Der Impfstatus ist ideologisch aufgeladen. Sachliche Informationen helfen in der Impfdiskussion deshalb kaum.
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Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Sache klar: Eine hohe Durchimpfungsrate schützt vulnerable Gruppen und entlastet Gesundheitspersonal, nicht nur bei Corona. Aber aus gesellschaftspolitischer Sicht tun sich Gräben auf: Große Teile der Bevölkerung sind skeptisch, was Impfungen angeht – nicht nur in Österreich. Warum ist das so?

Wie sich die Polarisierung zwischen Geimpften und Ungeimpften entwickelt, hat sich nun ein Team von Forschenden unter Beteiligung der Universität Wien genauer angesehen – und eine wohl von vielen bereits gefühlte Hypothese bestätigt. Im Gespräch mit Menschen, die gegen die Impfung sind, kommt man mit Fakten nicht weit, werden viele wissen. Das zeigen auch die Ergebnisse der Studie: Die ideologische Aufladung erschwert das Durchdringen von Information, sprich: Der Impfstatus wird zur Ideologie – und dagegen helfen sachliche Informationen kaum noch.

Für die im Fachjournal "Nature Human Behaviour" publizierte Studie wurden seit Dezember 2021 Personen in Deutschland und Österreich mehrfach interviewt. 3.367 von ihnen waren gegen Covid-19 geimpft, 2.038 Personen waren ungeimpft. Dass so viele Ungeimpfte an der Studie teilnahmen, unterscheidet die Arbeit von anderen wissenschaftlichen Untersuchungen. Bisher war es kaum gelungen, so viele ungeimpfte Menschen für wissenschaftliche Befragungen zu gewinnen – wenngleich der Datensatz nicht repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ist.

Identifikation wichtiger als Information

Für die Aussagekraft der Ergebnisse tut das aber nichts zur Sache. "Wir konnten zeigen, dass der Identifikation mit dem eigenen Impfstatus eine entscheidende Rolle in der Polarisierung zukommt", sagt Luca Henkel, die an der Universität Bonn forscht. Oder anders ausgedrückt: Je mehr sich Personen damit identifizierten, geimpft oder ungeimpft zu sein, desto intensiver ist die Polarisierung.

Es zeigte sich außerdem, dass Menschen, die gegen Impfungen sind, die Debatte um das Impfen als deutlich unfairer empfinden und sich ausgegrenzt fühlen. Dabei spielte die Identifikation mit dem eigenen Impfstatus eine entscheidende Rolle: Wer stolz darauf war, geimpft oder ungeimpft zu sein, war deutlich diskriminierender zur anderen Gruppe, wie die Forschenden zeigen konnten. Das wurde im Zuge der Studie auch in einem Experiment untersucht, wie der Psychologe Robert Böhm von der Universität Wien erklärt: "Die Teilnehmenden konnten 100 Euro zwischen sich und einer anderen Person aufteilen. Sowohl Geimpfte als auch Ungeimpfte haben Personen mit anderem Impfstatus benachteiligt, und zwar umso stärker, je mehr man sich mit dem Impfstatus identifizierte."

Maßnahmen je nach Impfstatus unterschiedlich bewertet

Auch die Akzeptanz von Maßnahmen wie einer Impfpflicht hängt stark mit dem Stolz auf den eigenen Impfstatus zusammen, berichtet das Forschungsteam. Geimpfte Personen etwa befürworteten eine Impfpflicht – und zwar vehementer, wenn ihnen ihr Status als "geimpft" wichtig war. "Wer allerdings ungeimpft war und sich damit besonders stark identifizierte, lehnte die Impfpflicht besonders heftig ab", so Cornelia Betsch von der Universität Erfurt und dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin.

Insgesamt zeige sich in der Untersuchung, wie eine persönliche Entscheidung zu einem wichtigen Teil des Selbstkonzepts werden kann und "dem Impfstatus ein Wert an sich zugeschrieben wird", so die Wissenschafter und Wissenschafterinnen.

Wertschätzung statt Informationskampagnen

"In der Vergangenheit wurde oft versucht, bestimmte Einstellungen zur Impfung zu verändern", sagt Philipp Sprengholz von der Universität Erfurt. "Durch niedrigschwellige Angebote oder gezielte Risikoaufklärung sollten Ungeimpfte von den Vorteilen einer Impfung überzeugt werden." Dabei sei allerdings kaum beachtet worden, dass eine starke Identifikation mit dem eigenen 'Ungeimpftsein' dazu führen kann, dass dem Impfstatus ein Wert an sich zugeschrieben wird. Als Konsequenz könnten ungeimpfte Personen durch klassische Informationsformate kaum erreicht werden. Bei Kampagnen sollte dementsprechend emotionale Argumentation vermieden und stattdessen die Impfung als einfache Maßnahme zur Senkung des Risikos betont werden.

Die Forschenden plädieren dafür, die Polarisierung zwischen den Gruppen zu verringern. Ein wertschätzender Umgang – insbesondere auch durch Personen des öffentlichen Lebens – könne dazu beitragen, dass Impfen wieder zu einer Gesundheitsentscheidung statt einer ideologischen Wertentscheidung wird. (Reinhard Kleindl, Magdalena Pötsch, 3.11.2022)