Menschen in Seoul beobachten einen nordkoreanischen Raketenstart im Fernsehen (Archivbild).

Foto: imago / Seokyong Lee / Penta Press

Pjöngjang/Seoul/Tokio – Bei neuen Raketentests hat Nordkorea nach Angaben Südkoreas und Japans auch eine mutmaßliche atomwaffenfähige Rakete mit tausenden Kilometern Reichweite abgefeuert. Nordkorea habe Donnerstagfrüh (Ortszeit) drei ballistische Raketen in Richtung offenes Meer abgeschossen, von denen die erste offenbar eine Interkontinentalrakete (ICBM) gewesen ist, teilte der Generalstab der südkoreanischen Streitkräfte mit. Die ICBM könnte bei dem Test abgestürzt sein. Am Abend (Ortszeit) wurde ein weiterer Raketenabschuss bekannt.

Nordkorea bezeichnete anhaltende südkoreanische Manöver daraufhin als "sehr riskante und falsche Entscheidung." Das Land werde realisieren, dass es einen "unwiderruflichen Fehler mache".

Der südkoreanische Generalstab bestätigte zunächst Berichte südkoreanischer Medien nicht, wonach es nach der Startphase zu Problemen kam und der Test letztlich fehlschlug. Die Regierung in Tokio bestätigte allerdings nach anfänglicher Verwirrung wegen der Flugroute, dass die Rakete über dem Japan-Meer vom Radar verschwand. Verteidigungsminister Yasukazu Hamada erklärte, die potenzielle Flugbahn hätte die Rakete über Japan hinwegfliegen lassen können. Warum sie vom Radar verschwunden sei, werde noch untersucht.

Rakete legte 760 Kilometer zurück

Unklarheit gab es in Südkorea zunächst auch bei der Bestimmung des Raketentyps. Nach erster Einschätzung des Büros für nationale Sicherheit des Präsidialamts könnte es sich auch um eine sogenannte Mittelstreckenrakete größerer Reichweite (IRMB) handeln, berichtete der Sender KBS. Laut dem Militär flog die Rakete nach dem Start in der Region um Pjöngjang in einer Höhe von bis zu 1.920 Kilometern etwa 760 Kilometer weit.

Beide Typen sind Trägermittel für atomare Gefechtsköpfe, deren Erprobung der selbsterklärten Atommacht Nordkorea durch UN-Resolutionen untersagt ist. Zu ICBM zählen dabei Raketen mit einer Reichweite von mindestens 5.500 Kilometern.

Heuer schon mehr als 50 Raketentests

Durch den jüngsten Test verschärft sich die Eskalationsspirale auf der koreanischen Halbinsel. Während Nordkorea unablässig Raketentests durchführt, nahmen Südkorea und die USA in diesem Jahr ihre gemeinsamen Militärmanöver wieder in vollem Umfang auf. Seit Beginn des Jahres gab es bereits mehr als 50 nordkoreanische Raketentests – allein am Mittwoch erfasste Südkoreas Militär mehr als 20 Raketentests durch den Nachbarn. Als Folge unternahm Südkorea eigene Waffentests.

Diesmal reagierten die verbündeten Streitkräfte Südkoreas und der USA mit der Ankündigung, ihre laufenden Luftwaffenübungen "Vigilant Storm" zu verlängern, die eigentlich am Freitag enden sollten. Details würden später genannt, teilte Südkoreas Militär mit. Die Entscheidung sei "in Verbindung mit den jüngsten Provokationen durch Nordkorea" getroffen worden.

Die USA warfen Nordkorea nach dem Test am Donnerstag eine "klare Verletzung mehrere Resolutionen des US-Sicherheitsrats" vor. Japans Ministerpräsident Fumio Kishida kritisierte Nordkoreas Raketentests "als barbarisches Verhalten und total inakzeptabel".

Letzter Atomwaffentest 2017

Nordkorea treibt seit Jahren die Entwicklung atomwaffenfähiger Raketen voran. Die Entwicklung strategischer Raketen mit großen Reichweiten richtet sich dabei besonders gegen die USA, denen Pjöngjang eine feindselige Politik vorwirft. Die jüngsten Raketentests wurden in Seoul auch als Reaktion auf die Luftwaffenübungen in Südkorea gesehen. Doch dient der Großteil der Tests laut Fachleuten in erster Linie dazu, die Einsatzfähigkeit der Raketen zu verbessern.

Das Ziel Pjöngjangs ist es, eine vollwertige Atommacht zu sein und von den USA als solche anerkannt zu werden. Die USA und Japan kamen schon 2017 zu der Erkenntnis, dass Nordkorea in der Lage ist, seine Raketen mit Miniaturatomsprengköpfen zu bestücken. Damals hatte Nordkorea auch seinen bisher letzten und größten von sechs Atomwaffentests unternommen.

Weitere Tests vor US-Midterms?

Kein Zweifel besteht in Washington und Seoul, dass Nordkorea kurz davor ist, einen neuen Atomtest zu unternehmen. In Südkorea wird nicht ausgeschlossen, dass der Test noch vor oder kurz nach den Zwischenwahlen in den USA in der nächsten Woche erfolgen könnte. Die Menschen in der Region befürchten deshalb, die Lage könnte sich so zuspitzen wie vor fünf Jahren, als sie Angst vor einem neuen bewaffneten Konflikt auf der koreanischen Halbinsel verspürten.

Wie gefährlich die Lage ist, zeigten die Raketentests am Mittwoch. Eine nordkoreanische Kurzstreckenrakete überquerte dabei nach Angaben Südkoreas zum ersten Mal seit dem Koreakrieg (1950–1953) die östliche Seegrenzlinie zwischen beiden Ländern, bevor sie in der Nähe des südkoreanischen Territorialgewässers einschlug.

Präsident Yoon Suk Yeol warf Nordkorea vor, damit praktisch südkoreanisches Territorium verletzt zu haben. Südkoreas Militär schoss als Reaktion drei Luft-Boden-Raketen aus Kampfjets ins offene Meer nördlich der Grenzlinie. Die Südkoreaner befürchten, dass Ereignisse wie diese schnell in eine größere Konfrontation münden könnten. (APA, 3.11.2022)