sei wichtig, um jüngere Personen mit öffentlich-rechtlichen Inhalten zu erreichen.

86 Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland kennen einer im Mai veröffentlichten Onlinebefragung zufolge funk oder mindestens ein Funk-Format. 76 Prozent kamen mit Inhalten in Kontakt. "Junge Zielgruppen sind alles andere als verloren oder uninteressiert an gesellschaftlichen Werten und Zusammenhalt. Sie sind auch nicht unerreichbar für öffentlich-rechtliche Medienhäuser. Wir genießen in weiten Teilen unserer Zielgruppe großes Vertrauen", sagte Schild. Zurückzuführen ist das etwa auf die gesetzlich vorgeschriebene Interaktivität. "Wir entwickeln 'Funk' gemeinsam mit unseren Zielgruppen weiter." Das werde mittlerweile auch erwartet. "Funk lebt auch dadurch, dass Menschen in den Communitys zum Ausdruck bringen, was ihre Bedürfnisse sind. Dafür haben wir sehr niederschwellige Zugänge geschaffen", erklärte Schild, der seit November 2020 die Programmgeschäftsführung inne hat.

Werbefreie Inhalte

Die werbefreien Inhalte von Funk entstehen in den Redaktionen von ARD und ZDF sowie in Zusammenarbeit mit Produzenten, Newcomern und etablierten Köpfen der Webvideoszene. Über den deutschen Rundfunkbeitrag hat Funk 2022 rund 45 Millionen Euro zur Verfügung. Geboten bekommt man dafür etwa "Duschgedanken" von Levi Steudler, der über Probleme spricht, die viele junge Menschen beschäftigen. Im "Kreuzverhör" stellen sich Politikerinnen und Politiker Fragen, deren Antworten unter 30-Jährige interessieren sollen. Auch "maiLab" von Mai Thi Nguyen-Kim, die Wissenschaft verständlich aufbereitet und auf Youtube mehr als eine Million Abonnenten zählt, wird von funk produziert. Ein TikTok-Schwerpunkt klärt über dort grassierende gefährliche Challenges auf der chinesischen Plattform auf.

Funk ist mit seinen Formaten nicht nur auf funk.net und in den Mediatheken von ARD und ZDF zu finden. Viele Klicks generiert das Netzwerk auch durch Präsenz auf Youtube, Instagram, TikTok und Co. "Die Möglichkeit, Inhalte zielgruppenkonform für Social Media zu entwickeln, ist ein totaler Gamechanger – und könnte es auch für den ORF sein. Junge Personen haben die Vorteile von Social Media kennengelernt und werden sich von diesen Plattformen nicht mehr abwenden. Es stellt sich die Frage, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk junge Zielgruppen erreichen soll, wenn man nicht genau auf sie zugeschnittene Angebote distribuieren darf", meinte Schild mit Blick auf die Situation in Österreich. Hierzulande darf der ORF keine Online-Only- sowie Online-First-Angebote bereitstellen und fordert deshalb seit langem eine Novelle des ORF-Gesetzes, um speziell bei Jüngeren reüssieren zu können.

Im gesamten deutschsprachigen Raum genutzt

Funk wird laut Schild im gesamten deutschsprachigen Raum genutzt. "Daraus kann man ableiten, dass ein vergleichbares Angebot aufgrund von fehlenden gesetzlichen Grundlagen für junge Zielgruppen in Österreich fehlt." Im linearen Fernseh- oder Radioprogramm würde funk nicht funktionieren. "Wir würden es nicht schaffen, die Interaktion mit den Zielgruppen zu gewährleisten. Das ist aber eine Grundvoraussetzung", sagte der Mittvierziger.

Personen im unteren Bereich des Zielgruppenspektrums zu erreichen, ist für Funk eine ständige Herausforderung. "Teilweise sind unsere Zielgruppen mit den Formaten mitgealtert und wachsen langsam aus der 'Funk'-Zielgruppe heraus", so Schild. Die Chance bestehe, diese Marken bei Fernsehsendern oder in Mediatheken außerhalb von funk weiterzuführen. "Dadurch werden bei uns Ressourcen frei, neue Zielgruppen zu erschließen", erklärte der Programmchef und betonte, auf starke Formatmarken zu setzen, die "sehr spezifisch einen Teil der Zielgruppe ansprechen".

KI-basiertes Analysetool

Um zu erkennen, wie diverse Beiträge ankommen, setzt Funk u.a. auf ein KI-basiertes Analysetool, das Stimmungen in den Kommentaren maschinell erkennt. "Unsere Vorhersagegenauigkeit, ob ein Kommentar positiv, negativ oder neutral ist, liegt bei rund 90 Prozent", so Schild. Nützlich sei das etwa, um Shitstorms frühzeitig zu erkennen oder auch festzustellen, welche Themen für das junge Zielpublikum relevant ist. Auch Algorithmen steht der ausgebildete Videojournalist offen gegenüber. "Dürfen wir so arrogant sein und sagen, das, was die Leute wollen, interessiert uns nicht und Algorithmen sind böse? Ich glaube nein. Wenn man Algorithmen gut versteht, dann bieten sie auch Chancen. Wir sind in der Lage, Plattformmechaniken zu nutzen und eine User-Reise zu gestalten. Im Vorjahr kam es rund 1,6 Millionen Mal vor, dass ausgehend von Videos, die im Unterhaltungssegment angesiedelt sind, eine Verlinkung zu einem Informations- oder Orientierungsangebot angeklickt wurde."

Prinzipiell befinde man sich in einem stark in Bewegung befindlichen Umfeld. "Meine Überzeugung ist: Man muss sich permanent neu erfinden. Auch bei 'Funk' wissen wir nicht, wie unser Laden in vier Jahren aussehen wird, weil wir nicht wissen, ob dann schon die nächste revolutionäre Social-Media-Plattform existiert, die das Mediennutzungsverhalten der jüngsten Zielgruppe auf den Kopf stellt." Auch wenn sich das Content-Netzwerk nach sechs Jahren mittlerweile nicht mehr in den Kinderschuhen befinde, stellte Schild fest: "'Funk' ist niemals fertig." (APA, 2.11.2022)