Diese Plakat fand sich entlang der Route einer Corona-Demonstration in Wien.

Foto: Markus Sulzbacher

Nachdem die Zahl antisemitischer Vorfälle in Österreich im vergangenen Jahr richtiggehend explodiert ist, ging die Zahl der gemeldeten Übergriffe im ersten Halbjahr 2022 zurück. Trotzdem gab es durchschnittlich mindestens zwei Vorfälle pro Tag.

Vom 1. Jänner bis 30. Juni 2022 wurden der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) 381 antisemitische Vorfälle gemeldet – 32 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahrs (562). Insgesamt wurden 2021 965 antisemitische Vorfälle gemeldet.

Angriffe auf Kinder

IKG-Präsident Oskar Deutsch: "Der Rückgang der Gesamtzahl gemeldeter Vorfälle ist erfreulich. Bei näherer Betrachtung zeigen sich aber besondere Probleme, denn die Zahl der Bedrohungen und physischen Übergriffe ist weiter auf dem hohen Vorjahresniveau." Besonders oft kommt es zu verbalen und physischen Übergriffen gegen als jüdisch erkennbare Kinder und Jugendliche. Im ersten Halbjahr 2022 wurden dabei sieben Angriffe und zwölf Bedrohungen gemeldet.

"Judensterne" bei Corona-Demonstrationen

Nach dem extrem hohen Wert im letzten Jahr, der vor allem auf die Mobilisierung im Corona-Leugner- und im rechtsextremen Milieu sowie durch antisemitische Akteure rund um Raketenangriffe auf Israel zurückzuführen ist, konnte in den Kategorien "verletzendes Verhalten" (219 Fälle) und "Massenzuschriften" (82 Fälle) eine Trendumkehr erreicht werden, heißt es seitens der Meldestelle dazu. Dies ist vor allem durch das "verschärfte Vorgehen des Rechtsstaates gegen Shoah-Relativierung sowie durch einen milderen Corona-Pandemieverlauf" zu begründen, schreibt die Meldestelle. So führte das Tragen von Judensternen bei Corona-Demonstrationen zu Anzeigen und Verurteilungen nach dem NS-Verbotsgesetz.

Schon bei den ersten Kundgebungen in Wien waren gelbe "Judensterne" mit der Aufschrift "ungeimpft" in Anlehnung an die Zeit des Nationalsozialismus zu sehen. Andere trugen Zeichnungen oder Plakate mit der Aufschrift "Impfen macht frei", eine Abwandlung des Spruchs, der durch seine Verwendung als Inschrift an den Toren zu den nationalsozialistischen Vernichtungslagern bekannt ist. Das Tragen eines Judensterns ist der bewusste Versuch, dieses einprägsame Symbol der Judenverfolgung, an deren Ende die Massenvernichtung stand, zu instrumentalisieren und die Schrecken der Shoah zu relativieren, entsprechende Hemmschwellen sowie jahrzehntelange Aufklärungs- und Geschichtsbildungsarbeit zu torpedieren.

Rechtsextremer Antisemitismus überwiegt

Der Antisemitismusbericht ordnet die Mehrzahl der Übergriffe auf Juden und Jüdinnen im ersten Halbjahr 2022 auch ideologisch zu. Demnach hatten die meisten Vorfälle (201) einen rechtsextremen Hintergrund, gefolgt von linken (81) und muslimischen (34) Motiven. Bei 65 Vorfällen war keine Zuordnung möglich. (Markus Sulzbacher, 3.11.2022)