Mehr als die Hälfte aller zur Teuerung befragten Personen fürchtet, ihre Wohnung nicht mehr warm halten zu können.

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Wien – Katarina bezieht Notstandshilfe. Sie ist alleinerziehend und kümmert sich um ihre zwei Kinder. Gleichzeitig pflegt sie ihre alte Mutter. Mit dem Geld geht es sich normalerweise gerade noch so aus, heizen tut sie sowieso nur mehr im Bad und im Kinderzimmer. Im September wurde es allerdings knapp: Zusätzlich zum sowieso belastenden Schulstart folgten Teuerungen bei Miete und Energiekosten. Sie kam mit den Ausgaben nicht mehr zurecht. Katarina ist kein Einzelfall.

Die aktuelle Teuerung betreffe immer größere Teile der Bevölkerung, das zeigt eine Befragung vom Sora-Forschungsinstitut im Auftrag der Caritas. Jeder Zweite sei in der momentanen Krise zu Einsparungen im Alltag gezwungen, zum Beispiel beim Lebensmitteleinkauf. Die Not sei bereits in der Mittelschicht angekommen, sagt Caritas-Generalsekretärin Anna Parr. Im Rahmen einer Pressekonferenz am Donnerstag forderte sie zielgerichtete und nachhaltige Hilfen anstelle von Einmalzahlungen.

Zahl der Sozialberatungen stark angestiegen

Am stärksten von den Preissteigerungen betroffen seien jene Menschen, die schon vor der Krise zu wenig Geld hatten. Gleichzeitig würden sich immer mehr Personen, die bislang ohne Unterstützung zurechtgekommen sind, an die Caritas-Sozialberatungsstellen wenden. In Wien sei die Zahl der Beratungen im ersten Halbjahr 2022 um die Hälfte gestiegen.

Bei den Caritas-Lebensmittelausgabestellen Leo wurden insgesamt 26 Tonnen an Lebensmitteln pro Woche ausgegeben, im Vorjahr waren es 17 Tonnen wöchentlich. Aufgrund des großen Andrangs musste die Ausgabemenge pro Haushalt reduziert werden, es gab einen Aufnahmestopp für Erstbezieher.

Die Nachfrage bei den Caritas-Lebensmittelausgabestellen stieg in den letzten Monaten stark an.
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41 Prozent fürchten, sich zu verschulden

Das Sora-Institut führte eine Studie mit 1.011 persönlichen Interviews von September bis Anfang Oktober durch und kam zu bedrückenden Ergebnissen: Mehr als die Hälfte der Befragten ist wegen der Teuerung besorgt, die Wohnung nicht mehr warm halten zu können. 41 Prozent fürchten, sich bei weiteren Preissteigerungen verschulden zu müssen, im unteren Einkommensdrittel sind es 72 Prozent.

Zwei Drittel sparen bei Urlaub, Freizeit und Kultur – was zu einem möglichen Dominoeffekt in den besagten Branchen führen könnte. Außerdem spart ein Drittel der befragten Eltern bei der Förderung ihrer Kinder, zum Beispiel bei Ausgaben für Nachhilfe. Das könnte fatale Auswirkungen haben, so Christoph Hofinger vom Sora-Institut. Kinder zu fördern sei die größte Investition in die Zukunft, die eine Gesellschaft bewirken kann, sagen Hofinger und Parr.

Forderungen nach Anhebung des Arbeitslosengeldes und der Sozialhilfe

Die bisherigen Maßnahmen der Regierung würden zwar kurzfristig helfen, seien aber nicht nachhaltig, sagt Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas. Er plädiert für weitere Entlastungen: Der Sozialstaat müsse armutsfest und krisensicher werden.

Parr und Schwertner fordern die Anhebung des Arbeitslosengeldes und der Sozialhilfe, die momentan bei knapp 978 Euro liegt, auf ein existenzsicherndes Niveau. Die geplante Valorisierung von Familien- und Sozialleistungen greife zu kurz, diese lägen auch danach noch unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle von rund 1.400 Euro.

In der Umfrage zeigt sich eine große Solidarität: 89 Prozent der Befragten fordern, zuerst armutsgefährdete Menschen zu unterstützen. Acht von zehn Befragte fürchten um den sozialen Zusammenhalt im Land, sollten nicht weitere politische Maßnahmen gegen die Teuerungen folgen. (Alara Yılmaz, 3.11.2022)