Keine Angst! Ursprünglich schuf Cao Fei ihre Figur "China Tracy" als digitales Alter Ego, das über die von der Medienkünstlerin geschaffene Welt "RMB City" wacht. Nun tut sie das auch an der Wiener Staatsoper.
Foto: museum in progress

Ein bleiches Gesicht blickt dem Wiener Opernpublikum künftig entgegen. Weiße Haarsträhnen hängen dem Wesen ins Gesicht, Ketten und Bänder schmücken seine außergewöhnliche Frisur. Der Blick ist leer und scheint zugleich zur Decke gerichtet – oder doch in den Orchestergraben oder gar auf einen selbst? Manche Opernbesucher werden sich bei dem Anblick bestimmt schrecken, aber keine Sorge! Die Künstlerin Cao Fei entsandte ihre "China Tracy" als Engel an die Staatsoper am Ring, wo sie den eisernen Vorhang für die neue Saison schmücken wird.

Zum 25. Mal verwandelt sich die 176 Quadratmeter große Brandschutzwand in ein monumentales Kunstwerk, das in Kooperation mit Museum in Progress verwirklicht wird. Seit 1998 wird jedes Jahr eine temporäre zeitgenössische Arbeit ausgewählt, um jenes des wegen seines Engagements während der NS-Zeit umstrittenen Rudolf Eisenmenger zu überdecken. In der Vergangenheit wurden bereits Künstlerinnen wie Maria Lassnig, Jeff Koons, John Baldessari, Martha Jungwirth und zuletzt Beatriz Milhazes dafür eingeladen.

Göttin, Avatar und Schutzwesen

Dass die diesjährige Wahl der Jury, die aus Daniel Birnbaum, Bice Curiger und Hans-Ulrich Obrist besteht, auf die renommierte Medienkünstlerin aus Guangzhou fiel, leuchtet aus mehreren Gründen ein: Nicht nur wurde somit die erste Position aus China ausgesucht, sondern auch ein Werk, das einer virtuellen Welt entspringt. The New Angel ist ein Avatar, der quasi als digitale Göttin und Alter Ego der Künstlerin über die von ihr geschaffene Welt "RMB City" wacht. Nun wird sie das bis Juni 2023 auch am Wiener Opernhaus tun.

Cao Fei gilt als wichtige Stimme digitaler Kunst, die sich früh mit neuen Medien beschäftigte. Die 44-Jährige stellt ihre multimedialen Arbeiten, Videos und Fotos an internationalen Häusern wie dem Centre Pompidou in Paris und dem New Yorker MoMA PS1 aus. Und war auf der Venedig-Biennale sowie hierzulande in der Wiener Secession zu sehen.

In ihren gesellschaftskritischen Werken bezieht sich die in Peking lebende Künstlerin oft auf reale, soziale Phänomene, die sie mit popkultureller Ästhetik und surrealen Elementen vermengt. Meist reflektiert sie darin den rasanten Wandel der chinesischen Gesellschaft. Zur Eröffnung nach Wien konnte Cao Fei wegen der strengen Corona-Politik Chinas leider nicht anreisen. Ihre digitale Hülle vertritt sie. (Katharina Rustler, 2.11.2022)