Langzeitpremier Netanjahu kommt wohl zurück.

Foto: REUTERS/Ammar Awad

Mit drastischen Worten hatten liberale Kräfte in Israel davor gewarnt, was nun Sache ist: ein dramatischer Rechtsruck im israelischen Parlament. "Die nächste Regierung könnte Artikel wie diese verbieten", so der etwas alarmistische Titel eines Kommentars in der linksliberalen israelischen Tageszeitung "Haaretz" vor der Wahl, der nur ein Beispiel von vielen Versuchen des Wachrüttelns war. Die Botschaft war immer dieselbe: Wenn Benjamin Netanjahu diesmal an die Macht komme, dann wäre das nicht nur eine Amtszeit mehr. Diese Netanjahu-Regierung wäre eine andere als jene zuvor. Es wäre eine Regierung, die am demokratischen Gefüge Israels sägt.

Netanjahu hat die rechtsextreme Partei "Religiöse Zionisten" salonfähig gemacht, nun möchte er sie in die Regierung holen. Gemeinsam wollen sie die Justiz unter Regierungskontrolle bringen. Während es dem angeklagten Netanjahu nur darum geht, seinen Kopf aus der Schlinge der Strafjustiz zu ziehen, gehen die politischen Fantasien der Rechtsextremen weit darüber hinaus. Im Zentrum ihres Programms steht das Schaffen einer jüdischen Vorherrschaft, nicht nur in Israel, sondern auch in den Palästinensergebieten. "Unloyale" Araber sollen ausgebürgert und deportiert werden. Linke Israelis werden als Staatsfeinde gesehen, Homosexuelle und queere Personen als krank diffamiert.

Die Stärke der Rechten ist auch eine Schwäche der Linken. Während der Rechtsblock mit der Angst vor Terror auf Stimmenfang ging – die aktuelle Terrorwelle spielte ihm dabei in die Hände –, warnten die Linken vor dem Ende der Demokratie. Vielen Wählern war das wohl zu abstrakt, um sich ein fünftes Mal in vier Jahren zum Wahllokal zu begeben. Ihre eigene Sicherheit im Hier und Jetzt ist den Menschen näher als der drohende Verlust einer Freiheit, an die sie sich längst gewöhnt haben.

Rechter Quotenbringer

Der Sieg der israelischen Rechten ist aber auch ein Sieg der Algorithmen. Niemand beherrscht das Spiel mit Angstlust und Empörung so gut wie der rechtsextreme Itamar Ben Gvir. Seine Posts werden von Fans wie Gegnern geteilt. In TV-Studios ist er gerngesehener Quotenbringer, kein Kandidat wurde so oft interviewt wie er. Für jene Wahlwerber, die nicht nur mit verbalen Muskelspielen beeindrucken, sondern tatsächlich politisch gestalten wollen, ist es schwer, hier mitzuhalten und ihren Botschaften Gehör zu verschaffen.

Eine israelische Politologin warnte am Tag nach der Wahl vor der "Tyrannei der Mehrheit". Sie meinte damit die jüdische Mehrheit Israels. Fest steht, dass die israelischen Araber die Ersten sein werden, die unter dem Rechtsruck leiden. Am Ende leiden aber alle. Schon jetzt geht ein tiefer Spalt durch die jüdische Bevölkerungsmehrheit Israels. Mit jener Regierung, die nun an die Macht kommen könnte, könnte er sich weiter vertiefen. (Maria Sterkl, 2.11.2022)