Die Helden der Banlieue: "Athena" heroisiert den Straßenkampf gegen die Polizei.

Foto: Netflix

Dass gewaltsame Ausschreitungen mitunter auf Social Media organisiert und angekündigt werden, ist nicht neu: Man kennt dergleichen von Hooligans und Extremistendemos oder aus vergangenem Sommer, als sich junge Männer mit nordafrikanischem Migrationshintergrund in italienischen Badeorten zu Flashmobs, die sie selbst "Afrika-Partys" nannten, trafen, massenhaft Frauen begrapschten und randalierten.

Dass Ähnliches nun zu Halloween in Linz mit dem Verweis auf einen Film passiert sein soll, der eigentlich dem Arthouse-Bereich zugerechnet wird, ist dann aber doch neu: "Morgen wird Linz zu Athena" wurde im Vorfeld in Videos auf der bei Jugendlichen besonders beliebten Plattform Tiktok angekündigt. Darunter tauschten sich in Kommentaren junge Männer über die Beschaffung von Feuerwerkskörpern wie Böllern aus – im Ton weniger zornig als eher belustigt.

Arthouse für die Straße?

Der Film "Athena", auf den angespielt wird, wurde für Netflix produziert, wo er seit September zu sehen ist. Im August wurde er bei den Filmfestspielen von Venedig mit Preisen bedacht. Es geht darin um die in einer französischen Banlieue lebenden Brüder Karim, Abdel und Moktar, die für den ungeklärten Tod ihres vierten Bruders Idir die Polizei verantwortlich machen. Nicht alle der Brüder schwören auf Rache, Moktar etwa möchte lieber unbehelligt seinen Drogengeschäften nachgehen. Doch als ein Mob um Karim die Polizeistation überfällt und dabei Waffen erbeutet, wird in der Banlieue ein Aufstand angezettelt. Die Polizei versucht, den Unruhen ein Ende zu bereiten, gewinnt aber nur verlustreich die Oberhand.

Netflix

Der französische Regisseur Romain Gavras, Sohn des Filmemachers Constantin Costa-Gavras, war bislang vor allem für seine Musikvideos für M.I.A. oder Jay-Z bekannt. Gerne spielt er mit Versatzstücken von Massenaufmärschen und Protesten. Gavras wurde schon bei früheren Filmen Gewaltverherrlichung vorgeworfen, für "Athena" kann man das nur bedingt ins Feld führen. Die Brutalität, mit der im Film aufeinander eingeprügelt wird, ist ungeschönt, roh und naturalistisch, eigentlich mehr abschreckend als inspirierend.

Der Film erklärt auch nur andeutungsweise und diffus, woher genau die Wut der jungen Männer kommt und bewegt sich wohl gerade deswegen nahe am Realen: Einmal führen die "Aufständischen" im Revolutionsstil eine Tricolore mit sich, ein andermal scheint es bloß um pubertäres Dampfablassen zu gehen. Gründe, so scheint es, gibt es viele.

Problem der Heroisierung

Das Problem, warum "Athena" dennoch für Vorkommnisse wie in Linz inspirierend wirken kann, liegt in seiner Tendenz zur Heroisierung. Wie schon der Titel verrät, will der Film eine Art griechische Tragödie in der vorstädtischen Banlieu inszenieren: Niemand ist hier nur böse, niemand nur gut, aber allesamt in der Entladung ihrer männlichen Energien irgendwie heroisch. Wenn Molotow-Cocktails auf verängstigte Polizisten fliegen und Feuerwerksraketen wie Artilleriegeschütze abgefeuert werden, wird ästhetisiert, was das Zeug hält: Zeitlupen, dramatische Musik, bedeutungsschwere Blicke, all das muss sein, all das steckt Gavras auch in seine Musikvideos.

Dass der Film am Ende andeutet, dass gar nicht die Polizei, sondern Rechtsextreme hinter dem Tod des Bruders Idir stecken, geht oberflächlich betrachtet im Trubel völlig unter. Letztlich zeigt der Fall Linz, wie Netflix‘ ästhetische Erfolgsstrategie, genuine Arthouse-Themen wie die sozialen Brennpunkte der Banlieues mit populärem Actionkino zu verschmelzen, auch nach hinten losgehen kann. (Stefan Weiss, 2.11.2022)